Yoga: Was sich im Alter aus der meditativen Praxis schöpfen lässt

Im Flow: Bei den Sonnengrüßen beschleunigt sich der Puls der Kursteilnehmerinnen.
Drei langgezogene "Ohhhms" durchdringen den backsteinernen Gewölberaum im 17. Wiener Gemeindebezirk. Durch die Fenster dringt Morgenlicht. Auf dem Boden reihen sich salbeigrüne Naturkautschukmatten aneinander. In einer gusseisernen Laterne flackert eine Kerze, aus eleganten, fast raumhohen Boxen tönen zarte Flöten- und Trommeltöne.
Auf den Matten haben sich elf Frauen 60 plus im Schneidersitz in Position gebracht. "Willkommen und Namaste", sagt Tanja, die unter einem großen Ficus sitzt und die heutige Yogastunde leitet.
Die 35-Jährige bietet seit einem Jahr immer montags Yogakurse speziell für Seniorinnen und Senioren an.
Nach einer Anfangsmeditation und einigen Atemübungen im Liegen startet der Hauptteil. "Einige von euch haben mir rückgemeldet, dass sie die letzte Stunde noch spüren", sagt Tanja schmunzelnd. Die Gruppe kichert. "Heute haben wir ein abwechslungsreiches Ganzkörperprogramm auf dem Plan, wir beginnen im Stehen", skizziert sie.

Im Wandel: Tanja Feldbacher praktiziert seit zehn Jahren Yoga, seit einiger Zeit mit älteren Menschen.
Asanas kennen kein Alter
Zum Yoga kam Tanja, "weil ich etwas gesucht habe, das meine Leidenschaft für Bewegung und meine Liebe zum Lehren verbindet", erzählt die gebürtige Bayerin. Die Idee zu einem eigens für Seniorinnen und Senioren gestalteten Kurs kam ihr vor rund eineinhalb Jahren. "Damals habe ich an der Volkshochschule unterrichtet und gemerkt, dass es hier Bedarf gibt."
Der Zulauf gibt ihr Recht. "Mit Tanja hat es auf Anhieb gepasst, ihre Kurse sind wirklich ein ganzheitlicher Genuss", schwärmt Sabine, die nach einer Trennung in einer Neufindungsphase steckt und dank Yoga nun wieder besser schlafen kann. Mit Online-Yogakursen hat sie keine guten Erfahrungen gemacht. "Da übernimmt man sich leicht", erklärt sie.
Ähnliches berichten Sonja und Barbara, die schon seit einiger Zeit Yoga praktizieren: "Manche altersmäßig gemischten Kurse waren heftig", erinnert sich Sonja, die an Parkinson leidet und Yoga wegen des positiven Einflusses auf ihren Gleichgewichtssinn schätzt. "Wir haben uns durchgewurschtelt neben den Jungen und unzulänglich gefühlt", pflichtet Barbara bei. Bei Tanja sei das anders: "Man ist einfach nicht mehr so beweglich, aber hier sind Gleiche unter Gleichen. Die eine plagt sich damit mehr, die andere weniger, aber alle können mitmachen. Ein echt wertvolles Körpererlebnis."

