Ein Pochen im Kopf, ein „Autsch!“, wenn man sich verletzt hat, Bauchschneiden, nachdem etwas Falsches gegessen wurde: Akuter Schmerz kommt und geht wieder. Wenn Schmerzen jedoch chronisch werden und sich verselbstständigen, werden sie zu einem eigenen Krankheitsbild, das die Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und das Sozialleben erheblich einschränken kann. Laut „Global Burden of Disease-Studie“ vom Fachmagazin „The Lancet“ nimmt die weltweite Krankheitslast aufgrund von Schmerzen in allen Altersgruppen zu. Allein in Österreich leiden 1,8 Millionen Menschen an chronischen Schmerzen. „Das ist nicht nur eine große Belastung für Betroffene, es verursacht auch enorme Kosten“, sagte Univ.-Prof. Wilhelm Eisner, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft bei den österreichischen Schmerzwochen 2024.
Die moderne Schmerzforschung ist also mehrfach gefordert. Zum einen ist immer noch nicht zur Gänze bekannt, wie Schmerz funktioniert und welche Vorgänge dazu führen, dass er sich wieder auflöst. Zum anderen braucht es eine noch viel breitere Palette an innovativen Therapieansätzen, zumal nicht alle Medikamente bei jedem gleich wirken. Ziel ist eine umfassende und möglichst individuelle Schmerzbetreuung.
Eine Übersicht über die wichtigsten Entwicklungen:
- Neue Medikamente
Opiate zählen nach wie vor zu den bedeutendsten Medikamenten gegen starke Schmerzen, verursachen aber schwere Nebenwirkungen und werden oft missbräuchlich verwendet. In den USA sterben durch die „Opioidkrise“ jährlich 100.000 Menschen an einer Überdosis. „Die Forschung in diese Richtung ist ins Stocken geraten, die Verschreibungen sinken dort, was zu einer Unterversorgung bei Palliativ- und Tumorpatienten führt“, sagt Rudolf Likar, Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin am Klinikum Klagenfurt. Im Fokus der Wissenschaft steht daher die Suche nach Alternativen. Die Entwicklung von Nicht-Opioid-Schmerzmitteln erlebt einen Aufschwung, im Sinne einer neuen Generation von Schmerztherapeutika.
Laut „Globaldata“ befinden sich mehr als 500 Schmerzmittel in der aktiven Entwicklung, viele zielen auf alternative Opioid-Rezeptoren ab. Diese Rezeptoren sind winzige Empfänger im Körper (u. a. im Gehirn oder Rückenmark), die Signale von Substanzen wie Opioiden aufnehmen, sodass Schmerzen gelindert werden. So entwickelten etwa Forscher im Rahmen einer internationalen Studie unter der Leitung der MedUni Wien einen opioid-ähnlichen Wirkstoff, der – zunächst im Tiermodell – Schmerzen effektiv lindern kann und weniger unerwünschte Nebenwirkungen hat. Der Wirkstoff bindet an den so genannten Kappa-Opioid-Rezeptor, der Schmerzen vermindern kann, ohne das Risiko für psychische Abhängigkeit und Sucht.
Cannabinoide (CBD) gelten ebenso als Favoriten der künftigen Therapie chronischer Schmerzen, sie werden intensiv beforscht. „Damit arbeite ich viel, meiner Meinung nach ist das Cannabinoid-System besonders interessant, weil es zu keiner Toleranzentwicklung kommt. Da liegt viel drin, in meinen Augen“, sagt Likar. Mehr Studien dazu wären wichtig. CBD ist ein nicht-psychoaktiver Wirkstoff, der in der Schmerztherapie vielseitig eingesetzt werden kann, vor allem bei sonst therapieresistenten Symptomen, oft in Kombination mit anderen Medikamenten. „Eine therapeutische Ergänzung mit CBD kann dazu führen, dass Schmerzpatienten häufig weniger Opioide brauchen“, so Rudolf Likar, der eine Einstufung als rezeptpflichtiges Medikament forderte. Ein weiterer spannender Wirkstoff, z.B. bei neuropathischen Schmerzen, wie bei Gürtelrose: das Capsaicin der Chilis. Laut Likar zeigen mittlerweile mehrere neue Studien dessen schmerzlindernde Eigenschaften, und das ohne Nebenwirkungen.
- Innovative Schmerztherapien
Alternativen und Ergänzungen zu Medikamenten zu finden, ist ein weiteres Ziel in der Schmerzforschung. Als eine der spannendesten Innovationen gilt hier die Virtual-Reality-Technologie. Mit Unterstützung von VR-Brillen tauchen Patienten in eine virtuelle Welt, die ablenkt, entspannt oder die Illusion eines Körpers erzeugt, der als „echt“ erlebt wird. Studien zeigen, dass die virtuelle Reise in positive Welten Schmerz reduzieren kann.
Ein Hoffnungsträger ist außerdem eine neuartige Therapie aus dem Bereich der Neuromodulation, um chronische Schmerzen zu lindern, indem das Nervensystem direkt beeinflusst wird. Wie etwa bei der „aurikulären Vagusnerv-Stimulation“. Sie wird zur Behandlung unterschiedlicher Schmerzen eingesetzt, zum Beispiel bei chronischen Rückenschmerzen, rheumatischen Erkrankungen, Reizdarmsyndrom und Migräne.
„Wir haben dazu viel geforscht, weil wir den Vagusnerv als regulierende Schaltstelle zwischen Gehirn und Körperorganen grundsätzlich für die Heilung brauchen und er die Schmerzwahrnehmung verändern kann“, so Likar. Dabei wird ein kleines Gerät abwechselnd am linken oder rechten Ohr der Schmerzpatienten platziert, wo es stimulierende Impulse über feine Nadelelektroden sendet. Es wird zwischen sieben und zehn Tagen getragen und stimuliert unterschiedlich. Man vermutet, dass die schmerzlindernde Wirkung aufgrund einer Blockade der Schmerzweiterleitung durch die absteigenden Schmerzbahnen entsteht und der Vagusnerv Entzündungen hemmt. „Eine nebenwirkungsarme Therapie, die hilft Schmerzmedikamente zu reduzieren und sehr gut wirkt. Wir haben auch erreicht, dass die Kosten für das Gerät refundiert werden, das wird an Breite gewinnen“, so Likar.
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- Personalisierte Medizin
Individualisierung und personalisierte Therapie spielen auch in der Schmerztherapie eine immer größere Rolle – und damit ein ganzheitlicher Blick auf den Menschen.
Je mehr man über den Patienten weiß, desto effizienter ist auch die Behandlung. Jeder Mensch erlebt Schmerz anders und es gibt einen Unterschied zwischen Frauen und Männern. Frauen leiden etwa sechsmal häufiger an chronischen Schmerzen. Ziel der Forschung ist es daher, objektive Biomarker für chronische Schmerzen zu finden, um diese besser zu messen, zu diagnostizieren und neue Therapieansätze zu finden. Laut „Nature Neuroscience“ gelang es etwa einem Team an der University of California, Schmerzen direkt am Gehirn von Patienten abzulesen. Die Aktivität einer speziellen Region im Stirnhirn verriet, ob jemand chronische Schmerzen hat und wie stark sie sind, was die Chance auf eine exaktere Diagnose und gezielte Therapien erhöhen könnte.
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