Mutter, Vater, auch der Onkel: Der Reihe nach nahmen sie ihren Fredi in den Arm, drückten den Neugeborenen an ihr Herz. Die Hebamme weiß: „Diese dreißig Minuten werden sie ihr ganzes Leben nicht vergessen.“ Für alle Anwesenden war es eine Achterbahn der Gefühle: „Das ist ein Cocktail aus Euphorie, Freude und gleichzeitig Trauer.“
Auch für Gudrun Simmer ist die Geburt eines Sternenkinds immer eine emotionale Gratwanderung. Die Mutter von drei Kindern arbeitet seit dem Jahr 2004 als Hebamme. Zuvor hat sie Theologie und Philosophie studiert. In ihrer Diplomarbeit und in ihrer Dissertation kommen wohl nicht ganz zufällig Fragen der Medizinethik vor: „Das Thema Tod und Geburt begleitet mich schon sehr lange.“
Nach der Entscheidung, ihr Kind solange als möglich leben zu lassen, hatten auch Fredis Eltern die Chance, ihre Zweifel und Ängste in den Gesprächen mit der Hebamme und ihren Kolleginnen auf den Punkt zu bringen: Wie lange wird unser Bub leben? Leidet er? Was, wenn es noch vor der Geburt, im Bauch der Mutter stirbt? Wie wird er aussehen, sollte er doch zur Welt kommen? Wie können wir ihn begrüßen? Wie schaffen wir das alles? Wie können wir weiterleben? Wie sagen wir es den Anderen, unserer Familie, den Freunden?
Und am Ende die traurigste aller Fragen: Wie können wir uns von unserem eigenen Kind verabschieden? Fragen über Fragen für die Eltern, die sich auf den Abschied ihres Kindes vorbereiten müssen, bevor es noch geboren wurde.
Das Leben liefert dann die Antworten. „Insofern gab es auch bei Fredi diesen ganz besonderen Augenblick des Erstaunens“, berichtet Gudrun Simmer. „Ja, er lebt, er bewegt sich sogar, versucht, seine Augen zu öffnen. Ganz viele Sehnsüchte gibt es da.“
In ihrer Ausbildung hat sie gelernt, immer professionell zu bleiben, sich abzugrenzen, das Leid nicht zu nahe an sich heranzulassen, um dadurch bestmöglich arbeiten und sich selbst schützen zu können.
Doch das ist im Lehrsaal leichter gesagt als dann im Kreißsaal umsetzbar. Die Eltern gaben intime Einblicke in ihr Leben, wurden in der Zeit vor der Geburt zu engen Vertrauten, haben auch selbst viel Vertrauen aufgebaut. Ihr Verlust geht den Helfern notgedrungen sehr nahe, ob sie das jetzt zulassen oder nicht.
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch irgendwann stirbt auch sie. Es kommt daher vor, dass Geburtstermine, solange es medizinisch vertretbar ist, hinausgezögert werden – und damit auch ein absehbares, ein tieftrauriges Schicksal.
Perinatale Palliativbetreuung für Eltern und deren ungeborene Kinder gibt es im „St. Josef“ seit dem März dieses Jahres. Als Vorbild dient dem gemeinnützigen Ordensspital an der Auhofstraße (nebenbei ist es heute die größte Geburtenklinik Österreichs) eine Abteilung der Berliner Charité.
Spricht Gudrun Simmer über ihren Beruf, was sie auch als Ausbildnerin macht, bringt sie ihre Leidenschaft voll zum Ausdruck. Wichtig ist der Hebamme nicht nur die einwandfreie Abwicklung einer Geburt, wichtig ist ihr auch die Beratung jener Menschen, die sich vertrauensvoll an sie und ihre Kollegen wenden: „Damit sie authentisch entscheiden können.“
Nach dreißig Minuten auf dieser Welt musste sich Fredi verabschieden. Das ist keine gute Nachricht. Doch der Bub schlief friedlich ein. Und ein Foto von ihm gibt es auch.
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