Neue Direktorin am Wiener CeMM: Wie Mikrobiomforschung die Medizin revolutioniert
Die international anerkannte italienische Mikrobiom-Forscherin Maria Rescigno an ihrem neuen Arbeitsplatz am CeMM in Wien.
"Maria Rescigno erbt ein echtes Juwel", sagt Giulio Superti-Furga – und meint das CeMM, eines der wichtigsten heimischen Forschungszentren für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Vor über 20 Jahren hat der italienische Molekularbiologe die auf biowissenschaftliche Grundlagenforschung spezialisierte Einrichtung am Gelände des Wiener AKH/Medizinische Universität Wien gegründet. Seither fungierte Superti-Furga als Direktor des Instituts, nun übergibt er das Zepter an seine Landsfrau und international anerkannte Mikrobiom-Forscherin Maria Rescigno. "Er ist nicht nur ein ausgezeichneter und hochdekorierter Forscher, sondern auch ein unglaublich talentierter Kommunikator, der den Elfenbeinturm der Forschung auch immer gerne verlässt", sagt Heinz Faßmann, Präsident ÖAW, über ihn.
Integrative Forschung
Vom Elfenbeinturm der Forschung hinabsteigen, elementare Erkenntnisse mit klinisch-therapeutischer Anwendung verbinden – und damit einen direkten Nutzen für den Menschen schaffen: Das hat sich das CeMM unter Superti-Furgas Leitung zum Ziel gesetzt. Für ihn ist Maria Rescigno eine mehr als nur logische Nachfolgerin: "Ihre Forschung ist hochintegrativ, es geht nicht um einzelne Zellen, Organe oder Prozesse, sondern um die Interaktionen zwischen ihnen, darum, wie im Körper alles verbunden ist."
"Für mich ist es wirklich eine Ehre an einem der besten Forschungsinstitute in Europa, wahrscheinlich sogar weltweit, tätig zu sein", betont Rescigno bei ihrer Vorstellung in kleiner Runde in der Brain Lounge des CeMM mit Blick über Wien.
Durch Veränderungen im Mikrobiom können wir entweder bestimmten Krankheiten vorbeugen, oder sie besser behandeln.
Mikrobiom-Forscherin
Maria Rescigno promovierte 1999 in Biologie an der Universität Mailand. Nach Forschungsaufenthalten in Cambridge und Mailand spezialisierte sie sich Ende der 1990er auf Angewandte Biotechnologie.
Von 2001 bis 2017 leitete Rescigno, die weit über 100 wissenschaftliche Publikationen und auch populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht hat, die Einheit für Dendritische Zellbiologie und Immuntherapie am Europäischen Institut für Onkologie. 2016 gründete sie das Start-up Postbiotica, das Mikrobiom-Metabolite als Therapeutika entwickelt.
Schranke im Darm
Rescigno, die sich gegen rund 30 Bewerberinnen und Bewerber durchgesetzt hat, hat sich mit der Erforschung des Mikrobioms und seinen Auswirkungen auf die Gesundheit einen Namen gemacht. So hat die gebürtige Neapolitanerin etwa eine Art Schranke im Darm entdeckt, die verhindert, dass schädliche Mikroben in die Blutbahn gelangen. Ein Ungleichgewicht oder entzündliche Prozesse im Darm können die Funktion dieser Barriere stören. Über den Blutkreislauf erreichen unerwünschte Mikroorganismen mitunter das Gehirn. "Wenn das passiert, isoliert sich das Hirn vom Rest des Körpers – Depressionen oder Angstzustände können die Folge sein", erklärt Rescigno.
Nicht nur psychische Störungen können auf ein gestörtes Darmmikrobiom zurückgehen. "Die Hälfte unseres Körpers besteht aus humanen Zellen, die andere aus mikrobiellen Zellen, Mikroorganismen, die essenziell für unseren Körper sind – dem Mikrobiom." Ein empfindliches Ökosystem, das Rescigno mit einem Orchester vergleicht: "Jeder Musiker muss seine Töne spielen. Wenn jemand eine falsche Note erwischt, gerät das ganze Orchester aus der Balance. Dasselbe passiert im Mikrobiom: wenn die schlechten Mikroorganismen überhandnehmen, kann sich das auf die Gesundheit auswirken."
