Retter der Mütter: Warum Ignaz Semmelweis verkannt wurde
Der verkannte Retter der Mütter200 Jahre Semmelweis. Warum der Arzt zu Lebzeiten keine Anerkennung fand, seine Arbeit aber aktueller denn je istvon Gabriele Kuhn„Ein Kind zur Welt zu bringen ist genauso gefährlich wie eine Lungenentzündung ersten Grades“, notierte Ignaz Semmelweis 1846 in sein Tagebuch. Zeit seines Lebens wurde der Mann, der die Ursache für das Kindbettfieber entdeckte, angefeindet. Heute würde ihm dafür wohl für der Nobelpreis zuerkannt. Über das Schicksal und die Leistung des Wiener Arztes sprach der KURIER mit Bernhard Küenburg, Präsident der Ignaz Semmelweis Gesellschaft.
KURIER: Semmelweis stellte fest, dass die Todesrate unter Müttern an jener Abteilung des Spitals am höchsten war, in der Ärzte und Studenten für die Geburt verantwortlich waren. Er fand den Grund und eine Lösung für die hohe Todesrate. Eine Erkenntnis, die ihm Hohn einbrachte. Warum?
Bernhard Küenburg: Ich beziehe mein Wissen unter anderem von der Politikwissenschafterin Anna Durnová, die dazu das Buch „In den Händen der Ärzte“ geschrieben hat. Der Arzt war eine Autoritätsperson und unfehlbar. Diese Unfehlbarkeit wurde insofern angegriffen, als Semmelweis bewiesen hat, dass es die Hände der Ärzte waren, die die Infektionen hervorriefen. Ein Affront. Das hat viele der eher konservativen Ärzte verunsichert und gekränkt, daher haben sie ihn abgelehnt. Eine menschliche Reaktion, wenn man angegriffen wird – auch wenn es Fakten dazu gibt. Da würden wohl noch heute viele in eine Verteidigungshaltung gehen.
Der so genannte Semmelweis-Reflex?
Der Begriff steht bis heute für das Ablehnen von Fakten ohne guten Grund, nur weil man sich angegriffen fühlt.
Welche Rolle spielte die politische Situation dieser Zeit?
Die war dramatisch, das Jahr 1848 war das Revolutionsjahr. Semmelweis und seine Freunde Rokitansky oder
Skoda haben die aufstrebende Liberalisierungsbewegung unterstützt. Sein Chef, Professor Klein und die Universitätsleitung waren eher Anhänger von Metternich und den Konservativen. Der Fall Semmelweis hat sich zum Politikum aufgebauscht. Klein war Semmelweis zunächst nicht schlecht gesonnen, hat das anfänglich mitgetragen und sich selbst die Hände desinfiziert. Erst später wurde er zu einem erbitterten Gegner.
Die Ärzte waren aber auch selbst sehr unglücklich wegen der Todesrate?
Ja, es war eine Katastrophe, auf der ersten Geburtenstation gab es eine Sterblichkeit von bis zu 30 Prozent. Das war höher als auf einem Schlachtfeld. Man bezeichnete das Kindbettfieber auch als Dämon. Semmelweis hat eine Lösung gefunden und anfangs haben sich alle widerwillig, aber doch, die Hände desinfiziert. Erst als der Fall Semmelweis zum Politikum wurde, wurde er fallen gelassen und sein Vertrag in
Wien nicht verlängert.
Er war ungehalten, es hieß, er wurde verhaltensauffällig?
Semmelweis hat begonnen, immer harschere Töne anzuschlagen. Logisch, es lag ja die Evidenz auf dem Tisch, dass Frauen gerettet werden können. Er hat sich weit aus dem Fenster hinausgelehnt und zu seinen Kollegen gesagt: „Die Fakten sind eindeutig, und Ihr missachtet das, also bringt Ihr aktiv Leute um und werdet zu Mördern“.
Der Konflikt schaukelte hoch.
... und er endete dramatisch, indem man Semmelweis eine Geisteskrankheit unterstellt und gegen seinen Willen in eine Irrenanstalt eingewiesen hat, wo er wenige Tage später im Alter von 47 Jahren gestorben ist. Es ist geschichtlich zweifelsfrei, dass er durch Gewalteinwirkung, vermutlich von Seiten des dortigen Pflegepersonals gestorben ist. Er konnte zweifelsfrei beweisen, dass durch die Maßnahme der Händedesinfektion mit Hilfe von Chlorkalk die Infektionsraten fast bis auf Null gesunken sind. Aber: Er konnte die Keime auf der Hand nicht zeigen, weil in Wien die Technik der Mikroskopie nicht zur Verfügung stand. Das hat man ihm vorgeworfen. Es wurde versucht, seine Theorie in Zweifel zu ziehen.
Semmelweis gilt als einer der Pioniere der evidenzbasierten Medizin?
Er ist einer der Miterfinder und Mitbegründer der Evidence Based Medicine und eindeutig Begründer der Antisepsis und
Handhygiene. Er hat die klarste Datenlage geschaffen und die Basis für moderne Spitalshygiene und Antisepsis gelegt.
Zur Spitalshygiene: Da gibt es auch heute noch viel zu tun.
Dass es immer noch etwas zu tun gibt, zeigt Didier Pittet von der Uni-Klinik in Genf, er ist der Topexperte der WHO für Spitalshygiene. Berühmt wurde er als er im Jahr 2000 eine Arbeit publiziert hat, in der er zeigte, wie viele Infektionen es im viertgrößten Spital, in einem der reichsten Länder Europas noch gibt. Er stellte fest, dass man sich die Hände in einem Spital mit 70-prozentigem Alkohol desinfizieren müsse.
Und dann?
Heute ist das die WHO Standardmethode, Pittet hat mit dem Spitalsmanagement eine Kampagne eingeführt, und motiviert, sich vor und nach jedem Patientenkontakt die Hände zu desinfizieren. Er hat danach wieder gemessen und stellte fest, dass die Infektionsrate halbiert werden konnte. Pittet ist einer der würdigsten Nachfolger von Ignaz Semmelweis, in einer Zeit, in der wir immer noch ein Riesenproblem mit diesem Thema haben.
Der Unterschied zu heute?
Semmelweis musste „nur“ das Kindbettfieber bekämpfen. Aber wir haben heute durch den unbedenklichen Gebrauch von Antibiotika Keime und Bakterien gezüchtet, die resistent geworden sind. Viele Gesundheitsexperten halten diese Keime für eine der größten Bedrohungen der Menschheit, es ist ein Thema, das am vorletzten G-7 Gipfel diskutiert wurde. Das heißt etwas. Es gibt Studien, die besagen, dass in Europa zirka 150.000 Menschen pro Jahr direkt und indirekt an diesen Spitalskeimen versterben und der Großteil dieser Infektionen ist durch die Hand übertragen worden. Das überschreitet sogar die Zahl an Verkehrstoten.
Ihre Botschaft?
Handhygiene! Im Spital ist es wichtig, sich die Hände mit Alkohol zu desinfizieren. Spender hängen in jedem Spital an der Wand. Wie bei Semmelweis geht es um die Vermeidung hochgefährlicher Infektionen.
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