In den USA kam es zu Protesten gegen die neuen Regelungen im Bereich Wissenschaft.
Forschungsgelder werden gekürzt, zahlreiche Wörter dürfen nicht mehr verwendet werden – was bedeutet das für die Wissenschaft? Der KURIER hat bei drei Forschenden, die in Österreich und den USA arbeiten, nachgefragt.
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"Denken Sie als US-Wissenschafter darüber nach, das Land zu verlassen – als Folge der Umwälzungen in der Wissenschaft, ausgelöst durch die Trump-Regierung?"
Diese Frage hat das renommierte US-Wissenschaftsmagazin Nature seinen Leserinnen und Lesern gestellt. Mehr als 1.600 Forscherinnen und Forscher antworteten: Mehr als 1.200 – 75 Prozent – von ihnen antworteten mit "Ja". Kürzungen von Forschungsmitteln, die Entlassung zahlreicher Forschender aus Bundesbehörden – etwa im Bereich Gesundheit oder Umwelt – sowie Eingriffe in die akademische Freiheit und Razzien unter Einwanderern haben zur einer starken Verunsicherung der Forschenden geführt, schreibt Nature. Ein Biomediziner fasst die vorherrschende Stimmung so zusammen: "Ich will nicht gehen, aber was ist die Alternative?"
Die New York Times hat eine Liste von 200 Wörtern zusammengestellt, die in Regierungsdokumenten, auf Websites der Regierung, vielfach aber auch in anderen Dokumenten wie Forschungsanträgen und wissenschaftlichen Arbeiten, nicht mehr vorkommen dürfen: "Klimakrise", "Minderheiten" oder "Ungerechtigkeit" sind nur drei Beispiele.
Der KURIER sprach mit drei Österreichern, die in Österreich und den USA forschen, darunter der Epidemiologe Gerald Gartlehner: "Ich bin zurzeit auf Sabbatical in den USA und erlebe hautnah, wie die Wissenschaft durch massive Einschnitte und politische Vorgaben demontiert wird."
Gerald Gartlehner ist Gesundheitswissenschafter und klinischer Epidemiologe. Er leitet das Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Universität für Weiterbildung Krems (Donau-Universität Krems) und ist stellvertretender Direktor des Research Triangle Institute International – University of North Carolina Evidence-based Practice Center, USA.
Eva Schernhammer ist Epidemiologin und Forscherin an der MedUni Wien sowie an der Harvard T.H. Chan School of Public Health, in Boston, Massachusetts, in den USA. Sie leitet Forschungsprojekte in Österreich und in den USA, wo sie sich regelmäßig aufhält.
Florian Krammer ist Experte für die Entwicklung von Impfstoffen. Im März 2024 übernahm er die Professur für Infektionsmedizin an der MedUni Wien. Davor arbeitete er an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. Er arbeitet nach wie vor für beide Universitäten – in Wien und in den USA.
KURIER: Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen?
Gerald Gartlehner: Ich bin zurzeit auf Sabbatical in den USA und erlebe hautnah, wie die Wissenschaft durch massive Einschnitte und politische Vorgaben demontiert wird. Trumps Executive Orders (Dekrete, Anm.) haben massive Auswirkungen auf die medizinische Forschung in den USA. Sie untergraben einerseits die finanziellen Grundlagen der Forschung, andererseits bedrohen sie auch die Integrität der Forschung. Forschende werden gezwungen zentrale Begriffe wie Gender, Diversität, sexuelle Orientierung und Ungleichheit aus Studien zu entfernen. Wissenschaftliche Begriffe, die bis vor einigen Wochen völlig normal waren, werden ideologischen Vorgaben untergeordnet. Die Auswirkungen sind katastrophal, vor allem in den medizinischen Wissenschaften. Grundlagenforschung ist weniger betroffen.
Eva Schernhammer: Ich empfinde das als massiv bedrückend. Es ist nicht absehbar, was das in der Praxis bedeuten wird für das universitäre System und das Bildungssystem in den USA im Allgemeinen.
Florian Krammer: Die Situation ist chaotisch. Es ist nicht klar, was warum gekürzt wird und man kann in der momentanen Situation einfach nicht planen, weil sich alles sehr schnell ändern kann. Und das ist natürlich sehr problematisch.
Epidemiologie Gerald Gartlehner erlebt gerade "hautnah, wie die Wissenschaft durch massive Einschnitte und politische Vorgaben demontiert wird".
Sind Sie oder Kolleginnen und Kollegen direkt betroffen?
