Hatice Koca ist Intensivkrankenpflegerin und möchte mit Vorurteilen rund um den Beruf aufräumen.
Die 30-Jährige ermöglicht mit ihren witzigen und ehrlichen Videos einen Blick hinter die Kulissen der Intensivpflege. Warum sie das tut und was sie am österreichischen Gesundheitssystem stört.
Hatice Koca nimmt sich in ihren TikTok-Videos kein Blatt vor den Mund: Pflege ist mehr als "Ärsche auswischen", sie ist nicht Intensivkrankenpflegerin geworden, um irgendwann den Chefarzt zu heiraten und ja, sie mag den Job tatsächlich.
Die 30-Jährige ermöglicht ihren Followern einen Blick hinter die Kulissen des Pflegealltags. Sie ist dabei witzig, aber geht auch ehrlich damit um, dass Pflege nicht nur "der schönste Beruf der Welt", sondern auch ein sehr anstrengender ist.
Sie spricht ernste Themen an, wie den akuten Personalmangel in der Pflege, und räumt mit Vorurteilen auf. In ihrem neu erschienen Buch ist ihr gelungen, das, was sonst kurze Videosequenzen sind, einfühlsam niederzuschreiben.
Warum sie sich so für die Pflege einsetzt und woran das österreichisches Gesundheitssystem krankt, erzählt sie im Interview mit dem KURIER.
KURIER: Frau Koca, warum möchten Sie Ihre Erlebnisse in der Intensivpflege teilen?
Hatice Koca: Ich habe damit begonnen, weil es keine deutschsprachige Pflegekraft auf Social Media gab. Ich glaube, es gab eine Lücke – viele Leute haben Interesse dafür. Zuerst habe ich meine Erfahrungen geteilt, wie die Ausbildung abläuft, später meinen Arbeitsalltag. Ich habe gemerkt, das bewegt die Leute und Pflegekräfte fühlen sich repräsentiert. Wir haben ein Imageproblem in der Pflege. Ich möchte zeigen: Pflege ist cool, Pflege ist vielfältig. Ich spreche vieles an, was den Berufsstolz angeht und da hole ich viele ab. Ich freue mich sehr, wenn mir jemand schreibt, er möchte in die Ausbildung gehen – das ist unheimlich schön. Aber auch wer nicht beruflich in der Pflege ist oder in die Pflege geht, hat irgendwann einmal damit zu tun. Ich spreche auch über Probleme, die im Gesundheitssystem vorhanden sind.
Es gibt einen großen Mangel an Pflegekräften, die meisten verlassen den Beruf nach sieben Jahren. Das ist ein großes politisches Problem. Es gibt genug Interessierte, die die Ausbildung machen wollen, aber es fehlen die Gelder, die Ausbildungsplätze. Die Dropout-Rate im Studium ist sehr hoch. Das Berufsimage ist ein großer Punkt – während Covid haben wir Applaus bekommen, aber sonst verbinden viele die Pflege nur mit "Arsch auswischen". Pflege ist aber ein sehr komplexer Beruf, der auf verschiedenen Ebenen mental, emotional und körperlich fordernd ist. Man muss klug sein, schnell denken können, seinen Instinkten vertrauen. Ich würde mich freuen, wenn mehr Menschen sehen, dass wir viele Fähigkeiten haben.
Sie schreiben im Buch „Pflege ist fucking anstrengend“ von fordernden Tagen. Wie kann man das durchhalten?
Es kommt darauf an. Wenn ich Menschen anschaue, die den Beruf machen, seit ich geboren bin, sehe ich selten Anzeichen von Müdigkeit. Oft ist eine emotionale Verbundenheit da, weil man vielleicht eine Station aufgebaut hat. Ich habe aber bei mir stark gemerkt, dass bei 40 Wochenstunden meine Lebensqualität leidet. Deshalb, und wegen meinem Masterstudium, habe ich auf 30 Stunden reduziert. Ich verdiene ausreichend, habe eine gute Work-Life-Balance und bin nicht ganz so ausgebrannt wie bei 40 Stunden.
Sie beschreiben Situationen, die Sie überfordern. Ist es üblich, das zuzugeben?
Nein. Es ist sehr unüblich. Ich glaube tatsächlich, es herrscht so ein Gedanke von "Wer am meisten wegstecken kann, ist der Coolste". Ich habe aber schnell gemerkt, dass das für mich nicht funktioniert. Es lässt mich nicht kalt, wenn jemand verstirbt. Ich finde gut, meinen Emotionen, meinen Ängsten, meiner Belastung Raum zu geben. Mir hilft das, das Erlebte zu verarbeiten. Wenn wir alles schlucken, nicht sagen, was wir als Pflegekräfte brauchen, brauchen wir uns nicht wundern, wenn es dafür gesellschaftlich kein Ventil gibt.
