Im Stich gelassen: Schmerzpatienten warten zu lange auf Hilfe

Der 20. Oktober soll das Bewusstsein für Knochenschwund fördern.
Im Schnitt (!) dauert es zweieinhalb Jahre bis ein Schmerzpatient eine Diagnose bekommt – mit fatalen Folgen für die Betroffenen, aber auch für die Wirtschaft.

Denken Sie an das letzte Mal, dass Sie Zahn- oder Rückenschmerzen hatten – und stellen Sie sich vor, dass der Schmerz monatelang nicht verschwindet und Sie Tag und Nacht quält. Ein unerträglicher Zustand, mit dem rund 1,8 Millionen Österreicher leben müssen. Oft verschreibt der Arzt ein Pulver, der nächste schickt den Patienten zu einem anderen Arzt weiter und der meint nur noch: „Da kann man nichts machen – die Schmerzen müssen Sie aushalten.“

In ihrer Verzweiflung suchen viele Betroffene im Internet nach Lösungen, tauschen sich in Selbsthilfegruppen aus und versuchen, sich mit Selbstdiagnosen zu helfen. Die österreichische Schmerz-Allianz, die 56 Selbsthilfegruppen vereint (www.schmerz-allianz.at), ist tagtäglich mit Schicksalen von leidenden Menschen konfrontiert.

Ein untragbarer Zustand, findet Gabriele Grögl-Aringer, Präsidentin der Österr. Schmerzgesellschaft: „Jeder Arzt hat mit Schmerzen zu tun, sobald er mit Patienten Kontakt hat. Es ist beschämend, dass Schmerzmedizin nicht verpflichtend Teil der Ausbildung jedes Mediziners ist.“ Wie prekär die Versorgung von Schmerzpatienten in Österreich ist, zeigte sie gemeinsam mit anderen Experten beim „Interdisziplinären Schmerzdialog“ auf, der von Sanofi-Aventis initiiert wurde.

Lange Wartezeiten

So muss ein Betroffener bis zu vier Monate auf einen Ersttermin in einer spezialisierten Schmerzambulanz warten. In Wien, Oberösterreich und Salzburg kommen auf ein Schmerzzentrum 200.000 Einwohner. Gerade bei Schmerzpatienten ist noch dazu ein umfassendes Diagnose-Gespräch mit hohem Zeitaufwand nötig, um den Ursachen auf den Grund zu gehen und die richtige Therapie zu finden. Vom Beginn der Schmerzen bis zur Erstellung einer Diagnose vergehen im Durchschnitt (!) rund zweieinhalb Jahre.

In dieser Zeit müssen Patienten nicht nur den Schmerz ertragen, viele können dadurch nicht arbeiten oder sind oft krank und fürchten um ihren Arbeitsplatz – jeder dritte Schmerzpatient ist berufsunfähig. Laut internationalen Berechnungen summieren sich die Kosten für Schmerzpatienten durch indirekte Kosten wie Krankenstände und Frühpensionierungen auf bis zu drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Grögl-Aringer fordert daher eine zentrale Bedarfsplanung und fordert die Politik auf, ihrem Versorgungsauftrag nachzukommen. „Außerdem müssen Leistungen wie das nötige, umfassende diagnostisch-therapeutische Gespräch im Leistungskatalog der Krankenkassen abgegolten werden.“

Frauen leiden anders

Zu den besonderen Herausforderungen in der Schmerzmedizin kommen die Geschlechterunterschiede. Frauen und Männer nehmen Schmerzen unterschiedlich wahr, sie reden anders darüber und Schmerzmittel wirken sogar auf andere Art und Weise, erklärt die Gendermedizinerin Univ.-Prof. Alexandra Kautzky-Willer von der MedUni Wien. So spielen Sexualhormone eine große Rolle bei der Schmerzwahrnehmung: „Das Empfinden ist zyklusabhängig. Östrogen wirkt bei Frauen eher schmerzverstärkend. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Frauen generell mehr Beschwerden haben – egal, welches Organsystem betroffen ist.“

Je nachdem, ob Patient und Arzt Mann oder Frau sind, werden Beschwerden im Arzt-Patienten-Verhältnis auch anders kommuniziert.

Fehlende Regelungen

Blickt man über den österreichischen Tellerrand, gibt es einiges an Aufholbedarf. Eva Höltl, Leiterin des Gesundheitszentrums der Erste Bank Group verweist etwa auf das Präventionsgesetz in Deutschland, das Gesundheitsförderung an Schulen und am Arbeitsplatz vorsieht. „Da ist zentral geregelt, wer dafür zuständig ist, wie das gemacht wird und wer dafür bezahlt. Das fehlt bei uns derzeit komplett“, kritisiert Höltl in Bezug auf Prävention und Versorgung. In Österreich gebe es viele gute Projekte, die aber auf dem persönlichen Engagement Einzelner aufgebaut sind. „Es kann nicht immer alles auf Eigeninitiative basieren. Wir brauchen eine bessere Vernetzung aller Therapiebereiche für eine strukturierte Verbesserung der Schmerzversorgung“, betont Prim. Univ.-Prof Rudolf Likar von der Schmerzgesellschaft.

