"Füße sind am ehrlichsten"
Obwohl er am anderen Ende der Telefonleitung sitzt, errät der ehemalige FBI-Agent Joe Navarro, dass sich die Redakteurin bei seiner Frage, gerade in den Nacken greift. Was dieses Verhalten bedeutet und welche Menschen schwer zu durchschauen sind, erklärt der Experte für Körpersprache im Interview.
KURIER: Mr. Navarro, welcher Körperteil ist am ehrlichsten?
Joe Navarro: Die Füße, denn sie können wir nicht so gut kontrollieren wie das Gesicht. Wenn jemand mit Ihnen am Tisch sitzt, aber eigentlich schon ganz woanders sein möchte, dann lächelt er vielleicht noch, aber seine Füße zeigen unbewusst bereits in eine andere Richtung.
Ihr erster Blick gilt also immer den Füßen.
Ich beobachte den ganzen Menschen. Jeder Körperteil zeigt uns, was gerade im Gehirn vor sich geht. Aber, um auf die Füße zurückzukommen, wenn ich jemanden befrage und er die Füße ruckartig zurückzieht oder seine Fußgelenke um die Sesselbeine schlingt, ist es wahrscheinlich, dass ihm die Frage nicht gefällt. Ich weiß, dass etwas nicht stimmt und hake nach.
Dabei handelt es sich um einen natürlichen Instinkt.
Welche Menschen sind besonders schwer zu durchschauen?
Wir nennen sie Politiker (lacht). Ihre Reden sind einstudiert und werden genau analysiert. Es ist schwierig herauszufinden, ob es Wahrheit oder Lüge ist. Die Medien spielen hier eine wichtige Rolle. Wenn ein Reporter Fragen stellt, auf die ein Politiker nicht vorbereitet ist, wird seine Unsicherheit bei den Lippen sichtbar. Wenn er unter Stress steht, oder sich Sorgen macht, zieht er die Lippen so dünn zusammen, bis sie nicht mehr sichtbar sind. Auch sich im Nacken berühren oder massieren, zeigt, dass wir unsicher sind, uns bedroht fühlen oder Angst haben. Viele kennen diese Bedeutung nicht.
Körpersprache kann auch zu Missverständnissen führen.
Gibt es auch verbale Anzeichen, ob jemand lügt?
Lügner versuchen zu überzeugen und haben Details parat. Während die ehrliche Person auf die Frage, was sie gestern Abend getan hat, sagt, dass sie zu Hause vor dem Fernseher saß, wird die unehrliche Person ihren ganzen Tagesablauf erzählen. Eine andere Sache ist, dass Lügner nicht emotional sind. Wenn ich jemanden frage, ob er die Frau getötet hat, wird mir der Lügner ruhig antworten: ,Ich habe mit dieser Frau nichts zu tun‘. Ein Unschuldiger würde schreien.
Das erinnert mich an Bill Clinton, als er die Affäre zu Monica Lewinsky leugnete.
Genau, als er sagte: ,I did not have sexual relations with that woman, Mrs. Lewinsky‘ war das nicht empathisch, sondern ein Statement. Mit der Betonung auf ,diese‘ Frau gab er uns einen Hinweis. Diese verbale Distanzierung ist Selbstschutz. Das passiert auch oft in Familien. Hat das Kind die Lampe zerstört, sagt ein Elternteil: DEINE Tochter hat die Lampe fallen lassen.
Sie haben 25 Jahre für das FBI gearbeitet. Räumen Sie bitte mit unseren Klischeebildern von Verhören auf.
Können Sie abschalten, oder observieren Sie in der Freizeit?Es ist wie eine Software, die im Hintergrund läuft. Ich beobachte die Leute nicht direkt, aber ich achte darauf, wie sie sich fühlen. Wenn ich einen Raum betrete, merke ich, ohne die Gespräche zu kennen, an den Gesichtern und Füßen, was vorgeht.
Was nützt uns dieses Wissen über Körpersprache?
Es erlaubt uns, auf einer tieferen Ebene zu kommunizieren. Und es ist sinnvoll zu sehen, was sagt das Herz eines Menschen, wie meint er Dinge wirklich. Das ist nützlich für Beziehungen aller Art. Natürlich ist es auch für Personalisten bedeutsam. Bewerber geben sich immer öfter als jemand aus, der sie nicht sind.
Seine Nase hat ihn verraten – darin sind sich amerikanische Psychiater einig. Als Sonderermittler Kenneth Starr den damaligen US-Präsident Bill Clinton im August 1998 vor der Grand Jury fragte, ob er mit der Praktikantin Monica Lewinsky Sex hatte, rieb sich Clinton immer wieder an der Nase. Exakt 0,26 Mal pro Minute. Alan Hirsch und Charles Wolf von der Universität Illinois analysierten 23 Minuten von Clintons Aussagen. Das Ergebnis: Er schwindelte sich durch die Fragen.
Beim Lügen werden Hormone freigesetzt, die den Blutfluss in der Nase stärken. Dadurch schwillt das Gewebe an und löst ein stechendes Gefühl aus. So beobachteten es die Forscher auch bei Clinton: „Seine Nase juckte, weil sein Herz schneller schlug und deshalb mehr Blut in die Nase pumpte. Wenn er die Wahrheit sagte, hat er nicht ein einziges Mal seine Nase berührt.“
Die Wissenschaftler berufen sich bei ihren Studien auf 23 Indikatoren. Neben Stottern, Augenzwinkern und Nase reiben gehört auch verlangsamtes Augenzwinkern zu den Anzeichen. Auf den ehemaligen US-Präsidenten trafen insgesamt 20 Indikatoren zu. Bei solchen Ergebnissen hätte Clinton auch ein starker Schnupfen nicht mehr retten können.
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