Schmerzmittel-Dschungel: Welches Medikament hilft bei welchen Beschwerden?

Frau greift sich an den schmerzenden Rücken und Nacken.
Bis zu 1,8 Millionen Österreicherinnen und Österreicher sind ständig von Schmerzen geplagt. Welche Wirkstoffe welche Leiden lindern – und warum auch rezeptfreie Mittel mit Bedacht geschluckt werden sollten.

Stechend, ziehend oder brennend, dumpf bis pochend, krampfartig, drückend oder gar einschießend: Schmerzen können sich körperlich auf viele Arten bemerkbar machen. "Man unterscheidet grundsätzlich den akuten vom chronischen Schmerz", weiß Waltraud Stromer, Oberärztin an der Abteilung für Anästhesie und allgemeine Intensivmedizin am Landesklinikum Horn. Während akuter Schmerz bis zu drei Monate dauert, gehen chronische Schmerzzustände darüber hinaus.

"Bei akuten Zuständen sind korrekte Medikation und Therapie wesentlich, sonst besteht das Risiko einer Chronifizierung", sagt Stromer, auch Vizepräsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft. Dabei reduziert sich die Reizschwelle aller schmerzleitenden Zellen und Fasern, es kommt zu einer Schmerzverstärkung. "Es kann sogar vorkommen, dass die Schmerzleitung derart umfunktioniert wird, dass jede Berührung wehtut." In etwa jeder Fünfte leidet an einer chronischen Schmerzerkrankung. Bei den Betroffenen sei das Ziel laut Stromer nicht Schmerzfreiheit, sondern Schmerzlinderung.

Rezeptfrei heißt nicht harmlos

Schmerzmittel gehören in Österreich zu den meistverkauften Medikamenten in Apotheken, heißt es in der aktuellen Ausgabe des Verbrauchermagazins Konsument. Zu den am häufigsten eingenommenen rezeptfreien Präparaten zählen sogenannte nicht steroidale Antirheumatika (NSAR). Diese sind meist für leichte bis mittelstarke Schmerzen zugelassen und haben eine entzündungshemmende und fiebersenkende Wirkung. Zu den am häufigsten verwendeten rezeptfreien NSAR zählen Arzneien mit den Wirksubstanzen Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin), Ibuprofen und Naproxen.

"Diese Medikamente werden oft als harmlos angesehen, besitzen aber Organtoxizität", schildert Stromer. So könnten die genannten Arzneien etwa zu Schädigungen der Nieren, des Magen-Darm-Trakts oder des Herz-Kreislauf-Systems führen. "Bei ärztlicher Verschreibung müssen Grunderkrankungen und Begleitmedikation, zum Beispiel blutverdünnende Medikamente, berücksichtig werden, um Wechselwirkungen zu vermeiden." Bei einer selbstständigen Behandlung sollten sie nur in der geringsten effektiven Dosis und für die kürzest mögliche Zeit eingenommen werden. Der Wirkstoff Paracetamol, etwa in Mexalen, gilt als nebenwirkungsärmer. "Allerdings hat auch Mexalen ein Nebenwirkungspotenzial, kann etwa leber- und herzschädigend wirken."

Kombi-Mittel mit Risiken

Bei Kopfschmerz-Patienten sind Kombi-Präparate beliebt. Sie enthalten mehrere Schmerzwirkstoffe und Zusatzstoffe wie Koffein. Diese Analgetika bergen ein spezielles Nebenwirkungsrisiko: "Das Koffein führt zu einem rascheren Wirkungseintritt. Das kann therapeutisch sinnvoll, aber auch gefährlich sein. Wenn Kopfschmerz-Patienten Mittel mit Koffein, Paracetamol und Aspirin häufiger als an 15 Tagen pro Monat einnehmen, kann ein analgetisch induzierter Dauerkopfschmerz auftreten. Betroffene müssen dann wieder von den Präparaten entwöhnt werden."

Laut einer neuen australischen Studie könnten Ibuprofen und Paracetamol zudem bislang unterschätzte Treiber von Antibiotikaresistenzen sein, indem es Erregermutationen fördert – insbesondere, wenn die Mittel zusammen eingenommen werden.

