Mit einem Supermarkt-Wagerl eine Herzrhythmusstörung diagnostizieren

60 Sekunden lang mussten die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer die Griffstange umfassen.
Vorhofflimmern zählt zu den häufigsten Herzrhythmusstörungen: Nach Schätzungen sind zumindest zwei Prozent der Bevölkerung betroffen, mit dem Alter steigt aber das Risiko deutlich an. Das häufigste Symptom ist Herzklopfen, das man in der Brust oder im Hals spürt. Doch nicht immer ist das so eindeutig, manche Betroffene spüren lange Zeit keine Symptome.
Oft wird Vorhofflimmern also nicht frühzeitig erkannt, viele Betroffene wissen lange nichts von ihrer Erkrankung - was ihr Schlaganfallrisiko deutlich erhöht. Jetzt haben britische Kardiologen eine neue, aufs Erste sehr überraschende Methode zur Diagnose erprobt - die aber sehr effektiv und einfach anzuwenden ist.
Die Forscher der Liverpool John Moores Universität haben für ihre Methode auf Supermarkt-Einkaufswagerl zurückgegriffen, die sie in einem Punkt verändert bzw. umgebaut haben: In die Griffstange fügten sie EKG (Elektrokardiogramm)-Sensoren ein. Diese zeichneten auf, wie oft das Herz der Person, die den Griff mit ihren Händen umfasste, pro Minute schlägt - die Herzfrequenz -, und wie regelmäßig es schlägt, also den Herzrhythmus. Auf diese Weise können Rhythmusstörungen wie Vorhofflimmern entdeckt werden.
Alle Studienteilnehmer - insgesamt 2.155 Erwachsene - wurden instruiert, den Griff mindestens 60 Sekunden lang zu halten. Registrierten die Sensoren mögliche Anzeichen von Vorhofflimmern, leuchtete auf dem Griff ein rotes Kreuz auf. Gab es keinerlei Signale auf Vorhofflimmern, leuchtete ein grünes Kreuz.

Anschließend wurde bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Herzfrequenz kontrolliert und ein klassisches EKG durchgeführt.
Das Ergebnis:
- Bei 220 Personen gab es nach der Benützung des Einkaufswagens Hinweise auf ein mögliches Vorhofflimmern.
- Bei 115 bestätigte sich das aber nicht.
- 59 hatten tatsächliche diese Form der Herzrhythmusstörungen, wobei 39 davon bisher nichts gewusst haben.
- 46 hatten vorläufig noch unklare Untersuchungsergebnisse.
Nachuntersucht wurden auch die Personen, die im Einkaufswagerl-Herzcheck keine Auffälligkeiten zeigten. In dieser Gruppe von rund 1.900 Personen fanden sich zehn Personen, die Vorhofflimmern hatten - sie wurden durch den Erstcheck im Supermarkt übersehen.
Ian Jones, einer der Studienautoren, erklärte gegenüber BBC News: "Diese Studie zeigt das Potenzial von breit eingesetzten Gesundheitsschecks, ohne dass dadurch gewohnte Tagesabläufe unterbrochen werden."
Zumal breite Bevölkerungsgruppen nur schwer über herkömmliche Vorsorgeprogramme erreicht werden können und Gesundheitsprobleme dadurch oft erst dann erkannt werden, wenn bereits ein irreparabler Schaden entstanden ist.
Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen im Erwachsenenalter. Es kann vorübergehend oder dauerhaft auftreten. Bei Vorhofflimmern schlägt das Herz anhaltend unregelmäßig und oft so schnell, dass es weniger Blut in den Körper pumpt. Das ist nicht unmittelbar lebensbedrohlich, es erhöht aber auf Dauer das Risiko für Schlaganfälle.
Auslöser ist eine ungeordnete elektrische Erregung der Vorhöfe mit einer Frequenz von 350–600/Minute ("Flimmern"), heißt es auf dem öffentlichen Gesundheitsportal gesundheit.gv.at. "Die Überleitung auf die Herzkammern ist unregelmäßig und macht sich in Form eines arrhythmischen und meist zu schnellen Pulses bemerkbar."
Als weitere Symptome treten oft Herzklopfen, Unruhe, Angst, Atemnot und Schwindel auf. Das Vorhofflimmern kann mithilfe eines Elektrokardiogramms (EKG) festgestellt werden. Es tritt häufig in Zusammenhang mit einer Erkrankung des Herzens (beispielsweise Herzschwäche oder Herzinferakt) auf. Da sich in den Vorhöfen leichter Thromben bilden und deren Fortschwemmen (Embolie) einen Schlaganfall verursachen kann, muss ein Vorhofflimmern medizinisch abgeklärt werden.
Noch ist die Methode aber nicht für einen Routine-Einsatz geeignet. Immerhin 20 Prozent der 220 EKG-Aufzeichnungen führten zu einem unklaren Ergebnis, vor allem deshalb, weil Bewegungen der Hände die Genauigkeit der Messungen verringerten.
Und die Methode führt noch zu vielen falsch positiven Messergebnissen: So wurden auf der einen Seite zwar zwischen 70 und 93 Prozent all jener Personen korrekt identifiziert, die tatsächlich bereits Vorhofflimmern hatten. Groß war hingegen der Anteil der falschen Alarme, also der falsch Positiven, bei Gesunden: Nur bei rund einem Viertel bis zur Hälfte derer, bei denen das rote Kreuz am Griff des Einkaufswagerls als Warnsignal aufleuchte, hatten dann tatsächlich Vorhofflimmern.

Ein Grund dafür: Auch bei grundsätzlich herzgesunden Personen kann es zu gelegentlichen Episoden eines ungewöhnlichen Herzrhythmus kommen - würde man diese Personen aber medikamentös behandeln, wäre der Schaden größer als der Nutzen, zitiert The Guardian den Kardiologen Jonathan Mant von der Universität Cambridge. Und: Der Prozentsatz der falsch positiven Diagnosen muss nicht nur deshalb reduziert werden, weil dadurch viele Menschen unnötig beunruhigt werden oder es zu einer Übertherapie kommen könnte. Auch eine zu starke Belastung der ohnehin schon angespannten Gesundheitssysteme mit eigentlich nicht notwendigen Abklärungen könnte durch viele falsch positive Ergebnisse entstehen.
Der Ansatz soll weiter verfolgt werden
Trotzdem sind die meisten Reaktionen auf die Studie positiv. Zumal Untersuchungen mit tragbaren Langzeit-EKG-Geräten zur Feststellung von Vorhofflimmern nicht so weit verbreitet und nicht für eine große Zahl an Vorsorgeuntersuchungen verfügbar sind. "Die Idee, den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihren Herzrhythmus mit Hilfe eines Einkaufswagens zu überwachen, scheint daher eine ausgezeichnete Idee zu sein, die es wert ist, erforscht zu werden", sagt Robert Storey, Professor für Kardiologie an der Universität Sheffield, . "Die Ergebnisse dieser Studie zeigen eine beeindruckende Anzahl von Menschen, bei denen das Vorhofflimmern zum ersten Mal erkannt wurde, und das könnte möglicherweise verhindern, dass einige dieser Menschen einen Schlaganfall erleiden."
Die Studiendaten wurden bei einer Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie in Edinburgh präsentiert.
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