"Kinder beginnen selbstständig zu werden, wollen mitbestimmen, sich in ihrer Unabhängigkeit erproben", erläutert Tuttinger. Kleinkinder nehmen sich stärker als Individuen wahr – das "Nein" zu einem Elternteil ist auch eine Form der Abgrenzung.
Faktor Bindung
Insbesondere bei kleineren Kindern kann eine solche Vorliebe auch Ausdruck einer besonders engen Bindung – nicht immer, aber oft zur Mutter – sein. "Oft ist es die Mama, die sich in den ersten Lebensmonaten zuverlässig um die Bedürfnisse kümmert und sich zur primären Bezugsperson entwickelt", erklärt Familienberaterin Barbara Grütze.
Die primäre Bindungsperson kann wechseln, vor allem mit fortschreitendem Alter des Kindes. "Oft wird es differenzierter: Es gibt Dinge, die mache ich als Kind favorisiert mit dem Papa, der Mama, der Oma, dem Opa."
Ablehnung nicht als Abneigung deuten
Wird man als Elternteil Zielscheibe der Ablehnung, ist das erst einmal ein schwacher Trost. "Es ist verständlich, wenn Mütter und Väter frustriert auf Zurückweisung reagieren", sagt Tuttinger, appelliert aber gleichzeitig an die elterliche Besonnenheit. "Es ist wichtig, geduldig und präsent zu bleiben und sich daran zu erinnern, dass es nichts mit dem Wert als Elternteil zu tun hat."
Grütze beschreibt es ähnlich: "Das alles ist in den allermeisten Fällen ein entwicklungsadäquates Verhalten und richtet sich nie persönlich gegen jemanden, auch wenn es sich so anfühlt." Die Expertin warnt davor, die Ablehnung als Abneigung zu interpretieren. "So geraten wir leicht in eine Negativspirale: Durch die Verletzung und Schuld- oder Schamgefühle ziehen wir uns noch mehr zurück und entfernen uns ungewollt von unserem Kind, weil wir kaum mehr stärkende, sich leicht anfühlende Zeiten zusammen erleben."
Im Tun bleiben
Statt dem Impuls, sich in den Rückzugsmodus zu begeben, zu folgen, rät sie, ins Tun zu kommen: "Das könnte zum Beispiel sein: aktiv für Verbindungszeiten sorgen." Auch ein positiver Blick sei wesentlich: "Man kann die gewonnene Freiheit genießen, wenn bisher immer Mama am Zug war und plötzlich nur Papa gefordert wird."
Vor allem Paare, die eine gleichberechtigte Elternschaft pflegen, sind oft überrascht von solchen Dynamiken. "Es ist in der Regel kein Zeichen dafür, dass etwas schiefläuft, wenn Kinder trotz gleichberechtigter Elternschaft eine Mama- oder Papavorliebe haben – und sagt nichts über die Qualität der Beziehungen aus", sagt Grütze. "Vielleicht gestaltet Papa das Wickeln einfach lustiger als Mama, oder Mama liest bei der Einschlafbegleitung mehr Bücher vor. Kinder haben ein gutes Gespür dafür, was und wen sie wann brauchen."
Den Alltag streng nach den Vorlieben eines Kindes auszurichten, ist selten möglich. "In solchen Situationen ist es wichtig, dem Kind einfühlsam zu erklären, warum man den geäußerten Wunsch ablehnt und gleichzeitig die Aktivität mit dem anderen Elternteil schmackhaft zu machen", empfiehlt Tuttinger. Von eisernem Zwang rät sie ab.
Vertrauen lernen
Grütze plädiert ebenfalls für achtsames Vorgehen: "Wir müssen nicht jedem Wunsch des Kindes nachgehen – wohl aber auf seine Bedürfnisse achten." Vor allem beim Zubettgeh-Szenario gehe es oft um das Gefühl von Sicherheit. "Möchte das Kind lieber die Mama, weil es die Mama gewohnt ist und Mama die größere Sicherheit bedeutet? Dann könnte der Papa Stück für Stück in die Abendroutine eingebaut werden und hier behutsam immer mehr Dinge übernehmen."
Oft übernimmt der bevorzugte Elternteil reflexartig die Regie. Mit der Gefahr, dass sich der andere als unzulänglich erlebt. "Wenn das laufend passiert, stärkt das die bestehende Dynamik und kann in Paarkonflikte münden", sagt Tuttinger, die Müttern wie Vätern nahelegt, dem jeweils anderen Raum zu geben, um eine vertrauensvolle Bindung zum Nachwuchs aufzubauen.
Vertrauen ist auch für Grütze zentral: "Wir dürfen grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Beziehung unseres Partners zu unserem Kind tragfähig ist. Und er oder sie das auf seine Weise gut hinbekommen wird."
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