Stimme und Musik für Komapatienten: Verbindung in eine andere Welt
Als Sonja Amann und ihr Mann im Herbst 2020 an Covid-19 erkrankten, ahnten sie nicht, wie dies ihr Leben verändern würde. Während Amann sich zuhause erholte, musste ihr Mann ins Krankenhaus. Sein Zustand verschlechterte sich zunehmend, der 58-Jährige wurde an die ECMO-Maschine, die seine Atmung übernahm, angeschlossen und in künstlichen Tiefschlaf versetzt.
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"Als er in den Tiefschlaf gelegt wurde, nahm mir das den Boden unter den Füßen weg. Seine Prognose war sehr schlecht und ich war in einem Ausnahmezustand mit Gefühlen der Ohnmacht, Einsamkeit und Hilflosigkeit", erzählt Amann. Besonders schwierig war, dass sie ihren Mann aufgrund der damals geltenden Regeln anfangs gar nicht, später nur einmal pro Woche besuchen durfte.
Die gebürtige Vorarlbergerin hatte die Idee, ihm Musik zukommen zu lassen. "Musik war ein großes Thema für uns und ich wurde vom Krankenhauspersonal sehr motiviert, meine Stimme und Musik für ihn aufzunehmen." Die heute 54-Jährige kontaktierte Andreas Mühlmann, Tontechniker und langjähriger Freund der Familie. Gemeinsam nahmen sie im Tonstudio eine rund einstündige Radiosendung auf, in der Amann über gemeinsame Erlebnisse, Pläne sowie die Situation sprach.
Glückliche Momente
Sie erzählte davon, wie ihr Mann, der nicht gerne tanzte, heimlich Walzer geübt hatte, um sie mit einem Hochzeitstanz zu überraschen. Davon, wie ihre gemeinsame Islandreise durch einen Vulkanausbruch auf den Kopf gestellt wurde. Mühlmann arrangierte die sehr persönlichen Erzählungen dann mit Lieblingsmusik ihres Mannes – ein bunter Mix aus Heavy Metal, Mittelaltermusik und Klassik. "Am Anfang wurde ihm die Aufnahme über einen CD-Player vorgespielt, später habe ich Kopfhörer und ein Abspielgerät mitgebracht. Ich habe tolles Feedback aus dem Krankenhaus erhalten – ich weiß, dass ich mit diesen Aufnahmen glückliche Momente für ihn geschaffen habe", sagt Amann.
Ärzte und Pflegepersonal berichteten, dass ihr Mann sich entspannte, ruhiger wurde und besser mit der Maschine mitatmete. Amann und Mühlmann produzierten eine weitere Aufnahme, diesmal mit von Amann vorgelesenen Briefen von Familie und Freunden, sowie der Stimme seiner damals eineinhalbjährigen Enkelin. "Wir haben ihr ein Foto von Opa hingestellt und sie hat ihm erzählt. Wir haben nichts verstanden, aber wir wussten, er wird es verstehen."
Berührende Verbindung
Ihr Mann verstarb kurz darauf im Krankenhaus. "Ich höre mir die Aufnahmen immer noch an, natürlich mit viel Tränen, aber es ist eine Verbindung. Ich wusste, ich habe etwas gemacht und das hat mir in der Trauerzeit geholfen. Auch heute berührt es mich sehr tief", sagt Amann.
Ihre Erfahrungen möchte sie nun gemeinsam mit Tontechniker Mühlmann an andere weitergeben. Gemeinsam gründeten die beiden together.audio und bieten Angehörigen von Tiefschlaf-, Demenz- und Palliativpatienten an, professionelle Tonaufnahmen zu erstellen. "Musik und Klänge wirken auf den menschlichen Körper. Man sieht bei Demenzpatienten, dass über Musik Emotionen geweckt werden, über bekannte Stimmen oder Geräusche kommen Erinnerungen hoch. Das möchten wir unterstützen", sagt Mühlmann.
Auch sehr vertraute Umgebungsgeräusche, für einen Kfz-Mechaniker zum Beispiel Geräusche aus einer Werkstatt, können im Tiefschlaf unterstützen. Amann und Mühlmann begleiten Angehörige bei den Aufnahmen, zunächst in einem Beratungsgespräch. In einem Begleitbuch werden Anregungen gegeben, etwa ein Tagebuch während der Zeit des Tiefschlafs zu führen.
Flexibel
Die beiden unterstützen bei der Musikauswahl, helfen, wenn Hilfe notwendig ist. Mühlmann: "Oft ist man in dieser Situation blockiert. Wir geben Beispiele, wie man Aufnahmen vorbereiten kann und können die Aufnahme sehr flexibel gestalten." Es gehe nicht darum, auf Knopfdruck zu performen, das Tonband laufe vielmehr beiläufig mit. Der Tontechniker fügt es am Ende zu einer rund einstündigen Komposition zusammen. Wichtig sei, dass die Aufnahmen qualitativ hochwertig sind, damit der Wiedererkennungswert hoch ist und das Gehirn der Patienten nicht überfordert wird.
Sehr am Herzen liegt ihnen die Idee, künftig Aufnahmen für Frühchen zu machen. Über ein Kuscheltier sollen beruhigende Frequenzen, die Stimme der Mutter sowie ihr Herzschlag ganz nah zum Baby gebracht werden. "Wir erfinden nichts Neues, aber fügen alles zusammen und professionalisieren es, um verbindende Momente zwischen Angehörigen und Patienten herzustellen", sagt Mühlmann.
Therapie
Musik hat nachweislich eine positive Wirkung bei psychischen Störungen und wird therapeutisch etwa bei Ängsten, Depressionen und Schlafstörungen eingesetzt. Sie kann zum Beispiel die Ausschüttung von Stresshormonen reduzieren. Auch bei Tinnitus können gezielt eingesetzte Frequenzen Besserungen erzielen
Demenz
Das Langzeitmusik-Gedächtnis ist bei Demenzpatienten oft nicht betroffen. Sie können sich häufig an Lieder ihrer Jugend erinnern und reagieren auf vertraute Stimmen. Bestimmte Lieder können Erinnerungen an Ereignisse wecken. Musik kann bei Demenz helfen, kognitive Fähigkeiten aufrechtzuerhalten sowie Ängste und Aggression zu lindern
Koma
Auch viele Komapatienten reagieren positiv auf Musik. Eine Studie konnte etwa zeigen, dass beim Hören langsamer Klaviersonaten von Mozart der Blutdruck sank und sich der Pegel der Stresshormone normalisierte. Die Patienten entspannten sich und
kamen zur Ruhe
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