Multiple Sklerose: Ein Leben ohne Einschränkungen ist möglich
Früher bedeutete die Diagnose Multiple Sklerose oft einen kaum abwendbaren Weg in eine zunehmende Behinderung. Heute hat sich das Bild grundlegend gewandelt. Univ.-Prof. Dr. Barbara Kornek, Neurologin und Präsidentin der Multiple Sklerose Gesellschaft: „Wenn wir heute eine MS diagnostizieren, können wir dank früherer und genauerer Diagnosestellung und hochwirksamer Therapien den Betroffenen sagen: Wahrscheinlich werden Sie nie eine Behinderung entwickeln.“
Ein Jahr leben, das Gesundheitsmagazin des KURIER. Zum Geburtstag wagt das Magazin einen Blick in die Zukunft: Zehn Expertinnen und Experten verraten, welche Innovationen die Medizin von morgen prägen werden.
Künstliche Intelligenz, Immuntherapien, Genetik und personalisierte Ansätze – die Heilkunst steht vor einer neuen Ära, in der Präzision und Individualität den Unterschied machen.
Zu allen Artikeln des Gesundheitsschwerpunkts "Zukunft der Medizin"
Forschung zum Epstein-Barr-Virus
Der Fortschritt geht weit über die Frühdiagnose hinaus. Spannend sind aktuelle Forschungen zum MS-Risiko, wobei das Epstein-Barr-Virus, das bei 98 Prozent der Bevölkerung nachgewiesen werden kann, eine zentrale Rolle spielt. „Personen, die auf eine EBV-Infektion mit einer besonders hohen und anhaltenden Immunreaktion gegen bestimmte Virusanteile reagieren, haben ein deutlich höheres MS-Risiko“, so Kornek. „Nur weil jemand eine EBV-Infektion hatte, heißt das jedoch nicht automatisch, dass die Person MS entwickeln wird.“ Die Forschung an der MedUni Wien profitiert von einzigartigen Langzeitdatensätzen, die es ermöglichen, individuelle Reaktionen auf Infektionen zu untersuchen und mit dem Risiko zu verknüpfen. Das Risiko, MS zu entwickeln, hängt von mehreren, zum Teil unbekannten Faktoren der Umwelt und der Genetik ab. Diese Erkenntnisse markieren dennoch einen wichtigen Schritt hin zu einer individualisierten Risikoeinschätzung.
Univ.-Prof. Dr. Barbara Kornek Neurologin und Präsidentin der Österreichischen Multiple Sklerose Gesellschaft.
Auch in der Therapie tut sich viel. Für Patienten mit nichtaktiver progredienter MS, einer besonders schwer behandelbaren Form, gibt es neue Wirkstoffe – die so genannten BTK-Inhibitoren. „Diese dringen ins zentrale Nervensystem ein und beeinflussen dort die niedrigschwelligen Entzündungsprozesse.“ Studien zeigen, dass das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt werden kann.“ Die Zulassungsanträge bei der EMA laufen. Während bestehende Einschränkungen nicht rückgängig gemacht werden können, könnten künftige Verschlechterungen gebremst werden. Ein weiterer Fortschritt betrifft Frauen mit Kinderwunsch. Moderne Therapien ermöglichen, die Behandlung so zu wählen, dass während der Schwangerschaft und Stillzeit keine Schübe auftreten – ein Meilenstein im Vergleich zu den restriktiven Empfehlungen von vor 20 Jahren.
Mit diesen Fortschritten – von der immunologischen Risikoanalyse bis zu neuen Wirkstoffen – rückt die personalisierte Medizin bei MS in greifbare Nähe, auch wenn individuelle Vorhersagen weiterhin eine Zukunftsvision bleiben. „Heutzutage können wir Patienten ein Leben ermöglichen, das fast normal ist. Die Herausforderungen liegen bei jenen, die schon länger erkrankt sind. Für sie gibt es aber neue Therapieansätze, die Hoffnung machen.“
Kommentare