Dunkelheit, Gewitter, Monster unterm Bett
In "Chrissi und das Reh" wird eine für das Kindesalter typische Angst aufgegriffen: die Angst vor der Dunkelheit. "Viele Kinder haben eine natürliche Angst vor Dunkelheit beziehungsweise dem Alleinsein, eine Verlustangst also", erläutert Krauland. Das sei nachvollziehbar: "Die Anwesenheit einer Bezugsperson ist für Kinder essenziell fürs Überleben."
Je älter Kinder werden, desto vielfältiger und abstrakter können Ängste werden. Kinder seien, das betont Krauland, in ihren Persönlichkeiten und damit auch in ihrer Angstneigung verschieden. Der Einfluss der Erziehung sei dennoch nicht zu unterschätzen: "Es gibt so etwas wie gelernte Ängste. Wenn eine Mutter Höhenangst hat, ist es wahrscheinlich, dass das Kind solche Situationen ähnlich einschätzt, weil es am Modell lernt."
Empathisch auf das Kind eingehen
Manche Kinder teilen ihre Ängste nicht sofort mit – oder können es aufgrund ihres Alters noch nicht. "Fast alle Eltern können empathisch erfühlen, wenn ihr Kind sich ängstigt – wenn sich ihr Verhalten verändert, die Mimik sorgenvoll wird, bestimmte physiologische Prozesse in Gang kommen, wie Zittern oder Weinen, wenn die Panik überhandnimmt."
Zum Problem wird die Angst, wenn sie extreme Formen annimmt, "zum Beispiel in bestimmten Situationen in eine Panikreaktion mündet, wo im Grunde keine Panik angebracht ist", formuliert es Krauland. Dann wird die Angst zur Einschränkung und verursacht Leid, "weil das Leben nicht mehr unbeschwert lebbar ist".
Verstärkt werden Ängste durch Vermeidung. Krauland erklärt es anhand eines Beispiels: "Wenn ein Kleinkind Angst vorm Rutschen hat, weil es sich einmal den Kopf gestoßen hat, meidet es das Spielgerät. Es macht die Erfahrung, dass es sich nicht wehtut, weil es nicht rutscht, nicht aber, dass rutschen auch Spaß machen kann und nichts dabei passiert." Die Angst weitet sich infolge oft aus: "Das Kind steigt irgendwann nicht mehr aufs Klettergerüst, weil der Vermeidungsimplus sagt: 'Mach nichts, dann passiert nichts'."
Macht das Kind allerdings mehrfach die Erfahrung, dass rutschen sicher ist, baut sich die Angst ab bzw. wird zugunsten des positiven Erlebnisses in Kauf genommen.
Das Beispiel steht exemplarisch für viele Situationen im Leben von Kindern. Die daraus ableitbare Handlungsanleitung für Eltern ist immer gleich: "Es ist wichtig, die Ängste eines Kindes ernst zu nehmen, sie nicht abzuwerten oder zu bagatellisieren, etwa mit Sätzen wie 'Das ist doch alles nicht so tragisch'", sagt Krauland. Zwang sei ebenso ein schlechtes Mittel, schrittweise das Vertrauen zu stärken, hingegen ein gutes. "Eltern sollten Halt und Verständnis geben und Kinder nicht mit ihrer Angst allein lassen oder sie überfordern, sie aber auch mit Bedacht an den Herausforderungen wachsen lassen."
"Kindern nicht alle unschönen Gefühle ersparen"
Letztlich lasse sich dieses Muster auch auf komplexere Angstauslöser wie etwa die jüngste Terrorattacke in Villach umlegen: "Hier kommt erschwerend hinzu, dass auch so mancher Erwachsener verunsichert ist."
Wichtig sei, aufkommende Emotionen anzusprechen, nachzufragen, was genau das Kind beschäftigt. "Oft betrifft es das alltägliche Leben, wo man Ängste auflösen und Sicherheit vermitteln kann – die allumfassende Garantie, dass nie etwas passieren wird, kann man ohnehin nicht geben." Manche Kinder reagieren aus unterschiedlichen Gründen sehr stark auf solche Ereignisse. Dann kann es sinnvoll sein, sich professionelle Unterstützung zu holen.
Dass sich inzwischen immer mehr Bücher mit dem Thema Angst befassen, begrüßt Krauland. "Geschichten, die das Überwinden der Angst fantasievoll erlebbar machen, eignen sich wunderbar, um mit Kindern darüber in den Austausch zu kommen", sagt sie.
"Es ist wichtig, dass wir Kindern nicht alle unschönen Gefühle ersparen", summiert Krauland. "Sonst sind sie als Erwachsene hilflos und mangelnde Kompetenzen im Umgang begleiten sie womöglich ein Leben lang." Krauland rät Eltern, Kindern die Chance zu geben, sich Ängsten zu stellen. "Mutig kann nur jemand sein, der schon mal eine Angst überwunden hat."
Mut erlangt auch Chrissi im Laufe des Buches wieder. Im Wald trifft sie ein Reh. Von ihm lernt sie, dass alles sein darf, Angst und Mut. Chrissi lernt, dass "Mut guttut".
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