Gehirngefäße in Gefahr: Welche Risiken unterschätzt werden

coronary artery and blood clot
Ob man an einer Demenz erkrankt, hängt zu einem Teil auch von Faktoren ab, die 20 und mehr Jahre davor vorhanden sind.

Übergewicht (insbesondere Bauchfett), Bluthochdruck, erhöhte Blutzuckerspiegel und Blutfettspiegel: Dass dieses "Quartett" das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht - und zwar bis zum Dreifachen -, ist weitgehend bekannt. Auch das Risiko für Diabetes Typ 2 und die Ausbildung einer Fettleber steigt - und das bereits bei jüngeren Personen. Doch jetzt weist die Forschung zunehmend auf eine weitere Folge dieses sogenannten "metabolischen Syndroms" hin, wenn es bereits im mittleren Lebensalter (etwa ab 40) auftritt: Nämlich ein erhöhtes Demenzrisiko, und das bereits in einem relativ jungen Alter unter 65 Jahren.

Ein Forschungsteam aus Südkorea wertete Daten der nationalen Krankenversicherung von fast zwei Millionen Menschen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren aus. Sie alle hatten sich einer Gesundenuntersuchung unterzogen.  25 Prozent hatten zumindest drei Risikofaktoren wie zu viel Bauchfett, Bluthochdruck, erhöhter Blutzucker oder erhöhte Blutfette. 

Ab dem Zeitpunkt der Untersuchung wurde ihr gesundheitlicher Zustand acht Jahre lang regelmäßig dokumentiert. 

Zumindest drei der genannten Risikofaktoren erhöhten das Risiko, an irgendeiner Form einer Demenz zu erkranken, um 24 Prozent. Das Risiko für eine Alzheimer-Demenz war um 12 Prozent, jenes für eine vaskuläre Demenz um 21 Prozent erhöht.

Bei Frauen mit metabolischem Syndrom war das Demenzrisiko deutlich stärker erhöht (um 34 Prozent) als bei Männern (15 Prozent).

Und wer bereits in seinen 40er-Jahren von diesen Risikofaktoren betroffen war, hatte ein höheres Demenzrisiko, als wenn diese erst in den 50er-Jahren auftraten, so die Studienergebnisse, die im Fachmagazin Neurology (Online-Ausgabe) erschienen sind.

46-216516789

Neurologe Andreas Winkler.

"Dass starkes Übergewicht, Bluthochdruck oder erhöhte Blutfette schlecht für das Herz sind, das wissen die Leute, auch noch, dass das Schlaganfallrisiko erhöht ist", sagt der Neurologe und Demenzspezialist Andreas Winkler, "aber den Zusammenhang mit Demenz kennt kaum jemand". 

Er nennt ein Beispiel aus seiner Praxis: "Zeigen sich im Ultraschall der Halsschlagader Plaques, Ablagerungen, erkläre ich den Patienten, dass sie dringend Blutfettsenker benötigen. Einerseits, um natürlich ihr Schlaganfallrisiko zu senken, aber auch jenes für Demenz. Die Verwunderung ist dann immer groß, wieso es einen Zusammenhang mit dem Demenzrisiko gibt."

Aber die Erklärung sei einfach: "Wenn Sie bereits in der Halsschlagader leichte Ablagerungen haben, kann es diese auch bereits an anderen Körperstellen geben, unter anderem in den kleinen Gefäßen im Gehirn, und diese können die Gehirnfunktion stören."  Denn die Versorgung des Organs mit Sauerstoff und Nährstoffen wird dadurch beeinträchtigt. "Aber das ist kaum jemandem bewusst."

Demenzrisiko: Gefährliches LDL-Cholesterin

Die Bedeutung gesunder Gefäße für die Vorbeugung von Demenz sei in den vergangenen Jahren immer mehr in den Vordergrund getreten, betont Winkler: "Das zeigt sich auch daran, dass 2024 eine internationale Expertengruppe im Auftrag der Wissenschaftszeitschrift The Lancet die Liste der beeinflussbaren, modifizierbaren Risikofaktoren für eine Demenz von bisher 12 auf 14 erweitert hat: Hinzu gekommen sind ein nachlassendes Sehvermögen und ein erhöhter LDL-Cholesterinspiegel."

Könnten zu hohe Werte des schlechten LDL-Cholesterins in einer definierten Bevölkerungsgruppe eliminiert werden, könnte alleine dadurch die Zahl der Demenzfälle um sieben Prozent gesenkt werden. "Gemeinsam mit dem Hörverlust - ebenfalls für sieben Prozent der Demenzfälle verantwortlich - ist das erhöhte LDL-Cholesterin der am stärksten gewichtete Einzelfaktor", unterstreicht Winkler.

Demenzrisiko senken: "Dafür ist es nie zu spät im Leben"

Was aber, wenn man erst im fortgeschrittenen Alter ab 60 Jahren und mit bereits erhöhtem Demenzrisiko beginnt, auf seine körperlichen Risikofaktoren zu achten, diese erfolgreich behandelt und u. a.  auch mit gesunder Ernährung, Bewegung und geistigem Training gezielt versucht gegenzusteuern? "Studien zeigen, dass es nie zu spät ist, um sein Risiko zu senken", sagt Winkler, und verweist auf eine finnische Studie:

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren bereits zwischen 60 und 77 Jahre alt. Jene, die u. a. eine umfassende Ernährungsberatung in Anspruch nahmen sowie ein Fitnessprogramm und regelmäßig auch ein Gedächtnistraining absolvierten, hatten zu Studienende eine signifikant bessere geistige Leistungsfähigkeit als die Kontrollgruppe - und damit ein geringeres Demenzrisiko.

In einigen Jahren könnte sich auch noch eine neue Vorsorgemöglichkeit ergeben, sagt Winkler: "Die neuen Abnehmspritzen werden derzeit auch auf ihr Potenzial hin untersucht, das Risiko für Herzerkrankungen, Schlaganfall und auch Demenz zu senken. Möglicherweise wird man in Zukunft auch jüngeren Risikopersonen mit hohem Blutdruck oder hohem Cholesterin diese Medikamente verschreiben. "Damit könnte dann wahrscheinlich das Demenzrisiko zusätzlich gesenkt werden."

Kommentare