Ins Radfahren reinwachsen
Den Grundstein für eine nachhaltige Freude am Radfahren können Eltern selbst legen: "Wenn Kinder ihre Familie von klein auf radeln sehen und Räder zum Alltag dazugehören, wachsen sie in diese Bewegungsart hinein", weiß Hildegard Hefel von der Mobilitätsagentur Wien, die seit 2011 zusammen mit der Stadt Wien Fahrradfahren in der Bundeshauptstadt fördert.
Motorik, Gleichgewicht, Koordination, Selbstvertrauen: Radfahren ist in vielerlei Hinsicht günstig für die kindliche Entwicklung. "Kinder sollten täglich mindestens eine Stunde lang körperlich aktiv sein und das Rad ermöglicht es, Bewegung einfach in den Alltag zu integrieren", beschreibt Hefel. Stützräder, mit denen Kinder anfangs assistiert in die Pedale treten, gelten schon lange als überholt. "Inzwischen wissen wir, dass nichts besser auf das eigenständige Radfahren vorbereitet als das Laufrad."
Steile Lernkurve dank Laufrad statt Stützrädern
Sobald ein Kind gehen kann, darf ein Laufrad zuhause einziehen. Mit den pedallosen Vorläufern trainieren Kinder die Balance. "Der Umstieg aufs echte Rad ist dann kein Problem mehr", sagt Hefel. Oft klappe das Radfahren binnen eines Tages reibungslos, "teilweise fahren die Kinder einfach los". Neben Gleichgewichtssinn und Fahrgeschick gelte es, die Persönlichkeit eines Kindes zu beachten: "Ängstlichere Kinder brauchen vielleicht ein bisschen mehr Unterstützung und Ermutigung."
Im Straßenverkehr lassen sich mit dem Laufrad ebenfalls erste Erfahrungen sammeln. Auch hier haben Eltern eine Vorbildfunktion, sagt Hefel: "Man sollte sich möglichst früh gemeinsam mit Kindern im Straßenraum bewegen, sie dort anleiten und ihnen die Möglichkeit geben, sich als Verkehrsteilnehmende zu erproben. Das trägt später zu einem sicheren Verkehrsverhalten bei."
Viele Kinder lernen zwischen drei und vier Jahren selbstständig Rad zu fahren. Wann genau der Umstieg aufs echte Rad Sinn macht, sei immer eine individuelle Entscheidung, sagt Hefel. "Wichtig ist, dass man beobachtet, wie sich das Kind am Laufrad bewegt, ob es die Spur halten und sicher und zielgerichtet bremsen kann und auch weiß, wann anhalten angezeigt ist." Hat man den Eindruck, dass diese Fertigkeiten beherrscht werden "und das Kind neugierig aufs Radeln ist, spricht nichts dagegen".
Bevor man sich in den Straßenverkehr begibt, sollten die genannten Fertigkeiten und Verkehrsregeln im Schonraum – auf leeren Parkplätzen am Wochenende etwa – gut eingeübt werden. "Im Straßenverkehr bewegt man sich anfangs am besten vorrangig auf baulich getrennten Fahrradwegen", sagt Hefel und weist darauf hin, dass Eltern bis zum 14. Lebensjahr des Kindes das Recht haben, mit dem Fahrrad neben ihnen auf der Straße zu fahren und sie so durch den Verkehr zu begleiten. Ausnahme sind Straßen, auf denen Schienen verlaufen. "Für Kinder ist dieses geschützte Setting perfekt, um die Verkehrsregeln zu lernen." Auch bei gemeinsamen Wochenendausflügen abseits urbaner Gegenden gewinnen Kinder Sicherheit.
Kinder sollten auf Straßen Präsenz zeigen
Fachleute bedauern immer wieder, dass das Fahrradfahren eine zunehmend geringere Rolle im Leben von Heranwachsenden spielt. So machen laut Angaben der Wiener Landespolizei nur mehr rund 15 Prozent der Viertklässler in Wien den "Radfahrführerschein". Wobei aus dem jüngsten Mobilitätsreport hervorgeht, dass von 2015 bis 2019 rund fünf Prozent der sechs- bis zehnjährigen Kinder in Wien täglich mit dem Rad zur Schule fahren. Immerhin eine Steigerung zum Zeitraum 2010 bis 2014, wo dies nur auf ein Prozent zutraf.
Grund dafür ist laut Expertinnen und Experten unter anderem die Verkehrsbelastung auf den Straßen. Wichtig sei laut Hefel, dass Kinder auf den Straßen Präsenz zeigen. Etwa im Rahmen der Bicibus-Initiativen, bei denen Eltern und Kinder zusammen zur Volksschule radeln.
Im Idealfall sind nicht die Eltern allein für die Raderziehung zuständig. Gefördert werden kann auch im Kindergarten und der Schule. "Kindergärten mit Außenräumen haben oft Laufräder, das ist hilfreich, weil nicht jede Familie selbst über welche verfügt." In der Volksschule ist die Mobilitätsbildung im Lehrplan verankert. "Ziel ist, dass das Rad gut kennengelernt und der Bewegungsradius schrittweise vergrößert wird", sagt Hefel.
Räder aus zweiter Hand, Helme lieber nicht
Beim Radkauf stehen Gewicht, Größe und Bremsen ganz oben auf der Checkliste: „Das Rad muss leicht sein, braucht gute Bremsen und die Größe muss passen. Das probiert man am besten direkt mit dem Kind aus, bevor das Rad gekauft wird.“
Räder sind teure Anschaffungen. Vor allem für Kinderräder gibt es einen guten Gebrauchtmarkt über Apps und Online-Plattformen. In Wien bietet der 48er-Tandler eine große Auswahl geprüfter und reparierter Kinderräder diverser Marken an. Beim Helmkauf – für Kinder bis zum 12. Geburtstag besteht Radhelmpflicht – sollte von einer Anschaffung aus zweiter Hand abgesehen werden, "da man nie weiß, ob der Helm schon mal in einen Unfall verwickelt war", sagt Hefel. Wichtig sei, dass der Helm gut sitzt, richtig eingestellt ist und dem Kind gefällt. "Auch hier kann im Fachgeschäft gut beraten werden."
Vor allem bei den ersten Runden alleine am Rad gilt: Stürze passieren – " das ist es wichtig, zu trösten und etwaige Blessuren zu versorgen", sagt Hefel. Dann bleibt die Freude am Radeln lange erhalten.
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