Tourette: Trotz Tics Ärztin in der Notaufnahme

Tourette: Trotz Tics Ärztin in der Notaufnahme
Stella Lingen hat das Tourette-Syndrom. Wie sie damit umgeht und als Medizinerin arbeiten kann.

Sie verdreht plötzlich die Augen, ruft aus heiterem Himmel "Hitler" oder "Ich hab‘ Corona" und schimpft unerwartet los – Stella Lingens Tics kommen ohne Absicht und ohne, dass sie es kontrollieren kann. Die 26-jährige Deutsche will niemanden beleidigen, sondern hat das Tourette-Syndrom.

Typischerweise treten die Tics bereits im Kindesalter auf, bei Lingen kamen die ersten Anzeichen erst mit 21 Jahren. "Ich habe es zunächst als Muskelzuckungen beschrieben, die vom linken Arm ausgingen und auch der Kopf hat Bewegungen gemacht, die ich nicht immer steuern konnte. Ich habe mir am Anfang nicht so viel dabei gedacht", erzählt sie in einem ihrer Videos in ihrem YouTube-Kanal "Stellas Leben mit Tourette". Später kamen stärkere Armbewegungen und verbale Tics wie Räuspern und Pfeifen dazu sowie Wörter.

Umfeld hat positiv reagiert

Nach einigen neurologischen Untersuchungen erhielt sie eineinhalb Jahre später die Diagnose. "Ich bin von Anfang an sehr entspannt damit umgegangen, weil ich dem Ganzen nicht so viel Aufmerksamkeit schenken wollte. Mein Umfeld hat durchwegs positiv darauf reagiert und hat mich unterstützt, sodass ich die Komponente von sozialem Druck nicht hatte. Ich weiß, dass das bei anderen anders ist", sagt Lingen.

Ängste hatte sie bezüglich ihres beruflichen Werdegangs – zum Zeitpunkt der Diagnose steckte sie bereits mitten in ihrem Medizinstudium. Sie konnte aber nach einer verkehrsmedizinischen Abklärung weiter neben dem Studium im Rettungsdienst arbeiten. Heute ist sie im Rahmen ihrer Ausbildung auf einer Notfallambulanz einer Essener Klinik tätig. Das ruft oft Erstaunen hervor, funktioniere aber sehr gut. „Man muss sich keine Sorgen machen. In der Arbeit bin ich sehr konzentriert und das unterdrückt die Tics großteils“, erzählt sie auf ihrem YouTube-Kanal, der mehr als 20.000 Abonnenten hat. Nachtdienste seien ebenso möglich, wie das Legen von Zugängen. Schlafmangel verringere die Tics sogar.

Humor hilft

Kommt es dennoch zu Tics, geht Lingen nicht nur im Kontakt mit Patienten damit humorvoll um. "Ich lache gerne darüber und finde es auch nicht schlimm, wenn darüber gelacht wird. Für mich ist Humor der richtige Weg damit umzugehen. Ich weiß aber, dass das nicht bei jedem so ist." Sie habe sich damit abgefunden und konnte die Tics in ihren Alltag integrieren. Ihr Selbstbewusstsein sei sogar gewachsen.

Um sich von der Erkrankung abzugrenzen, hat Lingen sie kurzerhand "Steve" genannt. So wolle sie eine Distanz zwischen sich und den Tics schaffen. "Mit der Erkrankung stehe ich unfreiwillig häufig im Mittelpunkt und vieles im Alltag kostet mehr Kraft und Energie. Mir war aber von Anfang sehr wichtig, auch wenn es unangenehm ist und weit aus meiner Komfortzone heraus, der Krankheit nicht so viel Platz zu geben oder mich zurückzuziehen. Ich möchte ein Beispiel sein, dass man sich trotz Krankheit, sei es Tourette oder eine andere, nicht unnötig viel einschränken lässt."

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