Prof. Birgit Högl war als international renommierte Schlafforscherin schon Präsidentin der World Sleep Society und diverser anderer bedeutender Schlafgesellschaften. Heute leitet sie unter anderem die Klinik für Schlafstörungen an der MedUni Innsbruck und ist dort auch Vizerektorin der Klinik für Neurologie.
Im KURIER-Interview gibt Högl Tipps gegen das Schnarchen und verrät, wie sie das gehypte Mittel Melatonin einschätzt.
KURIER:Demnächst stellen wir in Österreich wieder die Uhr um. Halten Sie diese Maßnahme als Schlafmedizinerin für sinnvoll?
Birgit Högl: Alle Schlafmediziner halten generell nicht viel von der Zeitumstellung, vor allem von der Umstellung auf die Sommerzeit. Grund ist, dass sehr viele Menschen ohnehin tendenziell zu wenig schlafen und übermüdet sind. Wenn man ihnen zusätzlich eine Stunde Schlaf wegnimmt, hat das negative Auswirkungen, und das ist gut belegt: In den ersten Tagen nach der Zeitumstellung steigt die Unfallrate, die Herzinfarktrate, und es gibt andere negative Outcomes. Deshalb sind sich alle großen Schlafgesellschaften einig, dass man die Zeitumstellungen nicht mehr behalten soll. Man denkt, es macht nicht viel aus, aber es ist eine Belastung für den gesamten Organismus, man unterzieht die gesamte Bevölkerung einem kleinen Jetlag.
Gibt es einen richtigen Rhythmus, der für alle gilt?
Generell ist es für den menschlichen Organismus sinnvoll, wenn die Schlaf-und Wachzeiten so auf den Sonnenstand abgestimmt sind, wie es ursprünglich geplant war. Das bedeutet, dass die Sonne um 12 Uhr mittags ihren höchsten Stand erreicht haben soll. Es gibt natürlich individuelle Unterschiede – die sogenannten Eulen und Lerchen, die abends länger wach sind oder morgens früher aufstehen. Wenn diese extrem ausgeprägt sind, kann es eine zirkadiane Störung sein. Der Leidensdruck kommt dadurch, dass die gesellschaftlichen Erfordernisse oft verhindern, dass man nach seinem inneren Rhythmus schläft.
Jugendliche sind oft ausgeprägte Nachteulen, alte Menschen haben in der Tendenz eher eine Entwicklung zum Lerchentum. Es gibt aber Menschen, die ihr ganzes Leben lang ausgeprägte Nacht- oder Frühmenschen sind. Unangenehm ist es für die, die an den extremen Rändern sind, weil die oft nicht genug Flexibilität haben, um sich anzupassen. Es ist nicht so, dass sie nicht wollen – sie können sich noch so sehr bemühen –, aber ihre biologische Uhr gibt ihnen Zeiten vor, die zu den äußeren Bedingungen nicht passen.
Was versteht eine Schlafmedizinerin unter gutem Schlaf?
Er soll lang genug sein und einigermaßen gut konsolidiert. Gelegentliches Aufwachen in der Nacht ist normal. Dazu kommen individuelle Komponenten des guten Schlafes, ob ich subjektiv frisch aufwache und ob ich den Eindruck habe, ich bin wach genug. Es gibt verschiedene Dimensionen der Schlafgesundheit.
Wie wirkt sich schlechter Schlaf gesundheitlich aus?
Das eine ist, dass man zu kurz schläft – also dass man für eine Nacht gar nicht oder mehrere Nächte hintereinander zu wenig oder unter der Woche z. B. immer eine halbe Stunde zu wenig schläft. Dieser Zustand der Schlafdeprivation wirkt sich auf Stimmung, Immunsystem, Stoffwechsel, das Risiko für Diabetes, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall aus. Langfristig hat man auch ein höheres Risiko für demenzielle Erkrankungen. Das ist eine Lebensstil-Sache, wenn man sich zu wenig Zeit zum Schlafen nimmt.
Das andere ist, wenn der Schlaf gestört ist: Wenn ich Probleme beim Einschlafen oder Durchschlafen habe und es mich am Tag beeinträchtigt, sodass ich tatsächlich von Schlaflosigkeit spreche. Hier ist festzuhalten, dass die meisten Menschen mit Insomnie objektiv keinen stark verkürzten Schlaf aufweisen, wenn man sie im Schlaflabor untersuchen würde. Aber auch ohne objektiv verkürzten Schlaf ist es eine Insomnie, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Und da ein Leidensdruck gegeben ist, ist es behandlungswürdig. Dann gibt es noch den Schlaf schlechter Qualität, z. B. wegen unbehandelter Schlafapnoe, wegen zirkadianen Störungen oder etwa periodischen Beinbewegungen im Schlaf.
