Der lange Weg zurück

Der lange Weg zurück
Patienten wie Michael Schumacher haben oft jahrelange Therapien vor sich. In der Klinik Pirawarth in Niederösterreich ist man darauf spezialisiert.

"Zieh, Christoph! Zieh das Knie hoch! Noch ein Stück! Ja, sehr gut!" Physiotherapeutin Lydia Müller lobt Christoph, 22. Zum zweiten Mal in seinem Leben lernt er gehen. Lernt, wie er die Füße heben und senken muss.

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Ein an der Zimmerdecke fixiertes Gurtsystem entlastet ihn von seinem Gewicht, wenn er auf dem Gehband versucht, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Müller und ihr Kollege Martin Sachse führen je ein Bein, halten es in der physiologisch richtigen Position. Denn steife, geschwächte und teilweise gelähmte Muskeln lassen die Beine ohne Hilfe sofort aus dem richtigen Bewegungsablauf ausbrechen.

Rehabilitation ist Lernen

Vor fünf Jahren erlitt Christoph eine schwere Hirnblutung – die genaue Ursache ist nicht bekannt. Zehn Tage war er im Koma, reagierte auf keinerlei Reiz. Solche Blutungen treten auch häufig bei Schädel-Hirn-Trauma-Patienten wie Michael Schumacher auf.

"Als Folge der Gehirnverletzung ist das Wissen über die richtigen Gangmuster verloren gegangen", sagt der Neurologe Prim. Andreas Winkler, ärztlicher Leiter der Klinik Bad Pirawarth, NÖ. "Durch die Arbeit der Therapeuten erhält das Gehirn aber die Rückmeldung: ,So ist es richtig‘ und lernt das Gangmuster neu ein."

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Rund 100 solcher Patienten mit schweren Hirnverletzungen werden jährlich in Bad Pirawarth behandelt – mit 2000 neurologischen Patienten jährlich (insgesamt sind es 4000) eines der größten Zentren für Neuro-Rehabilitation in Österreich.

Wirkungsvoll

100 Therapeuten arbeiten hier: Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Hydro- und Elektrotherapeuten, Psychologen, Sportwissenschafter, Kreativtherapeuten (z. B. für Maltherapie). "Diese Form der Reha ist sehr wirkungsvoll", sagt Winkler. "Aber die Erfolge erreicht man nicht von heute auf morgen, sondern nur über Monate, oft auch über Jahre."

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"Vor vier Jahren konnte Christoph nicht schlucken und musste über eine Sonde ernährt werden", sagt die Logopädin Marie-Luise Kaiser: "Die Zungen- und Schluckmuskulatur war einfach zu schwach. Heute kann er bereits alleine weiche Kost essen." Kaiser stimuliert die Zungenmuskulatur. Sie wickelt ein Zuckerl in ein dünnes Tuch und lässt Christoph vorsichtig daran lutschen – damit das Zuckerl nicht in die Luftröhre rutscht, hält sie das Tuch am anderen Ende.

Mit der Ergotherapeutin Eva Maierhofer arbeitet Christoph an der Greiffunktion seiner Hände. Er fasst nach Holzkugeln mit einer zylinderförmigen Öffnung und spießt sie an Holzstäbchen auf: "So verbessert er Grob- und Feinmotorik."

Personal- und kostenintensiv

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Die Therapien von Patienten wie Christoph sind zeit-, personal- und kostenintensiv: Christoph hat seit 2009 jährlich zumindest sechs Therapiewochen absolviert – mit vier bis fünf Therapiestunden an sechs Tagen die Woche. In Pirawarth werden solche Patienten von gleichbleibenden Teams betreut: "Die Therapeuten arbeiten eng zusammen und richten sich nach der Verfassung der Patienten", so der Sportwissenschaftler und Therapiekoordinator Reinhard Spiesberger. "Es gibt nicht fix um 9 Uhr Physio- und um 10 Uhr Ergotherapie. Wir bieten die Therapien den Patienten dann an, wann es für sie am besten ist."

"Wir schauen individuell, was jeder Patient wann schafft", sagt Physiotherapeutin Müller. "Bei unserer Arbeit ist viel Geduld und Einfühlungsvermögen notwendig. " – "Christoph ist jung und hochmotiviert – das sind gute Prognosefaktoren", betont Winkler: "Wir arbeiten daran, dass er wieder ein selbstständige Leben führen kann."

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KURIER:Wie beurteilen Sie die Rehabilitationschancen von Michael Schumacher?
Prim. Andreas Winkler:Auch nach mehreren Monaten im Koma sind die Chancen für eine erfolgreiche Rehabilitation – also für ein weitgehend oder sogar völlig selbstständiges Leben – heute sehr gut. Nicht jeder wird völlig geheilt, aber die Symptome – etwa Lähmungen, Sprach- oder Gedächtnisstörungen – können meist deutlich gebessert werden. Schumacher kommt zugute, dass er mit 45 Jahren relativ jung ist und Leistungssportler war: Diese wissen, was es heißt zu trainieren und sich zu quälen. Wir hatten in unserer Klinik Profisportler nach Schlaganfällen – sie haben bis zum Umfallen trainiert und sind heute völlig wiederhergestellt.

Gibt es in Österreich ausreichend Angebote für neurologische Rehabilitation?
Grundsätzlich ist die Versorgung sehr gut. Aber die Zahl der Patienten steigt: Durch die hervorragende Akutmedizin überleben immer mehr Menschen schwere Gehirnschäden etwa als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas oder Schlaganfalls. Gleichzeitig sind die Therapien sehr aufwendig. Steigenden Bedarf gibt es bei schwer beeinträchtigten Menschen nach der Akutphase im Spital. Sie benötigen 24-Stunden-Pflege und ärztliche Überwachung rund um die Uhr. Gleichzeitig sollte bereits mit der Frührehabilitation begonnen werden. Hier sehe ich einen zunehmenden Engpass an kostenintensiven „Phase-B-Betten“ in den Reha-Einrichtungen.

Welche Folgen hat das?
Es kann passieren, dass Patienten auf für sie nicht geeigneten Spitalsstationen liegen, zu rasch in ein Pflegeheim oder auch nach Hause kommen. Meist ist dann aber das Reha-Angebot nicht ausreichend und der Weg in die Pflegebedürftigkeit vorgezeichnet. Es braucht mehr Bewusstsein, dass Neurorehabilitation der Gesellschaft auch etwas wert sein muss.


Fans von Michael Schumacher atmen auf: Er ist nicht mehr im Koma. "Wie sich sein Zustand weiterentwickeln wird, ist eine Frage der kommenden Monate – alles andere wäre jetzt Spekulation“, sagt Prim. Wolfgang Grisold, Leiter der neurologischen Abteilung im Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien. „Man sollte jetzt mit Optimismus die Neuro-Rehabilitation beginnen.“

„Es gibt Fallberichte von Menschen, die noch länger in einem Koma waren und bei denen sich dann in der Rehabilitation viele Gehirnfunktionen regeneriert haben", sagt Prim. Andreas Winkler, ärztlicher Leiter der Klinik Pirawarth, NÖ, die auf neurologische Reha spezialisiert ist. "Durch intensive Rehabilitation über viele Monate hinweg kann sehr viel erreicht und verbessert werden – das ist unbestritten.“ Jetzt müsse alles getan werden, um das Gehirn zu aktivieren – und dafür müssen Pflegekräfte, Therapeuten und Ärzte eng zusammenarbeiten. "Durch verschiedenste Reize von außen müssen sich die Hirnareale neu vernetzen.“ Eine Übersicht zu den wichtigsten Therapieverfahren.

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