Sterblichkeitsrisiko erhöht: Wenn Frauen von Männern operiert werden

Close up of a doctor marking the human skin.
Auch Komplikationen kommen bei dieser Arzt-Patientinnen-Konstellation häufiger vor, ebenso wie längere Krankenhausaufenthalte.

Die Stichprobe kann sich sehen lassen: Kanadische Forscherinnen und Forsche haben in Summe Daten von 1,3 Millionen Patientinnen und Patienten ausgewertet. Mit der groß angelegten Analyse wollte man aufklären, welche Rolle das Geschlecht des Chirurgen beziehungsweise der Chirurgin bei operativen Eingriffen spielt. Sprich: Ob es relevant ist, von wem man im OP-Saal behandelt wird.

Das Ergebnis der Untersuchung gibt zu denken: Demnach haben Frauen, die von einem männlichen Chirurgen operiert werden, ein viel höheres Risiko zu sterben, nach einer Operation Komplikationen zu erleiden und erneut ins Krankenhaus eingewiesen zu werden – im Vergleich dazu, wenn eine Frau den Eingriff vornimmt.

Riskante Konstellation

Konkret weisen besagte Patientinnen ein um 15 Prozent erhöhtes Risiko für ein schlechteres OP-Resultat sowie ein um 32 Prozent erhöhtes Sterblichkeitsrisiko auf. Insgesamt hatten Patientinnen auch ein um 16 Prozent höheres Risiko für Komplikationen und ein um elf Prozent höheres Risiko für eine Wiedereinweisung und mussten mit einer um 20 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit länger im Krankenhaus verweilen.

Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift JAMA Surgery veröffentlicht. "In unserer Stichprobe von 1,3 Millionen Patienten, an der fast 3.000 Chirurgen beteiligt waren, fanden wir heraus, dass weibliche Patienten, die von männlichen Chirurgen behandelt wurden, ein um 15 Prozent höheres Risiko hatten, schlechtere Ergebnisse zu erzielen als weibliche Patienten, die von weiblichen Chirurgen behandelt wurden", kommentiert Angela Jerath, Professorin und klinische Epidemiologin an der Universität von Toronto in Kanada und Mitautorin der Studie, die Ergebnisse im Interview mit dem Guardian. Das habe „reale medizinische Konsequenzen für weibliche Patienten und äußert sich in mehr Komplikationen (innerhalb von 30 Tagen), Wiedereinweisungen ins Krankenhaus und Todesfällen bei Frauen im Vergleich zu Männern“. Unterschiede im chronischen Gesundheitszustand der Patientinnen, im Alter und in anderen Faktoren wurden berücksichtigt.

Verschiedene Eingriffe

Während beispielsweise 1,4 Prozent der Frauen, die von einem männlichen Chirurgen am Herzen operiert wurden, starben, traf das nur auf 1 Prozent der Herz-Patientinnen zu, wenn eine Chirurgin beteiligt war. Sowohl in der Hirnchirurgie als auch in der Gefäßchirurgie starben 1,2 Prozent der Frauen, die von einem männlichen Chirurgen operiert wurden, während dieser Anteil bei Patientinnen, die von einer Frau operiert wurden, mit 0,9 Prozent deutlich geringer war. Bei Männern hingegen zeigten sich diesbezüglich keine Unterschiede.

Die Erkenntnisse seien jedenfalls besorgniserregend, da das Geschlecht des Chirurgen oder der Chirurgin keinen geschlechtsspezifischen Einfluss auf Behandlungsergebnisse haben sollte. Allgemein würden Patientinnen und Patienten profitieren, wenn sie von Chirurginnen behandelt werden, schildert Jerath. Besonders ausgeprägt sei der Effekt bei Patientinnen: „Selbst, wenn man Unterschiede im chronischen Gesundheitszustand, im Alter und in anderen Faktoren berücksichtigt.“

Jerath und ihr Team analysierten die Krankenakten von 1.320.108 Patientinnen und Patienten in Ontario, die sich zwischen 2007 und 2019 21 gängigen chirurgischen Eingriffen unterzogen. Diese wurden von 2.937 Chirurgen durchgeführt. Das Spektrum reichte von Hüft- und Knieoperationen über OPs zur Gewichtsreduktion hin zu Entfernungen des Blinddarms oder der Gallenblase sowie komplizierteren Eingriffen wie Herz-Bypass-OPs und Gehirnoperationen.

Für jede der 1,3 Millionen Operationen wurden das Geschlecht der Patientinnen und Patienten, der Verlauf des Eingriffs und das Geschlecht des Chirurgen oder der Chirurgin, der oder die ihn durchgeführt hat, analysiert.

Ursachenforschung

Es sei unwahrscheinlich, dass Unterschiede in der professionellen Qualifikation die Ergebnisse erklären, "da beide Geschlechter die gleiche technische medizinische Ausbildung durchlaufen", betont Jerath.

"Implizite geschlechtsspezifische Vorurteile", bei denen Chirurgen "nach unbewussten, tief verwurzelten Vorurteilen, Stereotypen und Einstellungen handeln", seine als Ursache aber denkbar. Unterschiede in den kommunikativen und zwischenmenschlichen Fähigkeiten von Männern und Frauen könnten ebenfalls eine Rolle spielen, ebenso wie "Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Ärzten in Bezug auf Arbeitsstil, Entscheidungsfindung und Urteilsvermögen".

Chancenungleichheit

Die Chirurgie ist nach wie vor eine Männerdomäne. 2018 haben etwa in Deutschland in der Allgemeinchirurgie 105 Männer und 57 Frauen ihre Facharztweiterbildung bestanden, macht ein prozentuales Verhältnis von 65 zu 35. Das geht aus einem Bericht von Health Relations, dem Onlinemagazin des Deutschen Ärzteverlags für die Healthcare-Branche, hervor.

In Österreich scheint die Medizin weiblicher zu werden. Laut einem Bericht des Magazins Ärzte exklusiv gingen 2020 rund 57 Prozent der begehrten 1.680 Studienplätze an Frauen. Am Ende der Ausbildung sind in manchen Fächern – vor allem der Chirurgie – Frauen jedoch ein seltener Lichtblick. Von vier Chirurginnen und Chirurgen seien nach wie vor drei männlich. Grund dafür seien Probleme in der Vereinbarkeit von Job und Familie in der entsprechenden Facharztausbildung. Da Frauen nach wie vor den überwiegenden Großteil der Kinderbetreuungsarbeit leisten, schlagen viele diesen Weg gar nicht erst ein.

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