Gartlehner: Ich arbeite hier für das Research Triangle Institute (RTI) International in North Carolina, einem Forschungsinstitut, das zirka 6.000 Beschäftigte hat und im Jahr etwa eine Milliarde Euro an Drittmittelforschung einwirbt. Die Trump-Administration hat 60 öffentlich finanzierte Forschungsprojekte storniert. In den letzten Wochen mussten daher beim RTI 800 Beschäftigte entlassen werden. Ich werde sicher bis Juli bleiben können, aber zur Förderung eingereichte Projekte werden derzeit von den zuständigen Behörden nicht entschieden. Das heißt, bei den geplanten Projekten muss ich sicher Abstriche machen.
Schernhammer: Meine Kolleginnen und Kollegen sind sehr betroffen, auf unterschiedlichen Ebenen. Zum Beispiel haben Kolleginnen, die Forschung im Bereich LGBTQ geleitet haben, alle Grants verloren, wahrscheinlich wird es ihre Institutionen bald nicht mehr geben. In Harvard ist die Harvard School of Public Health am meisten betroffen, weil sie sich mit sozialen Ungerechtigkeiten auseinandersetzt, was von der gegenwärtigen Administration sehr kritisch beurteilt wird. Es gibt auch Ankündigungen, dass die Steuern für Stiftungen, aus denen viele Unis ihre regelmäßigen Kosten bezahlen, erhöht werden. Es ist sehr viel in Bewegung.
Krammer:Mir wurde noch nichts gekürzt, aber einigen meiner Kollegen wurde schon Forschungsförderung in Millionenhöhe gestrichen. Von der generellen Unsicherheit sind wir alle betroffen.
Forscherin Eva Schernhammer empfindet die aktuellen Entwicklungen als "massiv bedrückend".
Denken Sie, dass das zu einem Exodus von Forscherinnen und Forschern führen wird? Könnten Länder wie Österreich profitieren?
Gartlehner: Ich denke schon, dass es dazu kommen wird. Vor allem werden Europäerinnen und Europäer, die hier forschen, wieder nach Europa zurückkehren. Davon werden in erster Linie die Top-Universitäten in Europa profitieren, Oxford, Cambridge, Karolinska-Institut, ETH Zürich, etc. Österreich wird sich schwerer tun, für diese Forscherinnen und Forscher attraktiv zu sein. Das hat meiner Ansicht nach mehrere Gründe: Betroffen sind vor allem medizinische Wissenschaften, Public Health, Sozialwissenschaften und Klimaforschung, die in Österreich chronisch unterfinanziert sind. Grundlagenforschung ist in Österreich besser aufgestellt, aber weniger von den Trump-Maßnahmen betroffen. Und dazu kommen niedrigere Gehälter und höhere Steuern in Österreich, viel Bürokratie bei Nostrifizierungen. Das Forschungsumfeld in Österreich ist für internationale Top-Forscherinnen und Top-Forscher nicht wirklich attraktiv.
Schernhammer: Ich kann mir vorstellen, dass viele überlegen, vor allem sind an Unis wie Harvard viele internationale Wissenschaftler, die vielleicht wieder ihren Weg nach Europa finden. Amerikaner selbst sind sehr heimatverbunden. Ich glaube, es wird schon welche geben, die proaktiv ein Zeichen setzen wollen, aber ich glaube nicht, dass es zum Massenexodus kommen wird. Es könnte sein, dass die Industrie, die jetzt schon ein großer Konkurrent für akademische Wissenschaft ist, die Oberhand gewinnt. Da muss man überlegen, was das für unabhängige Wissenschaft bedeutet. Hinsichtlich Europa und Österreich – es gibt Herzeige-Institutionen, die schon jetzt international besetzt sind, aber man darf nicht vergessen, dass auch in Europa die geopolitische Lage nicht ideal ist.
Krammer: Das kommt darauf an, ob sich die Situation normalisiert oder nicht und was andere Länder bieten. Was bis jetzt gekürzt wurde, ist ein sehr kleiner Prozentanteil der Forschungsförderung in den USA. Nach wie vor ist die Förderung massiv. Wenn es allerdings weiter Einschnitte gibt, kann es schon sein, dass sich Kollegen überlegen, wegzugehen. Aber da gibt es auch Hürden: Sprachbarrieren, geringere Förderungsquoten, Bürokratie und so weiter. Da muss man sich schon auch überlegen, was man bieten kann, um Leute anzuwerben.
Impfstoffexperte Florian Krammer sagt: "Die Stimmung ist pessimistisch und Leute sind frustriert."
