Sabine wird Sam: Von der Frau zum Mann

Sabine wird Sam: Von der Frau zum Mann
Wie der langwierige und schmerzhafte Weg verlaufen ist und warum es die beste Entscheidung in Sams Lebens war

„Mit 35 Jahren durfte ich meinen zweiten Geburtstag erleben. Da hatte ich endlich meine Diagnose“, sagt Sam und streicht sich durch den braunen Bart. Er galt von da an auch aus medizinischer und psychologischer Sicht als Transmann. Kurz darauf erhielt er seine erste Hormonspritze.

Sam wurde im Jahr 1975 in Wien geboren. Als Sabine. „Ich hatte sehr liebevolle Eltern, war ein Einzelkind und bereits im Kindergarten wäre ich lieber wie mein bester Freund gewesen.“ Sam spielte lieber mit den Burschen, trug nur Hosen und das Haar am liebsten ganz kurz. Er habe sich schon immer als Bub gefühlt.

In der Pubertät, wenn die Hormone einschießen und der Körper sich entwickelt, waren die äußerlichen Veränderungen für ihn sehr belastend. Bekam er Komplimente für seine weiblichen Formen, dann machte ihn das traurig. „Ich konnte meinen Körper nicht annehmen, ich habe mich selbst nicht angegriffen und im Spiegel nicht angeschaut. Für mich war das ganz furchtbar.“

Zu diesem Zeitpunkt war es ihm nicht möglich, zu benennen, was in seinen Gedanken passiert. Er traf weiter seine Freunde, aber er versank immer öfter in Traumwelten, in denen er sich eine Zukunft ausmalte. Eine Zukunft von einem schönen Familienleben mit Kindern. Aber er wollte nicht die Mutter sein, sondern der Vater.

„Damals gab es überhaupt keine Berichterstattung zu dem Thema, keine sozialen Medien. Ich wusste nicht, ob es irgendwo da draußen Menschen gibt, die sich genauso fühlen wie ich.“ Die Jahre vergingen und Sabine fand sich damit ab, ein Leben als verkannter Mann zu führen. Ohne Partnerschaft. In der Schule wurde er zum Klassensprecher gewählt, daheim im stillen Kämmerchen entwickelten sich Depressionen.

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Sabine wird Sam: Von der Frau zum Mann

„Ich brauche Hilfe“

Die Mutter merkt, dass mit der Tochter etwas nicht stimmt. Doch sie wusste nicht, was mit ihrem Kind los ist. Die tiefgreifende innerliche Abkopplung vom weiblichen Äußeren gipfelt schließlich in einem Nervenzusammenbruch. „Ich stand vor meiner Familie und habe ihnen gesagt, dass ich nicht mehr kann. Ich habe ihnen gesagt, dass ich eigentlich ein Mann bin und Hilfe brauche.“ Die damals sehr verständnisvolle Reaktion seiner Liebsten rührt ihn auch heute noch.

„Ich weiß zwar nicht wie, aber wir werden schon einen Weg finden“, sagt der Vater. Auch Sams Freunde zeigen sich unterstützend, nicht überrascht. „Sie alle haben mich gefragt, warum ich nicht schon früher damit rausgerückt bin. Das war sehr erleichternd. Ich hatte wirklich riesiges Glück.“ Sabine beginnt eine Therapie, Sam ist jetzt da. Für die Eltern wäre es nicht leicht gewesen, sich von der Tochter zu verabschieden und den Sohn willkommen zu heißen, aber alle spürten, dass es dennoch der richtige Weg ist. Ein Weg, der Sam aber auch Angst macht.

Er liest viel über Transidentität, informiert sich über Hormone und geschlechtsangleichende Operationen. „Als mir bewusst wurde, was da alles auf mich zukommt, habe ich Panik bekommen und mich gefragt, ob ich das wirklich will und brauche.“ Sam bindet sich ab nun die Brust ab, wenn er das Haus verlässt, verstellt seine Stimme, wenn er mit Leuten spricht. Er benutzt nur noch die Männertoilette. Auch seinen Blick verändert er, „ich dachte, wenn ich böse schaue, wirke ich männlicher“.

Es vergehen weitere Jahre, in denen Sam grübelt, welchen Weg er wählen soll. Schließlich war für ihn klar, dass er im Alter von 70 Jahren nicht realisieren möchte, sein ganzes Leben bloß „hinter sich gebracht“ zu haben.

Mit 35 war es dann soweit. Er durchlief die vorgeschriebenen Stationen bei Ärztinnen, Psychologen und Therapeuten und erhielt schließlich die medizinische Diagnose, dass er ein Transmann ist. Damit war der Weg frei für die nächsten Schritte. Besonders der Tag der ersten Hormonspritze bleibt ihm für immer in Erinnerung.

Schritt für Schritt

Sein Selbstbewusstsein wuchs und nach ein paar Wochen stellten sich die ersten Veränderungen ein. „Das war großartig für mich.“ Die Stimmbänder werden länger, daher klingt er tiefer, Bart wird sichtbar und das Gesicht kantiger, Muskeln treten hervor. Die Hormone bewirken auch, dass sich die Brust zurückbildet und dass sich aus der Klitoris ein kleiner Penis entwickelt. „Das sind starke Kräfte, die man nicht unterschätzen darf, das war eine Achterbahnfahrt der Gefühle“, sagt Sam.

Sarah-Michelle Fuchs ist Psychotherapeutin und Obfrau des Transgender Team Austria. Sie berät auch Angehörige von Transpersonen, oft sind es Eltern. „Ich erkläre ihnen, dass es wichtig ist, das Kind zu verstehen. Und das auf behutsamen Weg.“ In den letzten Jahren beobachte sie, dass das persönliche Umfeld ihrer Klienten verständnisvoller und unterstützender agiert als noch vor zehn Jahren. Da habe es große Fortschritte gegeben. Transpersonen kämpfen mit vielen Fragen, und Fuchs begleitet sie langsam, Schritt für Schritt. Zuerst dabei, die richtige Identität zu finden. Dann das Coming-out, dann die Hormone. Dann die Operationen.

Sabine wird Sam: Von der Frau zum Mann

Sam und Sabine

Heute hat Sam keine Brüste, keine Eierstöcke und auch keine Gebärmutter mehr. Aus seinem Oberschenkel, genauer gesagt aus dem anterolateralen Oberschenkellappen, haben Ärzte einen Penis geformt. Es ist ihm wichtig zu betonen, dass das alles ein jahrelanger und auch schmerzhafter Prozess mit vielen Operationen und nicht wenigen Komplikationen war. „Ich würde es trotzdem wieder machen, weil ich jetzt das Leben führe, das ich mir immer so sehr gewünscht habe.“

Sam ist seit einem Jahr verheiratet, seine Frau hat seinen Namen angenommen. Ein wunderschönes Geschenk, wie er es formuliert. Er beschreibt seine Transidentität nicht als Bürde, sondern sieht sie als Chance, zwei unterschiedliche Geschlechtserfahrungen machen zu dürfen. Bis an sein Lebensende wird er alle 12 Wochen eine Hormonspritze bekommen, sonst nehmen weibliche Hormone wieder die Oberhand und sein Äußeres verändert sich. Sam sagt, der größte Unterschied zwischen ihm und Sabine sei neben der männlichen Hülle die Zufriedenheit. „Alles andere sind Gemeinsamkeiten, weil ich immer noch der gleiche bin.“

 

In seinem Buch "anders normal", das Sam mit einer Hormonspezialistin geschrieben hat, werden über 130 Fragen zum Thema beantwortet. 

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