Warum wir Liebeskummer ernst nehmen sollten

Warum wir Liebeskummer ernst nehmen sollten
Liebeskummer kann jeden treffen und versetzt den Körper in Ausnahmezustand. Birgit Maurer von der Liebeskummerpraxis weiß, was hilft.

Fast jeder Mensch leidet mindestens einmal im Leben an Liebeskummer, einer emotionalen Notlage, die in Angst, Trauer, Verzweiflung aber auch Wut, Hass und Krankheit resultieren kann. Und das nicht nur bei Teenagern, sondern bei Menschen jeden Alters. "Liebeskummer setzt ein Stressprogramm für Körper, Geist und Seele in Gang. Der Kampf am Kriegsschauplatz der Gefühle entwickelt sich zu einem ganz persönlichen, intimen Leidensprozess, der nicht mit Pauschalratschlägen gestoppt oder gemildert werden kann", sagt Birgit Maurer, die 2008 die erste Liebeskummer-Praxis in Österreich gegründet hat.

Was sind denn die gängigsten Symptome bei Liebeskummer?

Birgit Maurer: Es gibt Symptome auf der körperlichen, seelischen, geistigen und sozialen Ebene. Diese können alle gleichzeitig auftreten oder eine Ebene ist ausgeprägter, das ist individuell. Manche wollen arbeiten gehen, andere sagen, sie sind arbeitsunfähig. Das häufigste Symptom ist jedoch die Lustlosigkeit in allen Lebensbereichen. Ganz häufig sind Essstörungen, wenn man nichts mehr runterbekommt, oder Frustfressen, um sich zu beruhigen. Aber auch Kopf- und Herzschmerzen sowie Schlaflosigkeit können auftreten. Liebeskummer ist eine Belastungssituation und da reagiert auch der Körper, wie die Sprichwörter schon sagen: Es zerbricht mir das Herz, das geht mir an die Nieren, mir krampft es den Magen zusammen. In ganz schwierigen Fällen kommen noch Suchtmittelmissbrauch oder suizidale Gedanken und Handlungen hinzu. Ich habe alle Leute bei mir, manche daten sich fast zu Tode und sind schon komplett erschöpft davon, und welche, die sich komplett in die Isolation zurückziehen und vereinsamen. Es kann sich auch eine Depression daraus entwickeln.

Wie ernst sollte man Liebeskummer aus psychologischer Sicht nehmen?

Zuerst ist da die Verzweiflung, die Kränkung, die Traurigkeit, die irgendwann auch in Wut, Hass und Rachegedanken umschlagen kann, was auch sehr viel Gift für den Körper bedeutet. Wenn die Lebensqualität so darunter leidet, dass man sich mit nichts anderem mehr beschäftigen kann, dann sollte man das unbedingt ernst nehmen. Es ist mir wichtig, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass Liebeskummer keine Teenagerkrankheit ist. Denn was geht uns näher, als wenn wir einen geliebten Menschen verlieren? Es ist etwas, das einen sehr aus der Bahn werfen kann. Wenn man kein Leben mehr führen kann, das eine gewisse Qualität hat, nicht mehr isst und trinkt, Suizidgedanken hat, Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, dann benötigt man auf jeden Fall Unterstützung. Sei es der Pfarrer, Freunde oder Familie. Wenn jemand zu sehr abmagert, braucht er zusätzlich auch ärztliche Unterstützung.

Kardiologen sprechen vom Broken-Heart-Syndrom, bei dem Liebeskummer das Herz unter Stress setzt und die Symptome einem Herzinfarkt ähneln. Wie kann das behandelt werden?

Die Patienten sind ein paar Tage im Krankenhaus, werden untersucht. Wenn organisch alles in Ordnung ist, geht es darum zu zeigen, dass es eine psychosomatische Reaktion ist, für die eine Psychotherapie nötig ist. Das bedeutet ein Auseinandersetzen mit Schmerz und Kummer. Manchmal ist es der erste Liebeskummer mit 30, nach einer langen ersten Partnerschaft. Da droht das Herz wirklich zu zerbrechen und man hat überhaupt keine Perspektive mehr. Aus dieser Hoffnungslosigkeit wieder rauszukommen, sich neu zu orientieren, ist ein mühevoller Prozess. Liebeskummer ist wie ein Entzug, das ist auch hirnpsychologisch nachgewiesen – mit Schweißausbrüchen, Zittern, Herzstechen, einem erhöhten Puls.