Rückkehr in den Job

Bei der Gelegenheit kritisiert Höltl auch die Aufklärung über Wiedereinstiegsmöglichkeiten: „Die Wiedereingliederungsteilzeit ist bei vielen Medizinern noch unbekannt. Das Modell muss vereinfacht werden, aber viele wissen nicht, dass betroffene Patienten bei bis zu 80 Prozent Bezahlung Teilzeit wieder in den Job einsteigen können.“

Was die Ministerin dazu sagt

Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein ließ sich beim Schmerzdialog übrigens entschuldigen. Am Abend nach der Veröffentlichung des Artikels in der Zeitung gab es aus dem Minister-Büro schließlich eine Stellungnahme zu den KURIER-Fragen, die hier ungekürzt veröffentlicht wird:

KURIER: Inwiefern ist Ihnen die mangelhafte Schmerzversorgung in Österreich bewusst? (mehrmonatige Wartezeiten auf einen Ersttermin in einer Schmerzambulanz, rund 2,5 Jahre bis zur Diagnose)

Minister-Büro: Nicht bewiesen, Behauptung. Selbstverständlich ist es ein großes Anliegen der Gesundheitspolitik, eine flächendeckende und abgestufte Versorgung für Schmerzpatientinnen und -patienten sicherzustellen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Schmerzversorgung eine Querschnittmaterie und Aufgabe vieler, verschiedenster Gesundheitsdienste-Anbieter/innen ist und daher sowohl in interdisziplinären Schmerzambulanzen als auch in Spezialambulanzen (z. B. Rheuma), die als Teil von Krankenanstalten in Verantwortung der Länder betrieben werden, insbesondere jedoch im extramuralen Bereich erfolgt und damit ( Finanzierung) durch die Krankenkassen ein Versorgungsauftrag besteht. 

In der Ärztinnen-/Ärzte-Ausbildungsordnung (ÄAO 2015) ist in der Ausbildung der Allgemeinmedizin und in der Ausbildung zum Facharzt die „Schmerztherapie“ und „fachspezifische Schmerztherapie“ vor. Darüber hinaus wird ein ÖÄK-Diplom ,,Spezielle Schmerztherapie" angeboten. Die wesentlichen Inhalte sind ein interdisziplinäres Basiscurriculum über 120 Stunden und die strukturierte schmerzmedizinische Praxis im Ausmaß von 80 Stunden. In Planung ist des Weiteren eine Spezialisierung „ Schmerzmedizin“ in der Dauer von ca. 3 Jahren.

Welche Maßnahmen stehen im Fokus des Gesundheitsministeriums, um die Schmerzversorgung in Österreich zu verbessern?

Darüber hinaus wird die Schmerzversorgung zu den zentralen Aufgaben der neuen teambasierten Primärversorgung zählen, so ist das Thema Schmerzmanagement in der Primärversorgungs-Einheit gem. Aufgabenprofil ÖSG 2017 bereits als Basisaufgabe festgelegt

Es wird derzeit an einem Bundesqualitätsstandards für chronische Rückenschmerzen gearbeitet, im Rahmen der Zielsteuerung Gesundheit. Fertiggestellt ist eine evidenzbasierte medizinische Leitlinie, in der rund 10 akkreditierten, inhaltlich betroffenen Fachgesellschaften der Österreichischen Ärztekammer einbezogen sind. Ein österreichweit gültiger Qualitätsstandard gem. Gesundheitsqualitätsgesetz basiert auf den aktuellen evidenzbasierten medizinischen Leitlinien und soll insbesondere die Versorgungsprozesse über alle Sektoren hinweg patientenorientiert, effizient und effektiv beschreiben. Die Empfehlungen des Standards können und müssen den regionalen Rahmenbedingungen und Erfordernisse angepasst von den zuständigen Entscheidungsträgern umgesetzt werden, hier sind insbesondere die Länder und die Sozialversicherungsträger gefragt.  So können auch erfolgreiche regionale Projekte und Aktivitäten berücksichtigt werden

 Gibt es so etwas wie einen Aktionsplan oder ist so etwas in Arbeit?

Es gibt ein Arbeitsprogramm, das derzeit in Umsetzung/ Abarbeitung ist.

Immer wieder werden gut funktionierende Einzelprojekte vorgestellt, die aber auf Initiative einzelner Protagonisten basieren – gibt es Pläne, bewährte Projekte strukturell bzw. landesweit zu etablieren?

Im Zuge der Erstellung des Bundesqualitätsstandards Chronischer Rückenschmerz werden die Ergebnisse aus erfolgreichen regionalen Projekten berücksichtigt und – soweit sinnvoll und möglich - mit dem Bundesqualitätsstandard in weiterer Folge bundesweit umgesetzt.

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