Wie Stress und schlechtes Gewissen das Hungergefühl beeinflussen
Wir essen, wenn wir hungrig sind. Klingt einfach, aber in der Praxis ist es oft ganz anders. Denn das Ernährungsverhalten hängt von viel mehr Faktoren ab als nur vom Hunger – und selbst dieses ist sehr beeinflussbar, vor allem von Gefühlen.
Im Prinzip ist es ein Teufelskreis: Denn Hunger ist einerseits eine Stressreaktion, die häufig als Ärger, Zorn oder Wut fehlinterpretiert wird, und andererseits wirkt sich die aktuelle Stimmung auf das Essverhalten aus. Ein Thema, dem sich das forum.ernährung (f.eh) heute in der neuen Ausgabe seines Magazins widmet.
So fördern angenehme Emotionen die Nahrungsaufnahme. Der Körper ist dann verstärkt bereit, sich mit neuen Reizen – wie dem Essen – zu beschäftigen. Dagegen sind die körperlichen Reaktionen von intensiven „negativen“ Emotionen im Normalfall mit Essen nicht vereinbar, da sich der menschliche Körper unter Stress entweder auf die Flucht oder den Kampf vorbereitet.
Etwas anders verhält es sich bei chronischem Stress: Während die Hormone, die Hunger signalisieren (Ghrelin und Peptid Y), in höherer Konzentration vorliegen, sind Hormone, die Sättigungssignale vermitteln (z. B. Leptin, Insulin) reduziert. Etwa zwei Drittel der Menschen essen daher zwar nicht zwangsläufig mehr, jedoch häufig energiereicher, da sogenanntes Comfort Food – also hochkalorische Lebensmittel – negative Emotionen bzw. innere Anspannung regulieren.
Emotionale Esser
Menschen, die ihre Emotionen mit Essen regulieren, essen jedoch bei bereits mittelstarken emotionalen Belastungen nicht nur hochkalorischer, sondern auch mehr. Bei Stress bleibt bei ihnen nach dem Essen der Ghrelinspiegel unverändert, wohingegen sich der Hormonspiegel bei natürlichen Essern nach der Nahrungsaufnahme reduziert. Das deutet darauf hin, dass emotionsregulierende Esser mehr Comfort Food benötigen, um den stressinduzierten Ghrelinbedarf zu decken, weswegen sie unter Stressbedingungen mehr essen als intuitive Esser.
Essen als Bewältigungsmechanismus kann also als Ablenkungsstrategie gegen unangenehm erlebte Emotionen gesehen werden. Um dabei nicht zuzunehmen, schränken Betroffene ihr Essverhalten bewusst ein. Dieses Verbot führt allerdings dazu, dass solche Lebensmittel erst recht positiv bewertet werden: Eine laufende Willensunterdrückung erschöpft sich mit der Zeit und wird schwächer. Emotionen übernehmen dann die Kontrolle und der nächste Teufelskreis setzt ein: Gemiedene Speisen und Lebensmittel werden wieder verzehrt und nicht selten kommt es in Folge zu Essanfällen mit einem Cocktail an Glückshormonen. Ein positives Erlebnis, das im Nachhinein zu negativen Gefühlen wie Ärger oder Selbstzweifeln führt. Auf diese Weise verstärken sich die beiden Phasen wechselseitig.
Im Extremfall kann sich daraus eine Essstörung entwickeln. Schätzungen zufolge leiden aktuell 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung unter Anorexie (Magersucht), 2 bis 4 Prozent unter Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und 5 bis 10 Prozent unter der Binge Eating Disorder (Esssucht). Die Schwierigkeit bei Essstörungen sind die hohe Dunkelziffer und der fließende Übergang von einem veränderten Essverhalten zur Erkrankung.
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