Im Flow: Bei den Sonnengrüßen beschleunigt sich der Puls der Kursteilnehmerinnen.
Begegnungsraum: Yoga mit Sahne
Einmal im Monat bietet Tanja "Yoga mit Sahne" für ältere Yoga-Interessierte an. „Wir manche eine Stunde Yoga und gehen dann zusammen ins Kaffeehaus“, beschreibt sie. Kosten: 15 Euro. Nächster Termin: Donnerstag, 3. April, 10 bis 12 Uhr. Adresse: Hormayrgasse 1, 1170. Infos unter: www.kukurma.at
E wie Einsteiger
Am Montag, den 24. März, bietet Tanja jeweils von 11 bis 12:15 Uhr Schnupperstunden an. Kosten: 10 Euro. Infos unter: www.kukurma.at
Meditativ-sportliche Momente
Von stärkenden Wirkungen berichten auch andere Damen. "Durchs Yoga habe ich Muskeln zu spüren begonnen, die ich vorher nicht kannte", sagt Regina und lacht. "Ich bin wesentlich beweglicher, meine Koordination ist besser und ich bin achtsamer im Alltag, profitiere also auch mental", beschreibt Sabine. Tatsächlich schöpfen viele Kursteilnehmerinnen nicht nur körperlich aus den Stunden. "Die Ruhe und Entspannung bringt meinem Darm sehr viel", schildert Traude, die mehrere Darm-Operationen hinter sich hat.
Inzwischen strömen pulsierende Rhythmen durch den Raum. "st nur mir so warm oder geht es euch auch so?", fragt Tanja zur Auflockerung in die Runde. Nach mehreren Übungen in vorgebeugter Haltung, sogenannten Asanas, sind die Frauen am Boden angekommen. Die Kobra und einige andere Rückbeugen werden angeleitet. Wer glaubt, dass das angekündigte Ganzkörperprogramm damit schließt, irrt. "Das war nur die Vorbereitung", sagt Tanja, während sie zusammen mit den Teilnehmerinnen die Arme in die Höhe reckt, sie über die Seiten absenkt und in mehrere Sonnengrüße startet. Der Sonnengruß, eine fließende Abfolge von Asanas, die den ganzen Körper in Bewegung bringt, ist das Herzstück jeder Yogastunde.
Für ältere Yogis ist das mitunter eine Herausforderung. Deswegen passt Tanja ihre Sonnengrüße an. Und siehe da, alle machen mit. "Damit euch nicht schwindelig wird, bitte immer die Seite wechseln. Und jetzt mit der Kraft der Gruppe: noch fünf Mal", ermutigt Tanja. Immer wieder wandert sie durch die Reihen, korrigiert Haltungen, ermutigt mit sanften Berührungen tiefer in die Dehnung zu gehen. "Sabine, du darfst ruhig etwas weiter greifen", sagt Tanja, die alle Gruppenmitglieder beim Vornamen kennt. Die Intimität der Gruppe wird von den Seniorinnen besonders geschätzt: "Tanja bietet Variationen für alle an und es ist gut, wenn jemand darauf schaut, dass die Haltungen richtig ausgeführt werden."

Yoga ist für Tanja Feldbacher ein Gesamtpaket aus Dehnung, Kräftigung, Gleichgewichtstraining und Ruheimpulsen.
Grenzen achten lernen
Eigentlich ist Tanja studierte Tanzpädagogin. Das Üben mit älteren Menschen hat sie einen wohlwollenderen Umgang mit ihren eigenen Grenzen gelehrt: "Oft meinen Teilnehmer bei allen Übungen mithalten zu müssen oder wollen besser sein als der Nachbar, wobei das der Haltung des Yoga widerspricht. Die Arbeit mit älteren Menschen hat mich gelehrt, demütiger zu sein."
Als Lehrende darf sie, wie sie selbst sagt, "von der besonderen Zielgruppe wunderbar lernen: Mein Körper funktioniert noch anders und ich versuche, mich in meine Teilnehmerinnen hineinzuversetzen. Ich breche die Übungen stärker herunter, baue mehr Zwischenschritte ein, leite langsamer an, um Kreislauf und Gleichgewichtssinn nicht überzustrapazieren. Und plane immer wieder Ruhephasen ein", erläutert Tanja.
Männer verirren sich nach wie vor selten in Tanjas Kurse. "Die Männer trauen sich nicht so wirklich", sagt Traude, die in Leopoldau wohnt und für Tanjas Kurs den weiten Anfahrtsweg gerne in Kauf nimmt. "Sie empfinden Yoga immer noch als weibliche Tätigkeit, das ändert sich erst langsam", ergänzt Sonja. Ihrer Generation rät sie zu Mut zur meditativen Praxis: "Manche denken, dass es mit Anfang sechzig zu spät ist, um damit zu beginnen. Wir sind das beste Beispiel, dass das ganz und gar nicht stimmt."
Nach einigen abschließenden Bauch- und Dehnübungen im Liegen beginnt der genussvolle Teil: die Schlussentspannung, Shavasana genannt. Ein Schnaufen geht durch den Raum. Die Begleitmusik nimmt eine entschleunigtere Rhythmik an. In Socken und Decken gehüllt dürfen Körper und Geist zur Ruhe kommen. Zum Schluss bringt Tanja eine Klangschale aus Messing mit einem Filzschlägel zum Klingen. Die Teilnehmerinnen recken und strecken sich, kommen langsam wieder im Sitzen an. Tanja bedankt sich – und beschließt die Stunde mit einem dreifachen "Ohhhm".
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