Kinderhospiz: Der permanente Ausnahmezustand

Kinderhospiz: Der permanente Ausnahmezustand
In Österreich sterben pro Jahr knapp 400 Kinder an nicht behandelbaren Krankheiten. Simon war eines von ihnen.

Der Tag, an dem Simon starb, fiel auf einen Samstag. Jener Tag, an dem er geboren wurde, war ein Dienstag. Dazwischen lagen nur vier Monate, in denen Simon selbst und seine Eltern um das Leben ihres Sohnes kämpften.

Es war ein Kampf, der von Anfang an verloren schien – "auch wenn wir das lange nicht so sehen wollten", sagt Christine S. (36) während sie durch ein Album mit Fotos ihres verstorbenen Sohnes blättert. "Dabei hatte alles ganz normal begonnen."

Es war der Nachmittag des zweiten März 2009, als Simon im Korneuburger Spital zur Welt kam. Doch bei der Geburt gab es plötzlich Komplikationen. Simon bekam 20 Minuten zu wenig Sauerstoff.

Die Folge: schwere Schäden am Stammhirn. Das Kind musste – kaum auf der Welt – zum ersten Mal wiederbelebt werden. Noch in der ersten Nacht wurde Simon nach Tulln, wenig später ins AKH verlegt. Fortan war klar, das Kind würde niemals laufen, geschweige denn selbstbestimmt leben können.

Unausweichlicher Tod

"Nach dreieinhalb Monaten durften wir mit dem Kind nach Hause." Die letzten beiden Wochen seines Lebens verbrachte Simon in der Floridsdorfer Wohnung seiner Eltern – angeschlossen an medizinische Geräte, umsorgt von den Eltern und von Krankenschwestern. "Rückblickend kommt es mir so vor, als wollte er genau das noch erreichen. Als hätte er gekämpft, um einmal nur nach Haus zu kommen." Simon starb am Abend des vierten Juli 2009 – vermutlich infolge einer Infektion. Er wog kaum mehr als vier Monate zuvor bei seiner Geburt. Der Leichenbestatter holte das Kind am nächsten Morgen.

Hilfe in der Not

Eine, die die Familie auf diesem Weg begleitet hat, ist Sabine Reisinger mit dem Team vom Verein Kinderhospiz Netz. Reisinger sagt: "Wenn eine Familie uns einlädt, sie zu begleiten, muss es der Familie klar sein, dass das Kind lebensverkürzend erkrankt ist und sterben wird." In Österreich sind es knapp 400 Kinder pro Jahr, die oft nach langem Leiden und wegen nicht behandelbarer Krankheiten sterben.

Viele von ihnen bedürfen jahrelanger Pflege. Andere sterben früh nach der Geburt. Österreichs Gesundheitssystem ist auf diese Kinder jedoch nur mangelhaft vorbereitet.

Reisinger weiß, was es bedeutet, in solch einer Extremsituation zurecht zu kommen. Sie selbst hat früh eines ihrer Kinder verloren und dann mit anderen den Verein Netz gegründet. Das Team steht den Familien in medizinischen, pflegerischen und psychosozialen Belangen zur Seite. Sie sind da, wenn Elternprotokolle (eine Art Patientenverfügung) aufgesetzt werden müssen und sie bieten Trauerbegleitung in der Zeit nach dem Tod des Kindes an.

Spätes Glück

Für Christine S. war die Unterstützung wichtig. "Ohne wäre es sehr viel schwerer gewesen", sagt sie. "Es war wichtig, Menschen um uns zu haben, die Simon kannten. Sie haben uns bei unseren seltenen Spaziergängen mit ihm begleitet und sie waren immer erreichbar", sagt die junge Mutter während sie ihrem zweiten Kind, Jonas, dem kleinen Bruder Simons, den Kopf streichelt.

Verein Kinderhospiz Netz hilft

Das Kinderhospiz Netz konnte im Jahr 2010 insgesamt 15 Familien betreuen und begleiten. Der Verein leistete dabei 1090 Betreuungsstunden. "Doch in Österreich und in Wien herrscht noch Aufholbedarf im Umgang mit sehr kranken Kindern", sagt Sabine Reisinger. "In Wien gibt es kein einziges Palliativbett für Kinder. Auch ein öffentliches, stationäres Kinderhospiz – wie sie es in anderen Ländern gibt – fehlt in Österreich."

Wien vertröstet

Otto Rafets­eder von der Wiener Gesundheitsplanung weiß um die Sensibilität des Themas. "Die Stadt fördert mobile Schwestern, die die Familien begleiten", sagt er. Doch warum gibt es in Wien kein Hospiz wie in anderen Großstädten durchaus üblich? "Das Problem ist", sagt der Experte, "wir kennen derzeit alle miteinander den Bedarf noch nicht. Der wird in Absprache mit dem Ministerium aber gerade erhoben." Wann ein Ergebnis vorliegt, ist aber noch offen. Doch auch in der Stadt Wien weiß man, dass allein im St. Anna Kinderspital pro Jahr knapp 30 Kinder an Krebs sterben, weil sie nicht mehr rechtzeitig behandelt werden können. "Ich nehme aber an, dass einige dieser Familien auch vom Verein Kinderhospiz Netz betreut werden", sagt Rafetseder.

Der Verein bekam im Vorjahr eine einmalige Unterstützung von Gesundheitsminister Alois Stöger. Aus dem Rathaus ist zu vernehmen, dass der Verein gegenwärtig nicht mit einer Förderung rechnen kann.

Wenn Sie spenden wollen: BAWAG 14000, Nr. 17210 804 897

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