Tief Luft holen

Wie tief greift Breathwork ins Unterbewusstsein?
Wie tief greift Breathwork ins Unterbewusstsein? Mehr als bisher vorstellbar.

"Hat jemand Probleme mit Herz oder Lunge?" Die Breathworkerin schaut fragend in die Runde. "Oder ist jemand schwanger?" Wir sitzen auf Matten am Boden im Kreis, schauen einander irritiert an. Es geht doch nur ums Durchschnaufen – oder? Niemand von uns sieben, alle Neulinge auf dem Gebiet des Breathworks, ahnte, was auf uns zukommen sollte. Wie viele Tränen fließen würden. Aber auch: Wie viel neue Kraft entstehen würde.

Kälte, Kribbeln, Schwindel

Wie wir da sitzen, wirkt alles so harmlos. Wir würden Musik hören, erklärt die Breathworkerin, dazu werde sie uns durch eine Meditation führen. Wichtig sei es, durchgehend im selben Rhythmus zu atmen – und zwar doppelt: den ersten Atemzug in den Bauch, den zweiten direkt danach in die Brust, ohne dazwischen auszuatmen. Dann ausatmen, sodass Brust und Bauch ganz leer sind – um sofort wieder mit der Doppelatmung einzuatmen. Wir üben das ein paar Mal, bald finden wir einen gemeinsamen Takt. Auch wenn es anstrengend werde, wir sollen so weiteratmen. Einige in der Gruppe lächeln, was soll da schwierig sein? Sie werden bald eines Besseren belehrt werden.

Es geht los, die Musik startet, die Gruppe beginnt bei geschlossenen Augen zu atmen und mir fällt es schwer, den Rhythmus zu finden. Doch ich gehe mit, finde immer besser in den Takt. Die Breathworkerin weist darauf hin, dass unsere Körper sich mit ungewöhnlich viel Sauerstoff füllen, das verändere das Blut, was sich auf den Körper auswirke. Es könne sein, dass wir kalte Hände und Füße bekommen (weshalb wir uns vorab in Decken wickelten), uns wild bewegen oder erstarren könnten. Wem es zu steil würde, könne zurück zur normalen Atmung gehen – sofort würden die Symptome verschwinden. Wir hätten immer alles unter Kontrolle. 

Wenige Minuten, tatsächlich: Ich spüre Kribbeln an Fußsohlen und Oberschenkeln, mir wird schwindlig und plötzlich wahnsinnig kalt. "Weitermachen", denke ich mir, obwohl: Es ist anstrengend, so zu atmen. Sinn sei, wurde uns vorher erklärt, dass der Körper in Automatisation verfällt, selbstständig so weiteratmet, dann könne sich der Geist entfalten. So ist es wirklich: Wenn man glaubt, man kann nicht mehr, passiert es. Plötzlich fällt die Doppelatmung leichter, wird automatisch.

Wir gehen durch eine Meditation, in der es um Erinnerungen geht, und um philosophische Fragen an uns selbst. Wir sollen zulassen, was kommt, wird uns gesagt. Und da kommt ziemlich viel, wie ich rund um mich bemerke. Teilnehmer beginnen zu weinen, zu schreien oder zu murmeln. Manche lachen, andere seufzen – bevor sie in den Atemrhythmus der Gruppe zurückkehren. Ich selbst sehe viele Farben, weiterhin ist mir schwindlig, mir kommt vor, ich würde schweben. Inzwischen ist mir nicht mehr kalt, sondern beinahe heiß. Die Stimme der Breathworkerin ist für mich gefühlt kilometerweit entfernt. Dennoch folge ich neugierig den Anleitungen. 

Szenen meines Lebens kommen vor mein inneres Auge, aber auch Bilder die ich noch nie gesehen habe. Sind das Wünsche? Träume? Visionen? Der Rhythmus der Musik wird schneller, die Emotion in der Gruppe intensiver – bis sich die Melodie verlangsamt. Die Meditation mündet in eine selbstfürsorgliche Thematik, mit Perspektive und Optimismus. Alle werden ruhiger, gemeinsam atmen wir weiter. Ich spüre Müdigkeit, dann echte Erschöpfung. Aber an Einschlafen ist nicht zu denken. Zum Ende bittet uns die Breathworkerin nach dem Polster neben uns zu greifen, den wir vor Beginn der Session dort platziert hatten. Gemeinsam würden wir jetzt alles rausschreien. Drei, zwei, eins – AAAAHH!!! Wir bäumen uns auf, brüllen in die Polster, sinken zurück auf die Matten.

Tief ins Innere

Die Musik verstummt. Es wird mucksmäuschenstill. Nun sollen wir wieder normal atmen, es nachwirken lassen. 50 Minuten sind vergangen, würde jemand sagen, es wären fünf Stunden gewesen – ich hätte es geglaubt. Das Kribbeln verschwindet, der Schwindel auch, meine Körpertemperatur reguliert sich. Ich öffne die Augen. Einige liegen eingerollt auf den Matten, manche sind aufgestanden, sitzen an Wände gelehnt. Es breitet sich Entspannung aus – viele spüren, tief in ihr Inneres gedrungen zu sein, so tief, wie sie es nicht für möglich hielten. Und mir ist klar: die Wirkung von Breathwork ist nicht nur groß – sie ist immens. Deshalb ist es wichtig, vorab mit einem Arzt zu sprechen (es ersetzt übrigens keine Therapie, auch wenn das da und dort behauptet wird), ob man bereit für eine solche Session ist. Denn das ist nichts für schwache Nerven. Selbst, wenn diese sich danach so richtig stark anfühlen. 

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