Migräne: Unterschätzt und unzureichend behandelt
Am Wochenende, wenn der Stress der Arbeitswoche vorbei ist, trifft es sie am stärksten: Dann dröhnt und hämmert der Kopf so sehr, dass Anna (Name von der Redaktion geändert) nur noch gekrümmt im Bett liegen kann. Die 40-Jährige leidet unter heftigen Migräneattacken. Sie ist eine von rund 900.000 Betroffenen, die laut der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) hierzulande mit episodischen Kopfschmerzattacken zu kämpfen haben, darunter deutlich mehr Frauen als Männer. Die Krankheit hat viele Gesichter und unterschiedliche Ursachen.
Im Zuge des Europäischen Kopfschmerz- und Migränetages am 12. September wollen Ärzte über das Krankheitsbild und vorhandene Behandlungsdefizite aufklären. Eugen Trinka, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN), kritisiert vor allem die derzeitige Versorgungssituation, die der großen Anzahl von Betroffenen kaum gerecht werden könne: „Es kommt zu verspäteten Diagnosen und in Folge dessen zu mangelhaft wirksamen Therapien. Obwohl Kopfschmerzen und Migräne die häufigsten neurologischen Leiden sind, werden sie unterschätzt“, sagt der Neurologe. Er betont, dass sich Betroffene bei wiederkehrenden Kopfschmerzen von Anfang an an Fachärzte für Neurologie wenden sollten – „damit die Erkrankung von anderen Krankheitsbildern abgegrenzt werden kann“.
Bei einer Erhebung in acht österreichischen Kopfschmerz-Zentren wies 2015 demnach etwa ein Drittel der befragten Patienten Anzeichen einer Angststörung und ein Viertel Hinweise einer Depression auf. Zudem zeigte sich in einer Umfrage 2017, dass viele Patienten vor ihrer Überweisung in die Schmerzzentren nicht ausreichend therapiert wurden.
Die Folgen einer inadäquaten Behandlung zeigen sich bei Patienten, die zu oft (über mehr als drei Monate, an mehr als zehn Tagen) Schmerz- oder Migränemittel einnehmen: Rund 58 Millionen Menschen leiden weltweit an durch Schmerzmittel ausgelöste Kopfschmerzen.
Heterogenes Bild
Laut WHO sind Spannungskopfschmerz und Migräne die weltweit zweit- und dritthäufigsten Erkrankungen. Nach der Pubertät und dem Einsetzen der Regelblutung leiden Studien zufolge mehr Frauen als Männer darunter.
Bei manchen Patienten kündigt sich eine Attacke schon Tage zuvor an, wieder andere, rund 10 bis 15 Prozent der Betroffenen, erleben eine sogenannte Aura: Sie sehen Blitze vor dem Auge, ihnen wird schwindelig oder sie können kurz nicht richtig sprechen – „die Migränesymptome bei solchen Patienten können jenen eines Schlaganfalls ähneln“, erklärt Nenad Mitrovic, Leiter der Abteilung für Neurologie am Salzkammergut-Klinikum, „allerdings kommen die Symptome bei einer Aura nicht – wie beim Schlaganfall – auf einmal“. Zwar seien Kopfschmerzen selten Symptome für gefährliche Erkankungen, „klagen Menschen, die nicht unter Migräne leiden, plötzlich über massive Kopfschmerzen oder einen atypischen Schmerz, kann das ein Warnsignal sein.“
Heilen lässt sich Migräne zwar nicht, aber die Beschwerden können gelindert werden – „wenn die Migräne richtig diagnostiziert und frühzeitig behandelt wird“, ist Trinka überzeugt.
Migräne-"Impfung": Wirkung noch unsicher
"Die Migräne-Prophylaxe ist viele Jahre auf der Stelle getreten", sagt
Gregor Brössner, Präsident der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft (ÖKSG). Das soll sich nun ändern.
Seit September gibt es zumindest für chronische Patienten mit häufigen, episodischen Attacken einen neuen Therapieansatz: Das Migräne-spezifische Medikament "Aimovig" ist seit 30. Juli in der EU zur Vorbeugung von starker Migräne – also für Patienten mit mindestens drei bis vier Attacken pro Monat – zugelassen.
Wirken soll „Aimovig“ durch den monoklonalen Antikörper Erenumab, der, einmal im Monat unter die Haut injiziert, den Rezeptor für den CGRP-Botenstoff blockiert. "Dieser ist an der Schmerzweiterleitung beteiligt und spielt bei der Entstehung einer Migräneattacke eine gut belegte Rolle", erklärt Brössner.
Damit ist es die erste Prophylaxe, die speziell für die Migränebehandlung entwickelt wurde – bei traditionellen Prophylaktika, wie etwa Antidepressiva, habe sich die Wirksamkeit hingegen zufällig im Rahmen der Behandlung anderer Beschwerden gezeigt. „Außerdem zeigt das neue Medikament weniger der typischen Nebenwirkungen, wie Schläfrigkeit oder Schwindel“, sagt Brössner. Es sei allerdings kein Wundermittel gegen Migräne, denn bisher gibt es keine Langzeitstudien.
Bei wem die „Impfung“ tatsächlich wirkt, wird demnach erst die Anwendung bei Migränepatienten in der Praxis zeigen. Mit rund 6000 bis 7000 Euro pro Jahr eine kostspielige Probezeit.
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