Wie wirkt sich die Vorgehensweise der US-Regierung auf das Arbeitsklima aus?
Gartlehner: Die Kolleginnen und Kollegen hier sind extrem gestresst, weil sie nicht wissen, ob sie in einem Monat noch einen Job haben und die Situation an allen Universitäten ähnlich deprimierend ist. Ich habe selbst Zensur bei einem Manuskript erlebt. Dabei geht es um eine Arbeit, die durch ein Fachjournal schon angenommen wurde. Aber weil das Projekt öffentlich finanziert war, brauchen wir eine Übertragung der Urheberrechte. Die gewünschten Änderungen kamen von der Trump-Behörde als Auflage, damit sie uns die Rechte übertragen. Es wurde uns vorgeschrieben, dass wir bestimmte Begriffe wie "Transgender" ändern müssen, weil wir sonst nicht die Copyright-Freigabe bekommen.
Schernhammer: In meinem Umfeld herrscht einerseits ganz große Bedrückung. Andererseits sehe ich den Versuch, einen positiven Spirit aufrechtzuerhalten, vor allem, um Angst bei jungen Leuten einzudämmen, und die eigene Arbeit weiterhin möglichst positiv umzusetzen. Was auf jeden Fall dominiert, ist die Freude an der Arbeit, die wir machen. Und die wollen wir uns nicht nehmen lassen.
Krammer: Es besteht viel Unsicherheit. Manche Themen werden einfach nicht mehr gefördert. Grundsätzlich würde ich sagen, die Stimmung ist pessimistisch und viele Leute sind frustriert. Wie sich das Ganze langfristig auswirkt, ist unklar. Es kommt darauf an, ob sich die Situation stabilisiert oder ob es weiter chaotisch bleibt. Es gibt auch viel Unsicherheit bei Forschern, die nicht US-Staatsbürger sind – und das ist ein großer Anteil.
Gartlehner: Bei unserem Manuskript haben wir die Änderungen verweigert. Jetzt werden wir sehen, wie es weitergeht. Im Prinzip ist man aber chancenlos, weil immer gedroht wird, dass Forschungsgelder dann nicht ausbezahlt werden, was im Endeffekt dazu führt, dass man den Job verliert.
Schernhammer: Momentan wirkt es so, dass selbst das offene Sprechen über kritische Punkte nicht ungefährlich ist. Ich habe den Eindruck, dass sich eine Form des Widerstands formiert, weniger punktuell mit bestimmten Aktionen, sondern im Allgemeinen. Harvard wird sicher eine Antwort formulieren, in welcher Form wird man sehen. Ich denke schon, dass sich im Hintergrund ein Widerstand aufbaut.
Krammer: Grundsätzlich wird man ja nicht davon abgehalten, an diesen Themen zu forschen, es gibt nur keine staatliche Förderung mehr dafür. Wenn privat gefördert wird, was in den USA auch oft der Fall ist, geht die Forschung weiter. Aber grundsätzlich sehe ich nicht besonders viel Widerstand. Die USA hat auch keine starke Protestkultur wie etwa Frankreich.
Was ist für Sie noch wichtig?
Gartlehner:Das wirklich Absurde ist auch, dass diese Executive Order, die die Verwendung von Wörtern wie "Transgender" verbietet, in ihrem Titel den Schutz von Frauen vorschiebt: "Defending Women From Gender Ideology Extremism and Restoring Biological Truth to the Federal Government", heißt es.
Schernhammer: Ein Thema sind internationale Studierende. Ich habe überlegt, im Sommer jemanden aus meiner Forschungsgruppe in die USA zu schicken, aber das sind Dinge, die man derzeit gut abwägen sollte. Das ist eigentlich sehr traurig. Man sollte derzeit eher zuwarten, um abschätzen zu können, dass nicht die Gefahr besteht, dass jemand des Landes verwiesen oder verhaftet wird. Das ist bedrohlich, insbesondere für diejenigen, die schon dort sind. An den Unis wird beispielsweise besprochen, wie Studierende sich verhalten können, um sich zu schützen. Das ist eigentlich unfassbar.
Krammer: Ich fände es wichtig, wenn Europa bei Forschungsthemen wie Klimaforschung, Impfstoffforschung oder Virologie, die jetzt in den USA weniger oder nicht mehr gefördert werden, eine stärkere Rolle übernehmen würde. Man muss das ausgleichen, und es würde Europa gut tun, die Führungsrolle zu übernehmen. Aber das kostet natürlich auch Geld.
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