Buchcover "In besten Händen. Tagebuch einer Krankenschwester".
Wo holen Sie sich Trost und Kraft für den Umgang mit dem Tod oder generell für belastende Situationen?
Ich bin ein religiöser Mensch, das gibt mir Kraft. Abgesehen davon sieht man auf der Intensivstation die Extremfälle, wo der Tod manchmal ein Befreiungsschlag sein kann. Natürlich ist das traurig. Aber die Angst vorm Tod ist ein gesellschaftliches Problem. Niemand ist davor gefeit. Wir müssen uns sagen, dass wir alles getan haben, was wir konnten. Man muss den Tod annehmen, darüber reden. Vor allem mit Kolleginnen und Kollegen oder Menschen, die in ähnlichen Berufen arbeiten. Mit Freunden und der Familie geht das oft nicht so gut, weil es komisch ist, wenn man heimkommt und erzählt, dass man heute drei Patienten verloren hat.
Sie tragen ein Kopftuch, machen Ihren Migrationshintergrund zum Thema im Buch. Welche Rolle spielt das im Krankenhausalltag?
Meine Religion per se war bis jetzt nicht Thema. Auf der Intensivstation sind die Patienten zu 100 Prozent von mir abhängig und trauen sich vielleicht auch nicht unbedingt. Mehrsprachigkeit ist oft ein Nutzen – wir leben in einer multikulturellen Stadt und es hilft, wenn man einer älteren Dame, die kein Wort versteht, erklären kann, was als Nächstes passiert und Ängste nehmen kann. Ich habe viele Kollegen ohne Migrationshintergrund, die zum Beispiel ein paar Sätze Serbisch oder Bosnisch lernen, um mit Patienten kommunizieren zu können. Das ist eine Frage der Menschlichkeit, um etwa klären zu können, ob jemand Schmerzen hat oder Luft bekommt.
Sie haben auf der Intensivstation schon so manches Wunder erlebt. Wie häufig kommt es zu unerwarteten Genesungen?
Richtig große Wunder, wie die Fälle, die ich im Buch beschreibe, sind leider nicht ganz so häufig. Aber sie passieren doch. Sie sind eine Erinnerung daran, dass wir nicht alles wissen, dass es außerhalb der Wissenschaft auch noch einen Bereich gibt, auf den wir keinen Einfluss haben. Ärzte und Pflegekräfte geben alles, was möglich ist, aber es bleibt ein Bereich, wo man hoffen darf. Lieber eine Sache mehr machen, einen Tag länger warten, als aufzugeben. Ich berichte zum Beispiel von einem speziellen Fall, wo wir eine totgeglaubte Patientin letztlich wieder entlassen konnten.
Gibt es im Pflegealltag auch Zeit für Gespräche, für Beziehung mit den Patienten?
In den meisten Fällen tatsächlich nicht. Es ist eine Frage der Priorisierung der Pflege – ist eine Katzenwäsche so wichtig wie ein gescheites Gespräch, um herauszufinden, was der Mensch jetzt braucht? Natürlich kann man auf vieles nicht verzichten, aber wenn er gestern geduscht wurde, kann ich vielleicht heute am Bettrand Betreuungsarbeit machen. Auch ein gutes Gespräch ist Pflege, auch wenn das von Pflegekräften oft nicht so wahrgenommen wird. Es ist verständlich, dass Gespräche auf der Prioritätenliste nicht ganz oben stehen, aber manchmal lässt sich auch ein Verbandswechsel oder ein Bad mit einem Gespräch verbinden.
Wären viele Aufenthalte auf der Intensivstation vermeidbar?
Wir haben in Österreich einen starken Fokus auf akutmedizinische Versorgung, aber nicht auf Vorbeugung. Es bräuchte viel mehr gesundheitsfördernde Programme. Wir müssen sehr früh mit Aufklärung beginnen, sei es in den Schulen oder in einem ausgebauten niedergelassenen Bereich. Pflegende Angehörige müssten mehr entlastet werden. Es gibt viele Baustellen – es ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Man sieht aber etwa in den skandinavischen Ländern, dass sich Investition in Prävention und Pflege auszahlt. Diesen Sprung müssen wir in Österreich schaffen. Wenn ich Krankheiten vermeide, meiner Bevölkerung Gesundheitskompetenz gebe, entlastet das das Gesundheitssystem enorm. Ich sehe das als ganz große Aufgabe für die Politik.
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