Stück für Stück enthüllt die Wissenschaft die Rolle des menschlichen Mikrobioms, insbesondere jenes des Darms, bei Erkrankungen unterschiedlichster Art, etwa neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer. Oft wirken sich Erkrankungen nachteilig auf das Mikrobiom aus. "Es konnte aber auch gezeigt werden, dass in manchen Fällen das Mikrobiom ursächlich für sie verantwortlich ist, wie zum Beispiel bei Darm- oder Magenkrebs", präzisiert Rescigno.
So wurden Mäuse in Experimenten etwa auch übergewichtig, wenn man ihnen das Darmmikrobiom adipöser Menschen einsetzte. In ähnlicher Weise führte das Mikrobiom von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung zu entsprechenden Verhaltensweisen bei den Nagetieren. "Durch Veränderungen im Mikrobiom können wir entweder bestimmten Krankheiten vorbeugen, oder sie besser behandeln." Der Transfer des Darmmikrobioms von Krebspatienten, die gut auf bestimmte Therapien ansprechen, könne etwa das Ansprechen bei therapieresistenten Patienten verbessern.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW ist in Europa führend auf dem Gebiet der biowissenschaftlichen Grundlagenforschung. So werden unter anderem die molekularbiologischen Ursachen von Alterungsprozessen, Stoffwechsel- und Entzündungsvorgängen, Krebserkrankungen oder Erkrankungen des Immunsystems erforscht.
Besonderer Fokus liegt zudem darauf, eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und klinisch-therapeutischer Anwendung zu schaffen.
"Mediterrane Ernährung ist das Beste"
Wie hält man sein Darmmikrobiom nun gesund? "Wenn es von mir als Italienerin kommt, wirkt es vielleicht eigennützig, aber die mediterrane Ernährung ist das Beste, wenn es darum geht, das Mikrobiom im Darm gesund zu halten", scherzt Rescigno. "Nicht so sehr Pizza und Pasta, aber gute Ballaststoffe und Proteine in Gemüse, Obst und Hülsenfrüchten. Der Fleischkonsum sollte reduziert werden, so wie jener von Zucker – die fantastische Sachertorte also lieber nur einmal pro Woche genießen."
Stichwort Sachertorte: Dass Rescigno künftig mehr Zeit in Wien verbringen wird, begrüßt sie sehr. "Wien ist so lebendig. Ich bin seit ein paar Tagen hier und fühle mich im Geiste komplett verjüngt", schwärmt sie.
Therapieansätze vorantreiben
Forschungserkenntnisse in wirkungsvolle Behandlungen zu übersetzen, ist Rescigno ein großes Anliegen. Mit ihrem Start-up Postbiotica entwickelt sie seit einigen Jahren Mikrobiom-Metabolite als Therapeutika. "Wir haben derzeit fünf Produkte am Markt, primär für Menschen mit Magen-Darm-Problemen, zum Beispiel dem Reizdarmsyndrom. Aber wir erforschen auch die positive Wirkung bei autistischen Patienten." Kommerzielle Mikrobiom-Tests, wie sie etwa für Reizdarm-Patienten angeboten werden, sieht die Spezialistin kritisch: "Sie können für Kliniker nützlich sein, aber ich mag die Idee von Massentestungen nicht, weil die Interpretation der Ergebnisse noch viele Unsicherheiten birgt."
Superti-Furga wird dem CeMM und Wien verbunden bleiben, künftig aber vor allem den Aufbau eines neuen Zentrums für biomedizinische Forschung und Biotechnologie in Sizilien begleiten. Rescigno freut sich darauf, am Forschungsstandort Wien zu wirken: "Wien ist aus Forscherperspektive schon seit 15 Jahren sehr attraktiv – und ich bin überzeugt, dass sich dieser Prozess fortsetzen wird."
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