Mythen rund um Rheuma: Das hat doch nur der Opa!
Googelt man "Rheuma", spuckt die Suchmaschine binnen Sekunden Millionen Ergebnisse aus. "Vieles davon ist gefährliches Halbwissen", weiß Peer Aries. Der Rheumatologe behandelt und erforscht seit vielen Jahren rheumatische Erkrankungen. "Für die Bevölkerung ist Rheuma nach wie vor eine Art Blackbox – eine Krankheit, die nicht gut verstanden wird", sagt er.
Gleichzeitig zählen Schmerzen des Bewegungsapparats zu den häufigsten Leiden. "Früher war es wichtig, vermeintliche Erklärungen dafür zu haben. Diese Mythen sind bis heute bestehen geblieben."
Was durch neue Erkenntnisse heute als überholt gilt und welche Erzählungen einen wahren Kern haben, erklärt Aries im Interview.
KURIER: Bei Rheuma denkt man an Gelenksschmerzen. Ist das medizinisch korrekt?
Peer Aries: Das ist tatsächlich falsch. Nicht alles, was im Bewegungsapparat schmerzt, hat mit Rheuma zu tun. Es gibt viele rheumatische Erkrankungen, die gar nichts mit Gelenken und Schmerzen zu tun haben. Gemeinsam haben sie, dass sie mit Entzündungen zu tun haben. Egal, ob sich diese in den Gelenken abspielen bzw. im Bindegewebe, in den Weichteilen oder den Blutgefäßen.
Gibt es ein Bewusstsein, dass Kinder erkranken können?
Ganz und gar nicht. Zum Glück passiert es eher selten. In Deutschland sind an die 20.000 Kinder erkrankt.
Wird bei jüngeren Patienten anders therapiert?
Ja, man kann hier keine kleine Erwachsenenmedizin anwenden, sondern muss sich sehr gut auskennen. Schwierig ist die Behandlung deshalb, weil kaum Medikamente speziell für Kinder zugelassen sind. Man bewegt sich bei der Therapie häufig außerhalb des Zulassungsbereichs.
Welche Alarmsignale sollten wachsam machen?
Morgensteifigkeit ist kein Symptom, das sicher auf Rheuma hindeutet. Im Grunde ist der wichtigste Hinweis eine Entzündung im Körper, die nicht auf Viren oder Bakterien zurückzuführen ist. Hier sollte von hausärztlicher Seite auch an Autoimmunerkrankungen gedacht werden.
Hat ein gesunder Lebensstil einen schützenden Effekt?
Es gibt ein paar Studien, die zeigen, dass der Konsum von rotem Fleisch möglicherweise mit einem vermehrten Auftreten von Autoimmunerkrankungen zusammenhängt. Oder, dass Vitamin D eventuell der Entstehung entgegenwirkt. Das Problem ist, dass diese Studien Bevölkerungsstudien sind. Eine Gruppe nimmt zum Beispiel vermehrt Vitamin D, die andere nicht. Auf welche Lebensstilfaktoren der Anti-Rheuma-Effekt am Ende zurückzuführen ist, kann man so nicht beantworten.
Betroffene haben oft Sorge, dass Impfungen das Rheuma schubhaft aufflammen lässt. Eine begründete Angst?
Die Entstehung einer Rheuma-Erkrankung geht in den seltensten Fällen ausschließlich auf eine Impfung zurück. Meistens bestehen schon viele Jahre vorher Veränderungen des Immunsystems. Durch die Impfung kommt es zu einer Aktivierung des Immunsystems und letztendlich zu einem Ausbruch. Dann ist aber nicht die Impfung die Ursache, sondern eher das letzte Glied in einer langen kausalen Kette. Die Sorge vor Schüben halte ich für ungerechtfertigt. Sicher kommt es vor, dass einzelne Patienten für wenige Tage zunehmende Entzündungen oder auch Gelenksschmerzen verspüren. In den allermeisten Fällen handelt es sich hier um ein kurzzeitiges, mildes Phänomen.
Also trotzdem impfen?
Natürlich! Gerade Rheumatiker müssen sich impfen lassen, weil sie durch Erkrankung und Therapie ein höheres Risiko haben, dass Infekte schwer verlaufen.
Aktuelle Zahlen
Rheuma ist ein Überbegriff für mehrere Hundert Erkrankungen. In Österreich sind rund 2 Mio. Menschen betroffen.
Fortschritt
Lange bediente man sich entzündungshemmender Medikamente, die Rheuma nur unterdrücken. Neuere Therapien können Rheuma stoppen, ohne die Immunabwehr lahmzulegen. Auch erste Versuche, das Immunsystem umzubauen und Rheuma "einschlafen" zu lassen, gibt es.
Bewirken Hausmittel wie Kurkuma, Heilerde oder Leinsamen irgendetwas?
Dafür gibt es keine Beweise. Das Entscheidende ist, dass wir vermeiden wollen, dass Patienten denken ’Ach, ich behandle mich erst mal selbst mit Kurkuma’ – und wertvolle Zeit bis zur adäquaten Therapie verstreicht.
Welche Rolle spielt die Psyche bei der Krankheit?
Die Psyche spielt bei chronischen Schmerzerkrankungen eine bedeutende Rolle. Patienten machen unterschiedliche Phasen durch: Anfangs sind sie bestürzt, wenn sie die Diagnose erhalten. Dann merken sie, dass es mit den Medikamenten besser wird – sind euphorisch. Dann wieder betrübt, weil sie glauben, dass es womöglich ohne nie wieder gehen wird. Jeden Tag berichten mir Patienten, dass emotionale Ereignisse Schmerzen verursachen. Weil Stress eine veränderte Muskelspannung im Körper auslöst, die als unangenehm empfunden wird. Aber auch, weil die Psyche das Immunsystem tatsächlich beeinflusst.
In welche Richtung entwickelt sich die Forschung zu neuen Therapien?
Lange hat man sich – für die damalige Zeit toller – entzündungshemmender Medikamente bedient, die die Krankheit nur ein bisschen unterdrücken und nicht wirklich stoppen konnten und breit das Immunsystem behandelten. Vor rund zehn Jahren sind neue Therapiekonzepte verfügbar geworden, die es geschafft haben, dass die Krankheiten wirklich gestoppt werden und nicht das gesamte Immunsystem lahmgelegt wird, sondern nur einzelne Teile. Künftig werden wir versuchen, tatsächlich das Immunsystem umzuprogrammieren. Es gibt in Erlangen zum Beispiel erste Versuche, wo man das Immunsystem umbaut: Man nimmt einzelne weiße Blutzellen und pflanzt ihnen ein Gen ein, damit das Rheuma einschläft. Und das wirkt sehr gut. Im Moment aber erst bei zwölf Patienten. Aber das wird sicher die Zukunft sein.
Kommentare