„Der Nutzen der Sekundärprävention ist völlig unbestritten“, sagt der Kardiologe Bernhard Metzler, von der MedUni Innsbruck. Wer einen Herzinfarkt überstanden hat, soll lebenslang niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS, z. B. Aspirin) einnehmen. Dadurch wird das Risiko eines neuerlichen (sekundären) Herzinfarktes stark gesenkt.
Doch neue Daten zeigen, dass viele Betroffene diese Vorsorge nicht nützen:
- In Hochlohnländern (in einer Studie waren das u. a. die USA, Tschechien und Großbritannien, Österreich war nicht dabei) nahmen nur 65 Prozent der Patientinnen und Patienten nach einem Infarkt dauerhaft Aspirin ein. Im Schnitt aller 51 untersuchten Staaten (mit hoher, mittlerer und niedriger Einkommensstruktur) waren es sogar nur 40 Prozent, ergab die US-Studie unter der Leitung der Washington University School of Medicine in St. Louis und der University of Michigan. Sie ist im Fachjournal Jama erschienen.
- Für eine dänische Studie wurden die Daten von 40.000 Infarktpatienten ausgewertet, sie werden am Wochenende am Europäischen Kardiologenkongress in Amsterdam präsentiert, eine Zusammenfassung steht auf der Website der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu dem Infarkt sank der Prozentsatz derer, die das Medikament noch einnahmen: 90 Prozent waren es noch nach zwei Jahren, 81 Prozent nach acht Jahren.
Die Folgen: Wer die tägliche Einnahme beendet hatte, der hatte nach zwei Jahren ein um 29 Prozent höheres Risiko für einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder frühzeitigen Tod im Vergleich zu Patienten, die bei der Dauereinnahme blieben. Vier Jahre danach war das Risiko um 40 Prozent erhöht, nach sechs um 31 und nach acht Jahren um 20 Prozent. „Man sollte auf keinen Fall mit der Einnahme aufhören, auch wenn der Herzinfarkt bereits viele Jahre zurückliegt“, betont Metzler.
Vorbeugender Einsatz bringt keinen Vorteil
Anders ist die Situation, wenn jemand noch keinen Infarkt hatte. Die Zeiten, in denen Aspirin vielfach auch zur „Primärprävention“ empfohlen wurde (also zur Vorbeugung eines ersten Infarkts) sind vorbei, sagt Franz Xaver Roithinger, Leiter der Inneren Medizin – Kardiologie und Nephrologie im Landesklinikum Wiener Neustadt. „Zwei große US-Studien haben gezeigt: ASS vorbeugend eingesetzt verlängert nicht das Leben.“ Das Risiko von Magen- und Gehirnblutungen ist aber trotzdem erhöht, „ohne dass diese Menschen einen Vorteil davon haben“, betont Metzler.
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„In der Sekundärprävention ist hingegen der Nutzen – deutlich weniger nochmalige Infarkte – eindeutig höher als das zusätzliche Risiko einer Blutung“, betont Metzler. Individuell kann eine Primärprävention bei Menschen mit Diabetes (erhöhtes Risiko für Gefäßerkrankungen) oder z. B. auch bei Plaques in der Halsschlagader und hohem Cholesterin durchgeführt werden.
Auch bei der Deutschen Herzstiftung heißt es: "Wer keine Vorerkrankungen und kein erhöhtes Risiko hat, Blutgerinnsel zu entwickeln, sollte nicht vorbeugend zu ASS greifen. Denn damit erhöht sich die Gefahr eventueller Nebenwirkungen, die unter ASS auftreten können, bei einem vergleichsweise geringen Nutzen."
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Oder auch gar keinem Nutzen, wie Ende Juli die Daten einer von der Monash University in Australien geleiteten Studie in Bezug auf das Schlaganfallrisiko zeigten. Rund 19.000 Menschen im Durchschnittsalter von 74 Jahren (die meisten waren über 70, niemand hatte bisher eine Herzgefäßerkrankung) wurden in zwei Gruppen geteilt: Die eine erhielt täglich 100 Milligramm Aspirin, die andere ein Placebo. Über einen Zeitraum von fünf Jahren wurde dann der Gesundheitszustand beider Gruppen dokumentiert. Das Fazit: Die Häufigkeit von Gehirnblutungen war in der Aspirin-Gruppe um 38 Prozent statistisch signifikant höher als in der Placebo-Gruppe. Keinen statistisch signifikanten Unterschied gab es hingegen in der Häufigkeit von Schlaganfällen, die durch ein Blutgerinnsel (ischämischer Schlaganfall) entstanden. Fazit der Studienautoren: In der Primärprävention von Schlaganfällen scheint Aspirin keinen Nutzen zu haben.
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