Bestimmend für die Therapie ist grundsätzlich die Schmerzart: "Es gibt den nozizeptiven Gewebeschmerz, der Muskelbänder und Gelenke betreffen und auch viszerale Schmerzen an inneren Organen, etwa den Kopf oder den Unterleib, auslösen kann", erklärt Stromer. Noch unangenehmer sei der neuropathische Schmerz: "Das sind Schmerzen, die aufgrund von Nervenschädigungen auftreten." Etwa Phantomschmerzen, Schmerzen im Zuge eines Bandscheibenvorfalls mit Nervenwurzelirritation, des Karpaltunnelsyndroms, einer Polyneuropathie sowie einer Multiplen Sklerose oder auch nach einer Rückenmarksverletzung oder einem Schlaganfall. Gewebeschmerzen sprechen auf die meisten Schmerzmedikamente an, bei Nervenschmerzen wird auf Wirkstoffe zurückgegriffen, die die verletzten Nerven beruhigen. Die dem Schmerz zugrunde liegende Diagnose hat Einfluss auf die Medikation. "Werden Schmerzen durch einen Tumor mit Gewebe- und Nervenirritation ausgelöst, bedarf es anderer Wirkstoffe als etwa bei Kopfschmerzen", heißt es im Konsument-Bericht.

Grafik: Welcher Schmerz-Wirkstoff ist wann geeignet?

Die Psyche leidet mit

Es gibt auch Schmerzarten, bei denen beide Schmerzformen gleichzeitig auftreten sowie Schmerzen, bei denen vorrangig die Psyche als Auslöser eine Rolle spielt: sogenannte somatoforme Schmerzerkrankungen, die vorrangig mit speziellen Antidepressiva therapiert werden. Auch wenn emotionale Belastungen nicht ursächlich für den Schmerz verantwortlich sind, so wird die Psyche bei anhaltenden Schmerzen doch immer in Mitleidenschaft gezogen. "Insbesondere chronische Schmerzen führen zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität, des Schlafes, der Funktionalität und des sozialen Daseins", betont Stromer. 

Das Schmerzempfinden ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Beeinflussende Faktoren gibt es viele: "Etwa, wie man in der Familie mit Schmerz umgeht, genetische Parameter, die mitbestimmen, wie jene Enzyme im Organismus, die an der Verstoffwechselung von Medikamenten mitwirken, ausgebildet sind." Auch das Geschlecht spielt eine Rolle. Bekannt ist etwa, dass bei Frauen die Schmerzhemmung weniger ausgeprägt ist, Frauen leiden also leider mehr und öfter unter Schmerzen. Nicht zuletzt können auch psychische Erkrankungen, Depressionen oder Angsterkrankungen beispielsweise, das Schmerzempfinden verstärken. "All das macht Schmerz bei jedem Menschen individuell", fasst Stromer zusammen. 

Bei Patientinnen und Patienten mit komplexer Schmerzgeschichte ist eine multimodale, interdisziplinäre Therapie unabdingbar, betont Stromer. "Hier visieren wir eine bio-psycho-soziale Schmerztherapie an mit Psycho- und Physiotherapie begleitend zur Medikation."

Medikamentenengpässe in Österreich

Wenn Schmerzen sehr heftig sind, über längere Zeit andauern oder immer wiederkehren, sollte jedenfalls ärztlicher Rat eingeholt werden. Bei Kindern ist besondere Sorgfalt gefragt: "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und man muss sehr gut Bescheid wissen, wie viel Milligramm Wirkstoff pro Kilogramm Körpergewicht in welchen Zeitabständen möglich sind, damit es nicht zu Organschäden kommt." Auch bei hochbetagten Menschen müsse die Dosierung sehr sorgsam gewählt werden. 

Bei manchen Schmerzarzneien sind Generika erhältlich, die günstiger sind als Originalmedikamente. "Diese sollten an und für sich identisch wirksam sein", sagt Stromer. Seit geraumer Zeit stehe man in Österreich ohnehin vor dem Problem, "dass wir aufgrund eines Mangels an Schmerzpräparaten auf jede Art von Medikament zurückgreifen müssen, die den benötigten Wirkstoff enthalten". 

Grund für die Medikamentenengpässe sei unter anderen, "dass wir hierzulande Medikamente so billig wie möglich einkaufen wollen und Hersteller es dann vorziehen, Arzneien an andere Länder zu verkaufen, von denen sie mehr Geld dafür bekommen".

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