Zuckerersatz Erythrit: Erhöht er das Risiko für Herz-Krankheiten?
Eigentlich ist Erythrit (auch Erythritol oder E 968 genannt) als besonders gut verträglicher Zuckeraustauschstoff bekannt. Häufig wird Erythrit als kalorienfreie Zuckeralternative in energiereduzierten Lebensmitteln verwendet. Jetzt stellt allerdings eine Studie, die im Fachjournal Nature Medicine erschienen ist, eine Verbindung zwischen dem Süßungsmittel und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer gesteigerten Blutgerinnung her - der Prozess, bei dem es als letztem Schritt zur Bildung von Blutgerinnseln kommt.
Die Forscher untersuchten die Blutproben von 1.157 Personen, die ein hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten. Bei denjenigen, die über den Beobachtungszeitraum von drei Jahren eine schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikation hatten, wie etwa einen Herzinfarkt, stießen sie im Plasma auf eine gesteigerte Konzentration einiger sogenannter Zuckeralkohole (Polyole), darunter insbesondere der Zuckeraustauschstoff Erythrit.
Erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel
Dies bestätigte sich in Analysen mit weiteren Personen, die ebenfalls zu einem hohen Anteil von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und diesbezüglichen Risikofaktoren, einschließlich Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit, betroffen waren. Eine Gruppe stammte aus den USA und umfasst 2.149 Probandinnen und Probanden, die zweite aus Europa und umfasste 833 Personen aus Deutschland.
Weitere Untersuchungen ergaben, dass eine Zugabe von Erythrit zu Blut oder Blutplättchen zu einer beschleunigten Blutgerinnung führte - also einem erhöhten Risiko für Blutgerinnsel.
Zuletzt wurde eine Studie mit acht gesunden Personen durchgeführt, die ein mit 30 Gramm Erythrit gesüßtes Getränk zu sich nahmen. Der Süßmittelgehalt dieses Getränks ist laut Studie vergleichbar mit einer Dose handelsüblichem künstlich gesüßten Getränk oder 500 Milliliter Diät-Eiscreme.
Der Verzehr dieses Getränkes erhöhte den Erythritspiegel im Blut über einen Zeitraum von zwei Tage so sehr, dass er laut der Forschenden weit über der Schwelle lag, bei der zuvor signifikante Hinweise auf eine veränderte Blutplättchenaktivität beobachtet wurden.
Harald Schulze, Professor für Experimentelle Hämostaseologie (Lehre von der Blutgerinnung), erklärte in einer Stellungnahme gegenüber dem deutschen Sciencemediacenter, dass aus seiner Sicht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Konsum von Zuckerersatzstoffen wie Erythrit und einem erhöhten Risiko für schwere Herz-Komplikationen gezogen werden könne.
Schließlich hätten die ersten drei Gruppen generell aus Patienten bestanden, die bereits ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislaufkomplikationen haben. Und: Eine Übertragung der Studienergebnisse auf den Konsum Erythrit-haltiger Produkte könne mit dem Design dieser Studie nicht gezogen werden.
"Nur zufällig" erhöht?
Ähnlich sieht das Stoffwechselexperte Stefan Kabisch von der Charité-Universitätsmedizin in Berlin: Die Studie kombiniere Daten aus mehreren Beobachtungsstudien. Hohe Erythritspiegel standen zwar in einer "statistischen Beziehung" mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die typischerweise durch Störungen der Blutgerinnung begleitet sind.
Dieses Ergebnis könne aber auf sogenannten Scheinkorrelationen und Störgrößen beruhen: "Typischerweise sind Personen mit hohem Konsum von Zuckerersatzstoffen adipöser, metabolisch kränker und haben einen insgesamt ungesünderen Lebensstil. All diese Faktoren könnten dann die eigentlichen Ursachen für das höhere kardiovaskuläre Risiko sein, während Erythrit ‚nur zufällig‘ miterhöht ist.“
Kritisiert wird an der Arbeit auch, dass nicht zwischen der Eigenproduktion von Erythrit und dem Konsum von Erythrit unterschieden werden konnte. Erythrit kann vom Körper selbst hergestellt werden, zum Beispiel wenn der Blutzucker hoch ist. Damit versucht der Körper den Zucker rasch abzubauen. Ein zu hoher Blutzuckerspiegel kommt bei Übergewicht und bei Diabetikern vor, aber auch bei Menschen, die viel Zucker konsumieren. Hoher Zuckerkonsum ist mitverantwortlich für ein erhöhtes Herzinfarktrisiko.
