Entlang der Darm-Gehirn-Achse
Unser Magen-Darm-Trakt ist mit einem eigenen Nervensystem ausgestattet, das beispielsweise die zugeführten Lebensmittel auf ihre Nährstoffzusammensetzung analysiert, Ausscheidungsprozesse koordiniert und unsere Immunantwort beeinflusst. Bauch und Kopf verständigen sich kontinuierlich wechselseitig entlang der Darm-Gehirn-Achse über Nervenbahnen, Hormone oder auch Stoffwechselprodukte der Darmbakterien.
Dieses Kommunikationssystem hängt eng mit immunologischen, neurologischen und endokrinen Prozessen zusammen: Hier werden nicht nur Hungergefühl und Appetit gesteuert, sondern auch Stimmungslage und Emotionen beeinflusst.
„So liegt es nahe, dass auch unsere Ernährung eine wichtige Rolle in diesem komplexen Zusammenspiel einnimmt. Mittlerweile gibt es eine überzeugende wissenschaftliche Evidenz, dass Ernährungsinterventionen den Krankheitsverlauf und das Therapieansprechen von Menschen mit psychischen Erkrankungen beeinflussen“, erklärt Sabrina Mörkl, Fachärztin an der Klinischen Abteilung für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie, Med Uni Graz.
„Bislang werden Ernährungsinterventionen aber unzureichend im klinisch-psychiatrischen Alltag eingesetzt, vor allem da diese Inhalte bislang in der Ausbildung kaum vermittelt wurden“, führt Sonja Lackner vom Lehrstuhl für Immunologie, Otto Loewi Forschungszentrum für Gefäßbiologie, Immunologie und Entzündung der Med Uni Graz, hinzu.
Wahlfach „Nutritional Psychiatry“
Seit 2018 beschäftigen sich die Wissenschafterinnen gemeinsam mit weiteren nationalen und internationalen Lehrenden und Studierenden an der Med Uni Graz im Wahlfach „Nutritional Psychiatry“ mit dem Zusammenhang zwischen Ernährung und psychischem Wohlbefinden.
„Die Ernährungspsychiatrie ist ein spannendes und vielseitiges Feld, auch Aspekte der Mikrobiomforschung des Darms sowie Wechselwirkungen zwischen Psyche, Nervensystem und Immunsystem fließen in das Wahlfach mit ein“, sagt Sabrina Mörkl.
So führte das Team rund um die Forscherinnen in den letzten Monaten ein Projekt an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin durch, um die therapiebegleitende Relevanz ernährungstherapeutischer Maßnahmen an die Patienten und Patientinnen zu kommunizieren und durch praktische Einheiten auch die Ernährungskompetenz zu fördern.
Zudem wurde im Rahmen des Wahlfachs eine Einheit zur „Culinary Medicine“ durchgeführt, in der Studierende Gerichte entsprechend den Kriterien der Ernährungspsychiatrie zubereiteten.
Kulinarische Medizin in den Alltag integrieren
Die Schwerpunkte der Kochworkshops lagen auf der alltäglichen und saisonalen Einbeziehung der mediterranen Ernährung. Dabei wurden einige Lebensmittel besprochen, die die Therapie unterstützen können: beispielsweise Lebensmittel mit hohem Gehalt an Ballaststoffen, fermentierten Produkten, gewissen Eiweißen (wie Tyrosin und L-Tryptophan als Grundlage zur Bildung der Nervenbotenstoffe Serotonin, Dopamin und Noradrenalin) und Omega-3-Fettsäuren.
Auch Gewürze mit nachgewiesenen antidepressiven Effekten wie etwa Safran oder Kurkuma wurden eingesetzt. „Unserem Team war es vor allem auch wichtig, Ideen und Möglichkeiten aufzuzeigen, um jene Lebensmittel nachhaltig in den Alltag zu integrieren“, beschreibt Sonja Lackner.
Das ausgewogene Menü beinhaltete Rezepte des diätetischen Kochs und Ernährungstherapeuten Attila Varnagy, die sowohl unter Beachtung von Aspekten der mediterranen Ernährung, als auch unter kulinarischen und genusstherapeutischen Gesichtspunkten zusammengestellt wurden, um alle fünf Sinne zu aktivieren: prickelnde Weintrauben, gegrillte Kürbissülze auf Kimchi, Pastinakensuppe mit gerösteten Walnüssen sowie Tofu-Gemüse-Curry mit Rosinenreis und Vollkornnudeln mit Tomaten und Feta.
Guten Appetit und gutes Bauchgefühl
Während die prickelnden Weintrauben versetzt mit CO2 als „Aperitif“ vor allem Spaß machen und die Sinne aktivieren sollten, wurde bei den Hauptgerichten auf eine bunte, ballaststoffreiche Gemüsevielfalt für das Darmmikrobiom gesetzt.
Fermentiertes Gemüse wie Kimchi und auch das regionale Sauerkraut wurden als probiotische Nahrungsmittel zur Steigerung der Vielfalt der Darmbakterien eingesetzt.
Nüsse wie Walnüsse und Cashews lieferten wertvolle Fette und Aminosäuren – der Verzehr von rund 30 Gramm Nüssen pro Tag gilt beispielsweise als protektiv für Depressionen.
Der zusätzliche Einsatz von antioxidativen und antientzündlichen Gewürzen wie Kurkuma oder Safran wirkt sich nicht nur auf den Geschmack und die Optik von Gerichten, sondern auch nachweislich auf das Darmmikrobiom, das Immunsystem und die Stimmung aus.
„Entscheidender Aspekt bei der Umsetzung der Culinary Medicine ist auch das ‚Begreifen von Lebensmitteln‘ in der direkten Planung und Zubereitung von Speisen. Die Ernährungskompetenz trägt nachweislich zu mehr Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit und Resilienz bei“, so das Fazit von Jolana Wagner-Skacel von der Klinischen Abteilung für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie, Med Uni Graz, die neben Sabrina Mörkl maßgeblich an der Gründung des Wahlfaches beteiligt war und nach wie vor in der Umsetzung involviert ist.
Über das Wahlfach
Trotz der engen Verbindung zwischen Ernährung und Psyche fehlt es häufig an praktischen Ernährungskompetenzen sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten. Die Studierenden der Med Uni Graz sollen im Wahlfach „Nutritional Psychiatry“ ein Bewusstsein für das Potenzial kulinarischer Medizin bekommen.
Im Zentrum stehen eine theoretische Wissensvermittlung rund um die Themen Ernährung, Darm-Gehirn-Achse und Psyche, aber auch praktische Trainings, sodass das Wissen gefestigt wird und in Zukunft an Patienten und Patientinnen weitergegeben werden kann.
2019 wurde die praktische Lehreinheit mit dem Dr.-Michael-Hasiba-Preis, dem Förderungspreis der universitären Lehre in der Medizin der Ärztekammer Steiermark, ausgezeichnet.
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