Psyche bis Verdauung: "Das Mikrobiom ist an jeder Erkrankung beteiligt"

Wenn Verdauungsbeschwerden und Bauchschmerzen immer wieder den Alltag beeinträchtigen, ist sehr wahrscheinlich das Mikrobiom in Schieflage. Die oberösterreichische Internistin Helene Atalla erklärt, wie sich die Bakterienwelt auf Körper und Geist auswirkt, welche Probleme auftreten können und was dem Mikrobiom gut tut.
Die Mikrobiom-Forschung ist vergleichsweise relativ jung: Man hat etwa herausgefunden, dass die Darmflora auch die Psyche beeinflusst. Wie wirkt sich das aus?
Ein intaktes Darm-Ökosystem ist wesentliche Voraussetzung für psychische Stabilität und Gesundheit. 90 Prozent des Glückshormons Serotonin werden im Darm gebildet. Das Hormon wirkt dann im Gehirn und beeinflusst unsere Stimmungslage und wirkt sich positiv auf Gefühle wie innere Ruhe, Gelassenheit oder Zufriedenheit aus. Des Weiteren dämpft es Emotionen wie Kummer, Angst und Aggression. Symptome eines Serotoninmangels sind z. B. fehlende Motivation und Stimmungstiefs, welche häufig bei psychischen Erkrankungen eine große Rolle spielen.

Worauf hat das Mikrobiom noch Einfluss?
Das zum überwiegenden Großteil im Darm produzierte Serotonin hat auch Einfluss auf unseren Tag/Nacht-Rhythmus, da es eine Vorstufe unseres Schlafhormons Melatonin ist. Des Weiteren wird auch der Botenstoff GABA von unseren Darmbakterien produziert. Dieser Stoff wirkt beruhigend und reguliert Angst sowie den Umgang mit Stress. Darüber hinaus steuert das Mikrobiom das viszerale Schmerzempfinden, was insbesondere bei Patienten mit Reizdarm eine große Rolle spielt.
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Wodurch wird das Mikrobiom beeinträchtigt?
Mit Mikrobiom ist ja nicht nur die Darmflora gemeint. Der Begriff bezeichnet die Gesamtheit aller in und auf uns lebenden Mikroorganismen. Obwohl die meisten davon in unserem Darm leben, besiedeln diese auch unsere Haut, Nase, Rachen, Mund, Scheidenflora etc. Diese Besiedelung wirkt schützend auf diese Bereiche. Das heißt, Störungen dieser Besiedelung können zu erhöhter Infektanfälligkeit bzw. wiederholten Infekten in diesen Bereichen führen. Behandelt werden diese dann häufig mit Antibiotika, welche sich wiederum negativ auf die Besiedelung auswirken und einen Teufelskreis verursachen können, unter dem viele Patienten mit wiederkehrenden Infekten in bestimmten Bereichen leiden. Mittlerweile wissen wir, dass sich eine ungünstige Zusammensetzung der Darmflora auch auf chronische Entzündungen, die Nichtalkoholische Fettleber bis hin zum Metabolischen Syndrom, auswirken kann. Vermutlich gibt es keine Erkrankung, an der das Mikrobiom nicht beteiligt ist. Was noch ungenügend erforscht ist, ist das „Henne oder Ei Prinzip“. Sind gewisse Veränderungen des Mikrobioms Ursache oder Folge von Erkrankungen? Zur Klärung dieser Fragen besteht noch Forschungsbedarf.
Verdauungsprobleme von Durchfall bis Verstopfung sind weit verbreitet – warum dauert es für viele Patienten sehr lange, bis sie die richtige Behandlung bekommen?
Weil der Darm auch ohne Betrachtung des Mikrobioms schon komplex genug ist. Bevor man einen Blick auf die Zusammensetzung der Darmflora wirft, sollte nach Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes gesucht werden. Da reden wir von Nahrungsmittelintoleranzen, Nahrungsmittelallergien, Glutenunverträglichkeit, Histaminunverträglichkeit, Entzündungen aller Art, Geschwüren, Tumoren etc.
Das heißt im Klartext: Ein Patient mit Verdauungsproblemen benötigt bei seriöser Arbeit eine Reihe an klassischen schulmedizinischen Untersuchungen wie Blutuntersuchung, Ultraschalluntersuchung, Atemtests, Stuhltests, Magen- oder Darmspiegelung, bevor man sich daran macht, das Mikrobiom zu untersuchen. Es gibt so viele verschiedene Erkrankungen oder Störungen in diesem Bereich, sodass es dauert, bis der Patient eine hilfreiche Behandlung bekommt. Was mir in diesem Zusammenhang wichtig ist: Wenn Sie Beschwerden haben und Ihnen gesagt wurde, „Sie haben nichts“, suchen Sie weiter! Niemand muss mit chronischen Verdauungsbeschwerden leben. Häufig betrifft dies Patienten mit dem sogenannten Reizdarmsyndrom, diese haben meist eine Störung im Mikrobiom des Darms. Behandelt man diese, führt dies meist zu einer Linderung der Beschwerden.
