Es gibt zum Beispiel irgendeine Form von Gewalt gegenüber dem Kind, es ist dieser ausgeliefert. Im wirklichen Leben kann es sich diesem Szenario nicht entziehen, also trennt es sich stellvertretend von seinen inneren Eltern. Oder im Falle einer Scheidung der Eltern kann das Kind diese Situation selbst nicht ändern. Im Inneren spiegelt sich die Situation in gewisser Weise wieder, das Kind trennt im Prinzip einen inneren Teil von sich ab. Der Elternteil geht im Prinzip im Inneren stellvertretend verloren. Im Außen muss das Kind die Situation ja bewältigen, entwickelt sich auch weiter. Im Inneren bleibt mitunter der einstige Konflikt als ganz tiefes Gefühl vorhanden. Der Konflikt muss aber gar kein so schweres Trauma sein. Es reicht bereits etwas aus, das sich damals einfach nicht lösen ließ und das Kind belastete.
Wie kann sich das im Erwachsenenalter auswirken?
Der Verlust der inneren Eltern macht, dass es für den Menschen gefühlt wieder so abläuft wie damals. Natürlich wird eine Person erwachsen und löst Konflikte. Es gibt Situationen, wo man wieder genau in diesem kindlichen Gefühl drinnen ist. Die inneren Eltern stellen die innere Stärke einer Person da – und an diese Stärke kommt man im Moment nicht ran. Im Konflikt verschwinden die inneren Eltern, dadurch haben wir keinen Zugriff auf eine freie Entscheidung.
Wie sind die „inneren Eltern“ eigentlich genau?
Viele stellen sich vor, die inneren Eltern sind so Wunsch-Märchenfiguren, die man sich baut und die einen an der Hand nehmen. So meine ich das gar nicht. Ich meine, dass man in einer bestimmten Situation den Zugriff auf das eigene Handeln nicht hat, dass das Nervensystem etwas anderes macht, als man gerne tun will. Das dreigeteilte System mit Vater, Mutter, Kind ist deshalb so ideal für Lösungen. Denn dieses Konzept muss nicht immer von Eltern-Kind-Problemen ausgehen. Aber Konflikte lassen sich damit sehr gut lösen.
Wie kann das funktionieren? Haben Sie dafür ein Beispiel?
Stellen Sie sich vor, jemand will eine Gehaltserhöhung, hat aber Angst, eine Forderung zu stellen. Der Hintergrund: Die Person hatte auch als Kind Probleme mit diesem Thema. Es ist eigentlich ein Klassiker: Bei einer Gehaltserhöhung muss man über seinen eigenen Wert sprechen. Das haben viele in ihrer Kindheit nicht gelernt.
Mit Hilfe der Vater-Mutter-Kind-Situation kann man das Thema gut darstellen. Ich lasse meine Klienten dann spontan entscheiden, ob der Chef oder das Geld für den Vater oder die Mutter steht – oder umgekehrt. Ebenso hole ich die ursprüngliche Situation aus der Kindheit der Klienten heran, etwa: Die Scheidung der Eltern führte zu Armut. Dann holen die Klienten die inneren Eltern heran, ich mache das bildlich, mit Zetteln. Das klingt banal, aber es ist ein entscheidender Moment, wenn die Klienten das wahrnehmen. Diese Erkenntnis verhilft dann dazu, seine frühere Stärke hervorzuholen.
Wo liegt diese?
Es geht darum, sich klar zu machen, dass die Eltern andere Personen sind als die inneren Eltern. Das heißt, die Person muss ihre inneren Eltern nicht trennen, weil sich die realen Eltern getrennt haben. Daher muss die Person auch nicht zwingend in die gleiche Notsituation kommen, wie es früher die eigene Mutter erlebt hat. Man kann mit diesem Konzept viele Varianten eines Gesprächs aufziehen. Es geht dabei aber immer um die Eigenermächtigung des Erwachsenen.
Info
Inneres Kind
Auf Social-Media-Plattformen wie Instagram liegt die Arbeit mit dem „inneren Kind“ im Trend, auch in Psychotherapien wird das Konzept genutzt und mittlerweile gibt es zahlreiche Bücher darüber. Vereinfacht gesagt, geht es darum: Verhaltensmuster im Erwachsenenalter können auf frühkindliche Prägungen zurückgehen oder schmerzhafte Erfahrungen wurden nicht verarbeitet. Das Konzept wurde ab den 1970er-Jahren durch die Psychologinnen und Psychologen Erika Chopich, Margaret Paul und John Bradshaw entwickelt
Buchtipp
Kim Fohlenstein, Das Vermächtnis der inneren Eltern, Verlag Scorpio, 19 Euro
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