Ab wann sollte man sich Hilfe holen, wenn man schlecht schläft?
Eigentlich immer. Wenn ich mich beeinträchtigt fühle und tagsüber nicht mehr schaffe, was ich machen will, dann sollte man das mit dem Hausarzt oder der Hausärztin besprechen und gemeinsam überlegen, welche Schritte erfolgen sollten.
Wie werden Schlafstörungen behandelt?
Es gibt verschiedene große Gruppen, die unterschiedlich behandelt werden. Bei Störungen der Atmung im Schlaf, kommen z.B. spezielle Atemmasken zum Einsatz. Jede Störung wird speziell behandelt. Wichtig ist, zuerst eine genaue Diagnose zu erstellen. Schläft jemand schlecht wegen einer chronischen Insomnie oder ist es das Zeichen einer Depression, einer Restleg-Legs-Störung oder einer anderen Erkrankung? Es gibt verschiedene Ansätze, medikamentös und nicht medikamentös: Therapie der ersten Wahl sind wie bei der Insomnie ohne andere zugrunde liegende Erkrankung nicht medikamentöse Ansätze, sondern kognitive Verhaltenstherapie - oft ist es ein Paket. Es gibt aber nicht die Pille, die man ein Mal einwirft und das Problem ist gelöst. Es tut sich aber viel in dem Feld und es entwickelt sich ständig weiter, es gibt auch neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Insomnie.
Hilfsmittel wie Melatonin sind beliebt. Was halten Sie davon?
Ich halte wenig davon. Melatonin ist ein biologisches Nachtsignal und kein klassisches Schlafmittel. Man kann es versuchen, aber eigentlich ist der klassische Anwendungsbereich bei Störungen der inneren Uhr: Man kann es bei Jetlag einsetzen. Als Schlafmittel spricht nicht viel dafür, und es gibt in letzter Zeit Meta-Analysen, die eher davon abraten, dass man es einsetzt, z. B. im pädiatrischen Bereich. Da ist es nicht so ohne. Wenn Melatonin durchschlagend für alles helfen würde, gäbe es ja wohl längst keine Schlafprobleme mehr.
Schnarchen stört oft die Nachtruhe - was ist Ihr Tipp zur Abhilfe?
Zunächst schauen, ob es nur Schnarchen ist oder Schnarchen mit erhöhtem Widerstand in den oberen Atemwegen, bis hin zu Aussetzern. Ohne das genau angeschaut zu haben in welcher Körperlage jemand schnarcht, kann man wenig sagen. Viele werden bemerkt haben, dass sie vor allem in Rückenlage schnarchen - da hilft natürlich, sich auf die Seite zu drehen. Schnarchende Partner werden dann auch oft vom Bettpartner aufgefordert aufzuhören - das ist nicht immer angenehm. Auch Alkohol kann dazu beitragen, dass aus normalem Schnarchen eine Schlafapnoe wird, weil es einen Einfluss auf die Muskelspannung hat in den Muskeln, die die oberen Atemwege umgeben - und eventuell auch die Weckschwelle anhebt. Daher eher keine großen Mengen vor dem Schlafengehen. Sogar einige klassische Schlafmittel wie Benzodiazepine können dazu beitragen, dass harmloses Schlafen Richtung Schlafapnoe geht - all das sollte man abklären und das geht auch mit einfachen Screening-Geräten. Wenn man schnarcht und tagsüber müde ist, braucht es oft eine gründlichere Abklärung.
In den Nachrichten sind wir derzeit mit einer Welle von Schreckensmeldungen konfrontiert. Nicht selten verfolgt das die Menschen in die Nacht hinein. Was hilft da?
Ich fürchte, dass es da kein generelles Rezept gibt. Man weiß, dass wir Menschen responsiv sind auf die Umgebung und die Umstände, in denen wir leben. Wir wissen, dass in Krisenzeiten - wenn der Frieden bedroht ist oder wenn man Sorge um den Arbeitsplatz oder Angehörige hat - der Schlaf beeinträchtigt ist. Wenn man schwer betroffen ist, persönlichen Verlust oder eine Bedrohung erlitten hat, wird übrigens empfohlen, dass man diese akute Schlafstörung akut medikamentös behandelt, um zu verhindern, dass es chronisch wird. Dass generell ganze Bevölkerungen angesichts der Bedrohung des Friedens beunruhigt sind, lässt sich derzeit leider nicht verhindern.
Buchtipp
Prof. Dr. Birgit Högl: „Besser schlafen. Wie erholsamer Schlaf Gehirn und Körper fit hält und uns länger und gesünder leben lässt“
Brandstätter. 184 Seiten, 26 Euro
(kurier.at, lada)
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Aktualisiert am 23.10.2023, 06:35
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