Hauptgrund für dauerndes Schnarchen: Kommt bald eine Pille gegen Schlafapnoe?

Erschlaffte Rachen- und Zungenmuskeln: Hinter hartnäckigem Schnarchen kann eine obstruktive Schlafapnoe stecken.
Rasselnde, pfeifende, sägende Töne, von leise bis ohrenbetäubend laut – oft unterbrochen durch heftiges Luftholen: Schnarchgeräusche sind ein deutlich wahrnehmbarer Vorbote der sogenannten obstruktiven Schlafapnoe.
Für den zum Lauschen gezwungenen Bettpartner bedeuten sie unruhige Nächte. Für Betroffene selbst geht die Schlafapnoe mit unbemerktem Aufwachen einher, die unmittelbare Folge: chronische Müdigkeit.
"Meilenstein (...) für Millionen von Menschen mit Schlafapnoe"
Schätzungen zufolge ist weltweit eine Milliarde Menschen betroffen. Die Zahl der Behandlungsmöglichkeiten ist überschaubar. Schon vor einigen Jahren verliefen erste Tests mit einem neuartigen Medikament positiv. Nun liegen Ergebnisse aus einer klinischen Phase-III-Studie – sie geben relativ präzise Auskunft über Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten – vor. Die beteiligten Forschenden sprechen von einem "Meilenstein (...) für Millionen von Menschen mit obstruktiver Schlafapnoe".
Was passiert bei Betroffenen im Körper? Durch einen verminderten Muskeltonus im Bereich der oberen Atemwege und der Zunge kann die Luft im Schlaf nicht mehr frei zirkulieren, es kommt zum Schnarchen. Kollabiert die Rachenmuskulatur vollständig, setzt die Atmung aus. Der infolge auftretende Sauerstoffmangel versetzt den Körper und insbesondere das Herz in eine Stresssituation. Der Blutdruck steigt, was wiederum das Herz-Kreislauf-System belastet. Neben den organischen Folgen hat Schlafapnoe auch kognitive Auswirkungen: Durch die Atemaussetzer wachen Betroffene nachts häufig auf, die Folge sind, neben der eingangs erwähnten Tagesmüdigkeit, Konzentrationsschwäche und Leistungsabfall. Die Lebensqualität leidet.
Die neue Kombi-Arznei enthält ein Wirkstoff-Duo: Atomoxetin, das zur Behandlung von ADHS zugelassen wurde, und Oxybutynin, ein Wirkstoff, der für die Therapie von häufigem Harndrang, Inkontinenz und übermäßigem Schwitzen eingesetzt wird. Zusammen sollen die Substanzen die Erschlaffung der Rachenmuskulatur hemmen.
"Vollständige Kontrolle der obstruktiven Schlafapnoe-Erkrankung"
An der klinischen Wirksamkeitsstudie nahmen mehr als 600 Patientinnen und Patienten teil, die mit den herkömmlichen Therapien nicht zurechtkamen oder ungeeignet dafür waren. Sie erhielten 26 Wochen lang entweder die echten Tabletten oder ein Placebo. Geleitet wurde die Untersuchung von Forschenden des Pharmaunternehmens Apnimed. Es wurde von Wissenschaftern der Harvard University eigens für die Erprobung des Medikaments gegründet.
Wie schon in den Vorgängerstudien zeigte das Präparat sehr gute Resultate: Es kam zu einer Verringerung des sogenannten Apnoe-Hypoapnoe-Index (AHI) um fast 56 Prozent. Der AHI gilt als Maßzahl der Schwere der Symptome. Bei etwas mehr als einem Fünftel der Behandelten nahm die Häufigkeit von Apnoe-Phasen pro Stunde auf weniger als fünf ab. Auch die Sauerstoffsättigung im Blut stieg stark an. "22,3 Prozent der mit AD109 behandelten Teilnehmer erreichten damit eine vollständige Kontrolle der obstruktiven Schlafapnoe-Erkrankung", hieß es in einer Aussendung des Konzerns.
