Wie Patienten entschädigt werden

Wie Patienten entschädigt werden
Seit zehn Jahren werden Schadensfälle zumindest finanziell abgegolten.

Wenn ein eitriger Zahn im Krankenhaus operativ aufgeschnitten werden muss, ist das im Grunde ein Routine-Eingriff. Bei Martina P. (Name geändert) wurde es ein Fall für die Patientenanwaltschaft. Denn bei der Operation wurde versehentlich ein Nerv durchtrennt. Die Folge: Unterlippe und Kinn blieben dauerhaft gefühllos. Die 35-Jährige sabbert beim Essen, beißt sich dabei auf die Lippe. Ihr Mund ist beim Sprechen schief, ihre Sprache nicht mehr deutlich. Und keine Aussicht auf Besserung.

„Das muss man sich für einen so jungen Menschen einmal vorstellen. Da gibt es nur eine geringe Chance, dass sich die Patientin damit abfindet“, sagt Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenanwälte. Die Komplikationen seien zwar selten, es lag auch kein medizinischer Behandlungsfehler vor. „Vor zehn Jahren hätten wir nur mit den Schultern zucken, aber nicht helfen können.“

Seit 2003 können Patienten wie Martina P. zumindest auf ein finanzielles Trostpflaster hoffen. Vor zehn Jahren wurde der Patienten-Entschädigungsfonds eingerichtet. Im Fokus: Fälle, bei denen trotz schwerwiegendem Schaden kein Behandlungsfehler gefunden wird. „Es ist hier also keine eindeutige Haftung gegeben“, erklärt Bachinger.

Die zweite Gruppe umfasst Patienten, die ihren eindeutig im Spital erlittenen Schaden nicht stichhaltig beweisen können. „Gerade bei schweren oder katastrophalen Komplikationen ist eine schnelle und unbürokratische Hilfe wesentlich“, sagt Gesundheitsminister Alois Stöger. Zumal vieles zivilrechtlich nicht klärbar, aber existenzbedrohend sei.

Die 58-jährige Margit K. (Name geändert) verlor nach Komplikationen bei einer Zwölffingerdarm-Spiegelung sogar ihren Job. Bei ihr entzündete sich die Bauchspeicheldrüse, Margit K. musste auf die Intensivstation. Es folgten mehrere Operationen, daraufhin kam es auch noch zu Narben-Brüchen. „Die Patientin hat sich lange nicht erholt und muss lebenslang Diät halten“, erzählt Bachinger.

Paradigmenwechsel

Dass Patienten wie Martina P. und Margit K. zumindest finanziell für ihr Leid entschädigt werden, ist für Minister Stöger „eine Erfolgsgeschichte.“ Sie zeige den Paradigmenwechsel im Gesundheitssystem: „Wir wollen den Blick auf die Patienten richten. Die Patientenanwälte sind hier wichtige Partner.“ Erfolgskriterium laut Bachinger ist, dass die Mitglieder der Entschädigungskommission weisungsfrei sind. „Sie können nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden und geraten nicht in Interessenskonflikte.“

In den vergangenen zehn Jahren hat der Entschädigungsfonds insgesamt 56 Millionen Euro ausgezahlt. In jedem Bundesland besteht ein eigener Fonds, die Prinzipien sind überall die selben. So werden etwa vom Kostenanteil jedes stationären Patienten 0,73 € pro Tag dem Fonds zugeführt. Neben den Patientenanwaltschaften sind auch die Schiedsstellen von Ärzte- und Zahnärztekammer in die Bewertung der Schadensfälle eingebunden.

Wie Patienten entschädigt werden

Nach zehn Jahren Bilanz zu ziehen, ist für Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenanwälte nur die eine Seite. Er will vor allem über die Zukunft reden – und deshalb das bewährte System ausdehnen. Vor allem liegt ihm am Herzen, auch den niedergelassenen Bereich miteinzubeziehen. Derzeit können nur jene Komplikationen abgegolten werden, die bei Behandlungen in Krankenhäusern aufgetreten sind.

Doch manches wird auch im niedergelassenen Bereich passieren. Bachinger, selbst Patientenanwalt in Niederösterreich, nennt als Beispiel die Darmspiegelung. „Da kann die Darmwand beschädigt werden. Wenn das in einer Arzt-Praxis passiert, hat der Patient keine Chance, dass seine Ansprüche vom Entschädigungsfonds anerkannt werden. In einer Spitalsambulanz schon.“

Um das zu ändern, müsste der Fonds um mindestens 25 Prozent aufgestockt werden. Für eine volle Schadensabgeltung müsste er verdoppelt werden. Derzeit sind die Auszahlungen mit 22.000 Euro pro Fall gedeckelt.

Gesundheitsminister Alois Stöger unterstützt die Forderung, die Rolle der Patientenanwälte auch im niedergelassenen Bereich zu stärken. Aber: „Wir müssen auch die verfassungsrechtlichen Grenzen berücksichtigen. Wir können nicht in Ländergesetze eingreifen.“ Derzeit ist die Fondsfinanzierung Ländersache. Gerald Bachinger fordert deshalb klare Bundesvorgaben, etwa wie die einzelnen Bundesländer den Fonds ausstatten müssen.

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