Und das war?
Diese Menschen waren in der Lage, aus dem Drama ihres Lebens zumindest einen positiven Aspekt zu filtern. Dieser Aspekt hat ihnen geholfen, ihre Biographie aus einer anderen Perspektive zu betrachten und weiterzumachen. Ein Beispiel dazu beschreibe ich im Buch: Ein Mann, der während des Jugoslawienkriegs nur deshalb überlebte, weil er zufällig nicht in seinem Dorf war, als der Feind mit Flammenwerfern alles vernichtete. In ihm vereinten sich Ohnmacht, Wut und tiefe Traurigkeit. Doch irgendwann erkannte er, dass er vor einer Entscheidung stand: Entweder sich der Verzweiflung hinzugeben oder sich für das Leben zu entscheiden. In dieser Phase erinnerte er sich an die bedingungslose Liebe und Geborgenheit seiner Großmutter. Dieses Gefühl hat ihm schließlich den Glauben an das Leben zurückgebracht.
Das heißt, es gibt in jeder Biographie solche Ankerpunkte?
Ja, genau. Ich nenne sie „Ankerpunkte“. Es sind Momente oder Aspekte, an denen man sich festhalten kann, um selbst in den schwersten Zeiten eine positive Perspektive zu finden. Diese Ankerpunkte können helfen, dem Leben eine neue Richtung zu geben und auch in scheinbar rein negativen Erlebnissen etwas Positives zu entdecken.
Nun haben Sie ein Beispiel genannt, das ein extrem traumatisches Ereignis beschreibt. Doch Sie haben das Buch für alle Menschen geschrieben, die ein Trauma in ihrer Biographie haben?
Ja, genau. Aber ich möchte betonen: Das Buch ist nichts für Feiglinge. Es richtet sich an Menschen, die bereit sind, aus der Opferrolle herauszutreten und Eigenverantwortung zu übernehmen. Das erfordert Mut, denn es tut oft weh, sich den eigenen Wunden zu stellen. Aber man muss die Bereitschaft mitbringen, glücklich sein zu wollen – auch wenn das bedeutet, das eigene Leben zu ändern. Der Fall des Mannes aus dem Jugoslawienkrieg zeigt auf eine dramatische Weise, dass es möglich ist. Nebenbei bemerkt: Er brauchte keine Therapie. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch solche Ankerpunkte in seiner Biographie finden kann, um die eigene Sichtweise zu verändern und aus etwas Negativem auch etwas Positives zu ziehen.
Muss man dafür vergessen oder verzeihen?
Nein, darum geht es überhaupt nicht. Einen gewalttätigen Vater kann man nicht nachträglich in einen liebevollen Menschen verwandeln. Aber es geht darum, sich an positive Ereignisse zu erinnern, um die negativen Erinnerungen zu relativieren und ihnen weniger Macht über das eigene Leben zu geben.
Sie berichten im Buch auch sehr persönlich von Ihrer eigenen Kindheit. Was war für Sie ein persönlicher Kraftmoment?
Ein prägender Moment war sicherlich mein Schwimmtrainer. Als Kind war ich Leistungsschwimmerin, und dieser Trainer hatte eine Methode, uns ständig abzuwerten. Er sagte uns, dass wir uns nicht einmal trauen würden, vom Drei-Meter-Brett zu springen. Aus Wut über seine ständigen Bemerkungen stieg ich eines Tages auf das Brett. Oben angekommen, spürte ich Respekt vor der Höhe, aber ich wusste: Zurück konnte ich nicht. Ich sprang – und tauchte mit einem unendlichen Gefühl des Triumphs wieder auf. Dieses Vertrauen in meinen Körper und die Erkenntnis, dass ich auch Unmögliches schaffen kann, begleiten mich bis heute.
Wenn man Ihr Buch einem Genre zuordnen müsste, welches wäre das?
Es ist definitiv ein Arbeitsbuch. Es reicht nicht, es nur schnell durchzulesen und wegzulegen. Jedes Kapitel fordert dazu auf, sich aktiv mit der eigenen Biographie auseinanderzusetzen und wichtige Momente aufzuschreiben. Natürlich kann man es auch mal durchblättern und, wenn man noch nicht bereit ist, zur Seite legen. Auch das Buch braucht seine Zeit – genau wie man selbst.
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