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Ab wann sollte man mit Problemen medizinische Hilfe suchen?
Jeder mit Verdauungsproblemen sollte einmal ausführlich medizinisch abgeklärt werden mit oben genannten Untersuchungen. Bei Symptomen wie Blut oder Schleim im Stuhl, Veränderungen der Stuhlfarbe- oder Konsistenz, Veränderung oder Zunahme der bekannten Bauchschmerzen, Fieber, Krankheitsgefühl oder unerklärlichen Abweichungen des Körpergewichts – Zu- oder Abnahme – ist auf jeden Fall zeitnahe ein Arzt aufzusuchen.
Was halten Sie von kommerziellen Mikrobiom-Tests?
Nicht viel. Tests sollten wie in der Medizin sonst auch gezielt und symptomorientiert eingesetzt werden. Ansonsten hat einerseits der Patient nichts von der Testung, andererseits können diese zu viel Verunsicherung führen. Man sollte nie einen Laborwert behandeln, sondern immer den Menschen!
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Prä- und Probiotika sollen die Darmflora unterstützen. Allerdings bieten sie meist wenige Bakterienstämme an – das Mikrobiom enthält im Vergleich dazu Millionen unterschiedlicher Bakterien. Sind solche Präparate trotzdem sinnvoll?
Hier möchte ich zuerst Klarheit über diese beiden Begriffe schaffen, da diese oft verwechselt werden: Präbiotika sind unverdauliche Nahrungsbestandteile, so genannte Ballaststoffe, die Aktivität und Wachstum der guten Darmbakterien fördern. Probiotika sind Präparate mit aktiven oder inaktiven Bakterien der Darmflora. Bei der Wahl eines Präparates sollte man auf gute Qualität und Zusammensetzung achten, Präbiotika sollten eine entsprechende Mindestkeimanzahl von 50 Milliarden CFU (Verdauungsenzyme, Anm.) haben. Von einer Einnahme solcher Präparate als Vorsorge ist abzuraten, einzige Ausnahme stellt die Einnahme von Antibiotika dar. Ansonsten kann man sich mit der an sich gut gemeinten Einnahme auch schaden. Die Einnahme von Pro- oder Präbiotika kann fälschlich eingesetzt zu einem Ungleichgewicht der Darmflora oder auch zu einer Fehlbesiedelung des Dünndarms mit Bakterien führen.
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Fermentierte Lebensmittel liegen zunehmend im Trend, weil sie das Mikrobiom unterstützen sollen. Kann man sich seine Darmflora gesund essen?
So lange keine gravierende Störung des Mikrobioms – beispielsweise durch wiederholte Antibiotikagaben – vorliegt, kann und sollte man die Darmflora positiv mit Ernährung und einem gesunden Lebensstil beeinflussen. Die Zusammensetzung des Mikrobioms ist nicht statisch, sie verändert sich mit jeder Mahlzeit. So haben wir mehrmals täglich die Möglichkeit, unserer Darmflora etwas Gutes zu tun.
Sie sind auch auf Ayurvedamedizin spezialisiert: Wie kann dieses Heilsystem bei Darmproblemen unterstützen?
Äußert effektiv! In der Ayurvedamedizin arbeitet man mit individuellen, auf die jeweiligen Beschwerden und den ayurvedischen Konstitutionstyp abgestimmten Ernährungs- und Lebensstilempfehlungen sowie mit Kräuterpräparaten, welche sich u. a. auch positiv auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms auswirken. So bringt bei vielen Patienten eine ayurvedische Therapie schon nach wenigen Wochen oder Monaten eine Besserung oder gar Beschwerdefreiheit, sodass es dann oft gar nicht mehr nötig ist, eine Analyse der Darmflora durchzuführen.
Haben Sie zum Schluss einen Tipp für eine ideale Mikrobiom-Mahlzeit? Gibt es so etwas überhaupt?
Wie Sie vorhin richtig erwähnten, zählen fermentierte Lebensmittel zu den effektivsten Unterstützern des Mikrobioms. Eine ideale Mikrobiommahlzeit ist frei von Geschmacksverstärkern, Konservierungsstoffen und Emulgatoren. Wer sich vorwiegend pflanzenbasiert mit viel Gemüse, Hülsenfrüchten und Beeren ernährt, auf übermäßigen Zuckerkonsum, Fast Food, Fertigprodukte und Energydrinks verzichtet, der macht seinem Darmmikrobiom jeden Tag Freude. Dieses wird es uns im Gegenzug mit Gesundheit danken!
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