Herbst-Winter-Depression: Was tun, wenn der Lichtmangel krank macht?

Nicht nasskaltes Wetter löst die Herbst-Winter-Depression aus, sondern der Lichtmangel.
Anfang November laufen bei Edda Winkler-Pjrek und ihrem Team die Telefone heiß. Die Psychiaterin leitet am Wiener AKH die Ambulanz für Herbst-Winter-Depressionen. "Mit der jährlichen Zeitumstellung Ende Oktober wird uns schlagartig eine Stunde Licht am Nachmittag genommen", weiß die Expertin. "Die vermehrte Finsternis empfinden viele als bedrückend."
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Neben Traurigkeit, Müdigkeit, Konzentrationsproblemen, Motivationsmangel und Heißhunger auf Kohlenhydrat- und Zuckerreiches, ist das Gefühl der Beklemmung bei der SAD, wie die saisonal abhängige (Winter)Depression auch genannt wird, zentral. Um sie von anderen Depressionsformen abzugrenzen, erfragt das Ambulanz-Team schon am Telefon Details zur depressiven Stimmung der betroffenen Anruferinnen und Anrufer.
Lichtmangel löst Symptome aus
Zwar gebe es viele depressive Patientinnen und Patienten, bei denen sich die Symptome in der kälteren Jahreshälfte verschlechtern. "Charakteristisch für die Winterdepression ist aber, dass man im Sommer und in den übrigen lichtreichen Monaten beschwerdefrei ist", führt Winkler-Pjrek aus. Im Herbst und Winter sind es dann nicht primär Kälte oder lange Regenperioden, die den Zustand triggern, "sondern der Lichtmangel".
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Die gute Nachricht: Gegen den Lichtmangel wurden Geräte erfunden – sogenannte Tageslichtlampen. "Die Lichttherapie ist auch das Mittel der ersten Wahl", sagt die Expertin. Am AKH werden die Lampen verliehen. Rund der Hälfte der Betroffenen kann damit Linderung verschafft werden. Ob sie helfen, zeigt sich schon nach wenigen Tagen. "Das ist der Vorteil", sagt Winkler-Pjrek. "Der Nachteil ist, dass der Effekt schnell verpufft, wenn man sich nicht täglich eine halbe Stunde davorsetzt." Parallel rät Winkler-Pjrek dazu, die Beleuchtung in Innenräumen anzupassen und möglichst hell zu gestalten.
Tageslichtlampen wirken hemmend auf das körpereigene Melatonin. Der als Schlafhormon bekannte Neurotransmitter wird bei Betroffenen falsch ausgeschüttet. "Tagsüber ist er zu hoch und macht müde, abends fehlt das abrupte Ansteigen des Spiegels, was bei gesunden Menschen für den Schlafimpuls sorgt."
Geschichte
Erstmals beschrieben wurde die Herbst-Winter-Depression 1984 von dem US-amerikanischen Psychiater Norman E. Rosenthal. Schon damals zeigte sich, dass die Erkrankung weder besonders junge noch besonders alte Menschen trifft, sondern vor allem bei Menschen mit wenig (beruflicher) Beschäftigung im Freien auftritt.
Statistik
Rund zwei bis drei Prozent der Bevölkerung sind in der kalten Jahreshälfte von einer Herbst-Winter-Depression betroffen. Eine leichtere Form, umgangssprachlich oft als Herbstblues tituliert, erleben bis zu 15 Prozent.
Studie
Für die Studie zur Wirkung von Omega-3-Fettsäuren bei Herbst-Winter-Depressionen sucht das Team von Edda Winkler-Pjrek noch Probandinnen und Probanden. Interessierte können sich direkt in der Ambulanz unter 01 40 400 35 470 melden.
Bewährte und neue Behandlungsformen für Betroffene
Auch herkömmliche Antidepressiva können die Beschwerden abflauen lassen. Eher neu ist ein Ansatz mit Omega-3-Fettsäuren, den auch Winkler-Pjrek erforscht. "Es gibt für die nicht saisonale Depression sehr gute Daten zur Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäuren. In der richtigen Dosierung können sie gleichwertige Effekte erzielen wie Antidepressiva." Die Fettsäuren kurbeln nicht etwa die Produktion von Melatonin an, sondern wirken gegen entzündliche Prozesse im Körper. Wer sich selbst in der Apotheke Präparate besorgen möchte, sollte darauf achten, dass sie viel Eicosapentaensäure (EPA) enthalten.
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Auf Social Media werden derzeit vermehrt Mood-Balance-Kapseln als wirkungsvoll gepriesen. Sie enthalten in der Regel Zink, Magnesium und diverse Vitamine. Winkler-Pjrek mahnt zur Vorsicht: "Für solche Kombi-Präparate gibt es keine Wirkbelege." Auch Vitamin-D-Tropfen wirken – entgegen landläufiger Meinung – nicht antidepressiv. Dennoch rät Winkler-Pjrek, im Spätsommer den Vitamin-D-Spiegel ärztlich anschauen zu lassen. "Ein Mangel begünstigt möglicherweise Müdigkeit und grippale Infekte, was erst recht wieder auf die Psyche schlagen kann."
Mit Vitamin D kann man sich auch durch Bewegung an der frischen Luft versorgen. Netter Nebeneffekt: Das Einfangen des spärlichen Sonnenlichts gibt meist auch psychisch Auftrieb. Nach einem aktivierenden Spaziergang löst die Gemütlichkeit daheim Wohlbefinden aus, auch Sozialkontakte sind Balsam für die Seele. Kohlenhydratreiche und süße Kost füttern die Depression – Obst, Gemüse und Fisch fördern hingegen die Stimmung.
Mehr Zeit für positive Gedanken
Der Spätsommer war heuer ungewöhnlich warm und sonnig. Eine gute Nachricht für saisonal depressive Menschen? "Jein", sagt Winkler-Pjrek. "Natürlich kann ein schöner Herbst das Problem mildern, aber es wird trotzdem später hell und früher finster." Außerdem, so die Expertin, müsste man tagsüber auch wirklich Zeit im Sonnenlicht verbringen, was unter der Woche für viele Berufstätige nur schwierig umzusetzen ist.
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Oft assoziieren und verknüpfen wir den Winter auch mit Düsternis, Einsamkeit und nasskaltem Unwohlsein. Diese tristen Gedanken legen sich wie ein Filter über unsere Wahrnehmung. "Manche Patientinnen und Patienten melden sich schon Ende August bei uns, weil sie Angst haben, dass die Depression wiederkommt." In solchen Fällen rät die Psychiaterin zum Zuwarten. "Bei vielen Betroffenen bleibt die Depression manchmal auch einfach aus."
Was abseits davon hilft: Geduld und Nachsicht mit sich selbst. Winkler-Pjrek: "Von außen wird verlangt, dass wir immer gleich gut funktionieren. Aber der Jahreszeitenwechsel erfordert immer eine Anpassungsleistung von Körper und Psyche. Das braucht Zeit."
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