Musalek: Jeder Dritte ist durch die Corona-Krise stark belastet

Musalek: Jeder Dritte ist durch die Corona-Krise stark belastet
Eine Studie der Sigmund-Freud-Universität zeigt, wie es den Menschen in der Krise geht. Psychologen machen Hoffnung.

Eine Krise belastet. Wie sehr sich die Pandemie auf die Psyche auswirkt, haben jetzt Forscher unter Leitung von Michael Musalek und Oliver Scheibenbogen vom Institut für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität Wien und Berlin untersucht. Als Psychiater weiß Musalek: "Wir Menschen sind prinzipiell sehr gut geeignet, mit Stress und Belastungen umzugehen, sofern sie nur von kurzer Dauer sind. Seit Beginn der Pandemie sind nun mehr als zwölf Monate vergangen - die  Belastungen sind zu Dauerbelastungen geworden. Mehr noch: Sie haben weiter zugenommen.“ Verglichen wurden Daten vom Mai 2020 mit Erhebungen vom März 2021.

Jeder Dritte leidet, bei den Jungen sogar jeder Zweite

Ergebnis: Waren es im Mai 2020 noch rund ein Viertel der erwachsenen Österreicherinnen und Österreicher, die angaben, durch die Krise psychisch belastet zu sein, sind es im März 2021 bereits ein Drittel. Besonders dramatisch ist, dass der Anstieg an psychischer Belastung bei jenen Personengruppen sehr groß ist, die schon zu Beginn der Pandemie stärker belastet waren.

„Die Pandemie wirkt wie ein Verstärker, und die Unterschiede in der Bevölkerung werden immer größer. Besonders in der Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen steigt die psychische  Belastung sehr stark an. Bereits jeder zweite Jugendliche gibt heute eine psychische Belastung an. Auch bei Frauen ist, im Vergleich zu den Männern, die psychische Belastung deutlich stärker angestiegen“, so der stellvertretende Instituts-Vorstand Scheibenbogen.

Das Institut für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität Wien und Berlin hat per Fragebogen erhoben, wie es den Menschen im Verlauf der Krise geht.  1000 Personen wurden repräsentativ nach Alter, Bildung, Bundesland, Einkommen befragt. Die erste Erhebung war im Mai 2020, die zweite im März 2021.

Zunehmende Gereiztheit

So sind in den vergangenen zehn  Monaten Ängste, Schlafprobleme, Unruhezustände und depressive Symptome weiter angestiegen. Erste Hinweise gibt es für die Ausbildung von  Beziehungsstörungen. Bei jedem zweiten Befragten besteht eine erhöhte Reizbarkeit, bei knapp einem Drittel eine chronische Gereiztheit. Auf zwischenmenschliche Begegnungen hat dies einen zunehmend negativen Einfluss. Dadurch entsteht eine Atmosphäre, in der ein Miteinander kaum mehr möglich scheint. "Solidarität, wechselseitige Unterstützung und ein Gefühl von sozialer Geborgenheit sind jedoch zum Erhalt psychischer Gesundheit von zentraler Bedeutung", sagt Musalek.

Faktoren, die die psychische Belastung maßgeblich beeinflussen, sind die pandemiebedingten Restriktionen der Bundesregierung  (mit Abstand der einflussreichste Faktor), die fehlende Tagesstruktur sowie die Unsicherheit bezüglich des Arbeitsplatzes. „Gerade auf die Einschränkung unserer Freiheitsgrade reagieren wir Menschen sehr sensitiv", weiß Scheibenbogen.

Gegen den Virus kämpfen

Das heiße aber nicht, dass wir keine notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der viralen Krise mehr setzen dürfen und sollten. "Oberstes Ziel muss es immer bleiben, alles zu tun, um der Ausbreitung des Virus und der fatalen Ansteckungsfolgen entgegenzuwirken. Haben wir aber nicht mehr das Gefühl, unser Leben selbstbestimmt gestalten zu können, sinkt der Glaube an die eigenen Möglichkeiten, aber auch an die eigenen Fähigkeiten, den Anforderungen etwas entgegen stellen zu können. Die Selbstwirksamkeit sinkt, da keine Erfahrungen des Meisterns beziehungsweise des Bewältigens schwieriger Lebenssituationen mehr möglich sind“,  mahnt Oliver Scheibenbogen.

Nicht selbstbestimmt

Musalek erläutert, was das bedeuten kann: "Langfristig entstehen Gefühle von Hilf- und Hoffnungslosigkeit, die letztlich auch in eine manifeste psychische Erkrankung münden können. Dreiviertel der Bevölkerung haben das Gefühl, nur mehr ein eingeschränktes selbstbestimmtes Leben führen zu können. Zur Verbesserung der psychischen Befindlichkeit ist es daher notwendig, bei der Setzung von restriktiven Maßnahmen auf die Verhältnismäßigkeit zu achten. Soweit es irgendwie möglich ist, sollte die Bevölkerung in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Entscheidungen werden eher mitgetragen, wenn man das Gefühl hat, am Entscheidungsprozess und an Lösungen mit beteiligt gewesen zu sein. Selbstgesetzte Restriktionen wirken sich auf die Psyche der Menschen weitaus weniger stark negativ aus, als wenn diese fremdbestimmt erfolgen.“

Hoffnung machen

Deshalb ist es in der Kommunikation von neuen Maßnahmen sehr wichtig, trotz der Restriktionen auch das Mögliche zu betonen und einen Diskussionsprozess über Lösungen zu initiieren. Sinnliches Erleben ist in sich sinnstiftend und somit gesundheitsfördernd. "Deshalb hat  sich unser Institut entschlossen, eine Schatzkiste für das Schöne einzurichten. Dabei handelt es sich um eine Webpage, auf der Texte Bilder, Videos und Audiobotschaften -  schöne Erlebnisse, interessante Begebenheiten, Glücksmomente und zwischenmenschliche Begegnungen - gepostet werden können, die trotz Pandemie täglich tausende Male stattfinden. Die Webpage versteht sich als Gegengewicht zur vorherrschenden Kommunikation von Maßnahmen und Restriktionen und soll einerseits Hoffnung induzieren aber auch zur Nachahmung anregen“, sagt Musalek abschließend. Noch ist die Seite nicht online. Aber Gedanken, was er Schönes posten will, kann sich jeder schon machen.

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