Eine erhöhte Erythritkonzentration im Blut könne also die Folge von hoher Eigenproduktion sein und werde nicht ausschließlich bei entsprechendem Konsum von Erythrit beobachtet, sagen die Schweizer Wissenschafterinnen Anne Christin Meyer-Gerspach und Bettina Wölnerhanssen von der St. Clara Forschung in Wien.
Und: Die notwendige Dosis für einen Effekt auf das statistische Herzrisiko beziehungsweise auf eine Wirkung auf das Gerinnungssystem seien möglicherweise so hoch, "dass die meisten Menschen sie auch mit dem heute üblichen Ernährungsmuster und der verfügbaren Produktpalette nicht erreichen", sagt Kabisch.
Möglicherweise löst auch nur pures Erythrit diese Gerinnungssteigerung aus, "Erythrit als Teil einer komplexen Ernährung vielleicht nicht." Jedenfalls sei die Studie ein überfälliger Impuls dafür, auch bereits zugelassene Nahrungsmittel-Zusatzstoffe wie Süßungsmittel intensiver zu beforschen. Fazit für Kabisch: "Für eine Warnung vor Zuckerersatzstoffen ist es zu früh. Der Wechsel zurück zum Zucker ist vermutlich nicht der gesündere Weg."
Ähnlich sieht das auch Jürgen König, Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften der Uni Wien: "Eine Übertragbarkeit auf die allgemeine Bevölkerung ist aufgrund des Studiendesigns nicht gegeben. Die Autoren weisen zurecht darauf hin, dass es weiterer (Langzeit-)Studien bedarf, um die Sicherheit von Erythritol zu bewerten."
Erythrit lässt sich in größeren Mengen ohne Verdauungsbeschwerden verzehren, bei anderen Zuckerersatzstoffen wie Sorbit oder Xylit sei dies nicht der Fall. Erythrit wird vom menschlichen Körper kaum verstoffwechselt und fast vollständig über die Nieren ausgeschieden, sodass die Substanz fast kalorienfrei ist.
Und was bedeutet das für die Konsumenten?
Dazu Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der TU München: "Die Antwort ist relativ trivial: ein mäßiger Konsum von Zucker (Saccharose) von weniger als fünf bis zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr, also 25 bis 50 Gramm Zucker täglich für einen erwachsenen Menschen, ist akzeptabel und unbedenklich. Bei der Verwendung von Zuckerersatzstoffen, welcher Art auch immer, haben wir zwar viele und teilweise widersprüchliche Kurzzeitbefunde, wissen aber sehr wenig über mögliche Langzeitfolgen, nicht nur mit Blick auf Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Krankheiten, sondern auch auf das Krebsrisiko. Aber auch hier gilt derzeit, dass ein moderater Verzehr damit gesüßter Lebensmittel und Getränke nicht ‚toxisch‘ ist."
Gerade neue Studien würden aber immer deutlicher machen, dass hochverarbeitete Lebensmittel diverse Gesundheitsrisiken beinhalten können: "Damit landen wir schnell bei der wenig aufregenden, aber wirklich gut belegten Empfehlung für eine pflanzlich betonte und wenig verarbeitete Ernährung."
Erythrit hat einen süßen Grundgeschmack, der bei zirka 50 bis 80 Prozent der Süße von handelsüblichem Rohrzucker liegt.
Obwohl Erythrit in geringen Mengen vom Körper selbst produziert wird und in natürlichen Nahrungsmitteln, wie Früchten und fermentierten Lebensmitteln vorkommt, zählt es als Zusatzstoff und bedarf somit in Europa einer Zulassung. Bewertungen des Wissenschaftlichen Lebensmittelausschusses der Europäischen Union, sowie zuletzt im Jahre 2015 der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ergaben keine gesundheitlichen Bedenken gegen die Verwendung von Erythrit.
Bei Produkten, die zu mehr als zehn Prozent aus Zuckeralkoholen bestehen, muss lediglich darauf hingewiesen werden, dass sie bei übermäßigem Verzehr abführend wirken können. Somit stellt Erythrit einen von derzeit acht in der EU zugelassenen Zuckeraustauschstoffe dar und darf bestimmten industriell gefertigten Lebensmitteln ohne Mengenbegrenzung zugesetzt werden.
Sowohl Zuckeraustauschstoffe als auch Süßstoffe, wie beispielsweise Aspartam, kommen immer häufiger in Lebensmitteln zum Einsatz. Gerade vorerkrankten Personen werden sie oft als gesündere Zuckeralternative empfohlen. Dennoch gibt es bisher nur wenige Langzeitstudien zu ihrer Wirkung. Dabei spielt die Bewertung ihrer Sicherheit und Unbedenklichkeit eine erhebliche Rolle, wenn wie zuletzt wieder intensiv die Reduzierung von Zucker, etwa durch eine Zuckersteuer, diskutiert wird.
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