Mehr Verlangen nach Fettem und Süßem: Wie ungesund ist Schichtarbeit?
Die Unterschiede in Europa sind gewaltig: Mehr als 40 Prozent der Beschäftigten in Serbien arbeiten in einem Schichtdienst, in Litauen sind es 9 Prozent. Österreich liegt mit 16 Prozent – rund 600.000 bis 700.000 Beschäftigte – etwas unter dem EU-Schnitt von 18 Prozent. Immer wieder sind die Auswirkungen von Schichtarbeit auf die Gesundeit in Diskussion. Aber was ist davon tatsächlich erwiesen?
„Man weiß grundsätzlich, dass die Störung des Tag-Nacht-Rhythmus einen negativen Einfluss auf die Gesundheit hat“, sagt der Ernährungswissenschafter Karl-Heinz Wagner, Uni Wien: Dadurch kommt es u. a. zu Schwankungen im Hormonhaushalt. Sie könnten ein Grund dafür sein, dass das Naschen von zucker- und fettreichen Snacks im Schichtdienst häufiger als sonst vorkommt: „Das begünstigt Übergewicht und Adipositas.“ Untersuchungen haben gezeigt, dass Schichtarbeit ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung von Fettleibigkeit ist.
Es sind alarmierende Ergebnisse, die kürzlich vom Institut für Höhere Studien (IHS) veröffentlicht wurden: Mehr als acht Prozent aller Todesfälle (unter 85 Jahre) und knapp fünf Prozent der Gesundheitsausgaben sind in Österreich auf Adipositas, also krankhaftes Übergewicht mit einem Body-Mass-Index ab 30, zurückzuführen. Und diese Prozentsätze steigen.
Menschen, die mit 45 Jahren mit Hochrisiko-Adipositas leben, sterben im Schnitt knapp fünf Jahre früher und verlieren fast zehn gesunde Lebensjahre. In Österreich haben 18 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen Adipositas.
Die Österreichische Adipositas-Allianz (ÖAA), ein Zusammenschluss von medizinischen Fachgesellschaften und Patienten-Vertreterinnen und -vertretern, fordert, dass Adipositas in Österreich als eigenständige Krankheit anerkannt wird. Die Stigmatisierung der Betroffenen müsse abgebaut werden.
Doch warum der Heißhunger auf Süßes und Fettiges so groß ist, ist nicht umfassend aufgeklärt. Ebenso wie die Frage, wie eine Gewichtszunahme bei einem unregelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus verhindert werden kann. Antworten soll ein großes, auf fünf Jahre angelegtes EU-Forschungsprojekt (Shift2Health) liefern, das von Wagner und der Uni Wien koordiniert wird.
Internationales Team
15 Partner aus sieben EU-Staaten sind daran beteiligt – Universitäten ebenso wie große Firmen mit Schichtdiensten. In Österreich sind es neben der Uni Wien auch noch die MedUni Wien und die Fachhochschule Joanneum in Graz.
„Dabei geht es neben den klassischen Nachtdiensten wie im Gesundheitsbereich oder in der Industrie auch um die steigende Zahl an Modellen von Wechselschichten“, sagt Wagner: „Wo man etwa einmal zeitig in der Früh und einmal am frühen Nachmittag mit dem Dienst beginnt.“
Ein Teil des Projekts wird eine Studie mit 1.000 Personen in fünf Ländern sein: 500, die in Schichtdiensten im Gesundheitsbereich oder in der Industrie arbeiten, und 500, die ausschließlich am Tag beschäftigt sind. „Wir werden in Wien mit Gesundheitspersonal und in Graz mit Beschäftigten aus Industriebetrieben Unterschiede in der Körperzusammensetzung, der Ernährung, im Schlafverhalten, aber auch im Darmmikrobiom untersuchen.“
Schicht- und Tagarbeitende
Wer im Gesundheitssektor arbeitet – entweder ausschließlich am Tag oder regelmäßig auch mindestens viermal pro Monat in der Nacht – kann an einer Studie über Lebensstilmerkmale, Körperzusammensetzung und Labordaten bei Tag- bzw. Nachtarbeiterinnen und -arbeitern teilnehmen.
Kontakt
Details werden nach Anfrage an die eMail-Adresse shift2health.ew@univie.ac.at zugesandt. Internet: www.shift2health.eu
Ziel des mit knapp 10 Millionen Euro dotierten Projekts ist es, neue Wege zu finden, Gesundheitsrisiken durch Schichtarbeit zu senken, sagt Wagner.
Untersucht werden soll auch der Einfluss des individuellen Chronotyps – Morgen- oder Abendmensch – auf die Auswirkungen der Nachtarbeit: Hier hat bereits vor einigen Jahren eine Studie der Epidemiologin Eva Schernhammer von der MedUni Wien ergeben, dass Nachtarbeit Abendmenschen („Eulen“) weniger belastet als Morgenmenschen („Lerchen“).
Einen Tipp, den Wagner schon jetzt geben kann: „Achten Sie besonders in der Nacht auf den Fettgehalt der Nahrungsmittel. Vielleicht können Sie den Fleischanteil durch den einen oder anderen vegetarischen Snack reduzieren.“ Hilfreich sei auch, wenn möglich, sich für das Essen bewusst einige Minuten Zeit zu nehmen. „Und überdenken Sie Automatismen. Gibt es Alternativen zur Verpflegung aus dem Automaten im Krankenhaus oder dem Betrieb?“
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