"Eine sensationelle Innovation"
"Ich finde es eine äußerst vielversprechende Therapieoption – eigentlich eine sensationelle Innovation", sagt Katharina Mühlbacher, Lungenfachärztin und Leiterin von Wiens größtem pulmologischen Schlaflabor am Herz-Jesu Krankenhaus.
Zurückhaltender äußert sich Christopher Lambers, Leiter der Abteilung für Pneumologie und Schlafapnoe-Spezialist am Ordensklinikum Elisabethinen Linz: "Ich finde den Ansatz spannend und das gute Ansprechen des untersuchten Patientenkollektivs könnte durchaus vielversprechend sein." Für eine abschließende Bewertung der Studienergebnisse – bisher wurden diese nur vorab von Apnimed und nicht vollständig veröffentlicht – sei es noch zu früh.
Einig sind sich Mühlbacher und Lambers, dass das Präparat eine bestehende Versorgungslücke schließen könnte: "Insofern, als dass Menschen, die eine CPAP-Therapie nicht gut vertragen, damit betreut werden könnten", sagt Mühlbacher. Unter CPAP-Therapie versteht man eine Behandlung mittels eines kontinuierlichen Überdrucks auf die Atemwege. Atemmasken blasen Betroffenen nachts Luft entgegen, mit der so entstehenden Luftschiene können die oberen Atemwege offen gehalten werden.
"Die CPAP-Therapie ist der Goldstandard, aber es gibt Menschen, die diese Behandlung ablehnen, etwa, weil sie sich vor dem Partner genieren, weil sie die Maske als störend oder einengend erleben." Das neue Medikament "könnte den Weg ebnen, auch diese Patientengruppe gut zu versorgen", so Mühlbacher.
Unangenehme Atemmasken bis teure Zungenschrittmacher
Auch ein Zungenstimulatorimplantat, welches die Vorwärtsbewegung der Zunge stimuliert, kann zur Öffnung der Atemwege beitragen, ist aber kostspielig. Das Abgewöhnen von Rückenschlaf, etwa mithilfe eines Schnarchrucksacks, oder Zahnschienen können Schnarchen ebenso lindern. Auch Übergewicht und Adipositas können Treiber der Schlafapnoe sein. Alkoholkonsum vor dem Schlafengehen verstärkt eine Schlafapnoe.
Andere Forschungshoffnungen auf medikamentöser Ebene gibt es laut Mühlbacher derzeit nur eingeschränkt. Andere Forschungshoffnungen auf medikamentöser Ebene gibt es derzeit nur eingeschränkt. Vergangenes Jahr zeigte der Wirkstoff Tirzepatid, besser bekannt als Abnehmspritze Mounjaro, in einer von der Biotechfirma Eli Lilly finanzierten Studie positive Effekte bei Schlafapnoe. Dieser Effekt ist laut Lambers hauptsächlich über die Gewichtsreduktion erklärbar. In den USA ist Tirzepatid inzwischen zur Behandlung der Schlafapnoe zugelassen, in Europa nicht.
Interessant ist "AD109" laut Mühlbacher "vor allem deswegen, weil das Medikament die Ursache der Schlafapnoe therapiert und nicht die Auswirkungen". Apnimed hat vor, Anfang kommenden Jahres einen Zulassungsantrag bei der US-Arzneimittelbehörde FDA zu stellen. Bis dahin sollten auch die Daten aus einer zweiten, noch laufenden Wirksamkeitsstudie verfügbar sein.
Sollte die FDA grünes Licht geben, hält Mühlbacher eine Zulassung in der EU für realistisch. Auch Lambers kann sich vorstellen, dass das Kombi-Medikament in Zukunft in Europa erhältlich sein wird. "Für welche Zielgruppe und unter welchen Auflagen ist aber noch unklar."
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