Wie behandeln Sie Liebeskummer in Ihrer Praxis?

Meistens kommt eingangs der Satz: „Das war die perfekte Beziehung.“ Wenn es die perfekte Beziehung gewesen wäre, dann wären Sie ja nicht da. Der, der getrennt wird, für den ist das oft total überraschend, obwohl die Entscheidung meist gut überlegt ist und nicht spontan getroffen wird. Reflektierend kommen die meisten dann drauf, dass in den letzten Monaten der Beziehung weniger Intimität und Zuwendung stattgefunden hat. Dann zerpflücken wir zwischen Idealisierung und Realität, bringen ein bisschen eine Distanz rein. Dann folgt der Prozess der Loslösung.

Warum wir Liebeskummer ernst nehmen sollten

Die Klinische-, Gesundheits- und Arbeitspsychologin leitet seit 2008 eine Liebeskummerpraxis in Wien und Graz

Wenn ich versuche, keinen Kontakt mehr zu meinem Ex-Partner zu haben: Ist das ein gutes Mittel gegen Liebeskummer?
Wenn es zum Ende einer Beziehung kommt, sollte man sich unbedingt einem Gespräch stellen. Wenn alles geklärt ist – von Kindern, Haus und Geld – und auch das Emotionale, dann sollte man den Kontakt abbrechen, bevor man sich im Kreis dreht. Nicht für immer und ewig, aber mal auf Distanz gehen. Denn trennen und trösten in einer Person geht nicht, das ist eine Quälerei. Nach einer langen Beziehung ist ja alles verflochten, man verliert ja nicht nur den Menschen, sondern auch die Gepflogenheiten, die Rituale, den Freundeskreis, die familiären Strukturen, manchmal auch berufliche Verknüpfungen. Das zu entflechten ist der Prozess, für den ich zur Verfügung stehe. Und ich nehme den Schmerz ernst. Fast alle meine Klienten berichten darüber, dass Liebeskummer nur als Teenagerkrankheit abgestempelt wird, wodurch sie beschämt sind.

Was kann man akut gegen den eigenen Liebeskummer tun?
Sich selbst trösten ist ganz wichtig, genau zu spüren, was mir guttut. Musik hören, lesen, Kunst, Kultur. Bewegung ist überhaupt super, weil viele verharren und das macht noch träger. Ein bisschen rausgehen, Perspektivenwechsel, aber sich nicht überfordern. Wenn Freunde auf den Putz hauen wollen, man selbst möchte aber nicht, dann braucht man das auch nicht machen. Das Heilmittel ist die Selbstliebe in Form der Selbstfürsorge.

Was kann ich tun, wenn ein Freund oder eine Freundin von mir Liebeskummer hat?
Als Freund sollte man nicht den Fehler machen, zu überfordern, sondern einfach Zuwendung, Zeit und Halt geben. Es gibt kein Zehn-Schritte-Programm mit Schokolade und Tanzengehen. Man sollte einfach nur da sein, trösten, umarmen, zuhören, auch einmal was anbieten wie spazieren zu gehen. Da sein und schauen, was der andere braucht. Das ist so ein sensibler Schmerz, wo wenig möglich ist. Wenn jemand in der Spirale ist, ist es schwierig, ihn da wieder rauszuholen – aber probieren und auch wieder lassen. Wichtig ist, es ernst zu nehmen und nichts runterzuspielen. „Andere Mütter haben auch schöne Söhne“ – der Satz kursiert immer noch und ist überhaupt nicht hilfreich.

Welche Tipps gibt es für Menschen, die keine Beziehung haben und deswegen traurig sind?
Manche meiner Klienten fühlen sich nicht attraktiv genug. Wenn ich mich selbst zu unattraktiv finde, ist es schwierig, wie soll mich dann ein anderer attraktiv und interessant finden? Man sollte lernen, liebevoll mit sich umzugehen.

Welche Veränderungen sehen Sie bei Ihrer Arbeit?
Ghosting wird immer mehr, dass Leute einfach verschwinden, vor allem bei der Partnersuche. Da ist viel Kontakt, Treffen und plötzlich ist der andere weg. Als wäre er nie da gewesen. Ohne einen Grund zu sagen. Wenn das ein Mensch mit Selbstzweifeln ist, nährt die das und man sucht die Fehler bei sich. Dieser Kummer erzeugt sehr viel Unsicherheit. Aber das sagt mehr über das Gegenüber aus, das ist keine Art.

www.liebeskummerpraxis.at

 

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