Neues Alzheimer-Präparat: Wer wird es künftig bekommen können?

Die Europäische Kommission hat erstmals eine Alzheimer-Therapie zugelassen, die auf die zugrundeliegenden Krankheitsprozesse abzielt.
"Ich bin froh und erleichtert, dass die Zulassung jetzt endlich da ist. Das ist ein Aufbruch in eine neue Ära der Alzheimer-Therapie." So reagiert die Neurologin und Alzheimer-Spezialistin Elisabeth Stögmann, auf die Entscheidung der EU-Kommission, zum ersten Mal eine völlig neue Therapie gegen die Alzheimer-Erkrankung zuzulassen. Diese wirkt direkt auf den Verlauf der Krankheit und verlangsamt diesen etwas. Stögmann ist Leiterin der Arbeitsgruppe für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen an der Uniklinik für Neurologie der MedUni Wien und Präsidentin der Österreichischen Alzheimergesellschaft.
Die Behandlung mit dem Antikörper Lecanemab ist nur für eine Behandlung im frühen Alzheimer-Stadium geeignet und erfolgt unter strengen Auflagen. Nur ein sehr kleiner Teil der Patientinnen und Patienten mit der Diagnose wird dafür in Frage kommen. Bis das Medikament tatsächlich verfügbar ist, wird es noch mehrere Monate dauern. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie wirkt Lecanemab?
Es ist das erste in der EU zugelassene Medikament aus der neuen Gruppe der "Amyloid-Antikörper", das an einer Ursache von Alzheimer ansetzt und den Verlauf der Erkrankung verlangsamt. Lecanemab ist ein Antikörper-Wirkstoff, der sich gegen ein ganz bestimmtes Ziel richtet, nämlich Proteinablagerungen im Gehirn, die sogenannten Amyloid-beta-Plaques. Diese Ablagerungen werden mit der Zerstörung der Nervenzellen in Verbindung gebracht. Die Antikörper erkennen die besonders gefährliche Form dieses Eiweißes und aktivieren Abwehrzellen des Gehirns. Diese bauen die Eiweißklumpen ab.
Die Patienten werden zwei Mal im Monat an einer spezialisierten Klinik eine rund einstündige Infusion erhalten. Wie lange die Behandlung durchgeführt werden soll, ist derzeit noch nicht endgültig geklärt. Mindestdauer sind auf jeden Fall eineinhalb Jahre, so wie in der Zulassungsstudie – vorausgesetzt, es treten keine Nebenwirkungen auf. Es gibt aber bereits erste Daten, die zeigen, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate die Wirksamkeit von Lecanemab weiter erhöht. Dazu sind aber weitere Studien notwendig.
Welchen Effekt hat Lecanemab im Alltag?
Lecanemab kann bei Patienten im frühen Stadium den Verlauf der Erkrankung verlangsamen. "Das sind die ersten zwei bis drei Jahre der Erkrankung", sagt Stögmann. Beim sogenannten "Mini-Mental-Status-Test" erreichen diese Patienten mindestens 20 von 30 möglichen Punkten und haben nur geringe Einbußen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit. Lecanemab kann die Erkrankung aber nicht stoppen oder heilen und auch nicht bereits bestehende Schäden im Gehirn reparieren. Deshalb ist es so wichtig, die Therapie im frühen Stadium durchzuführen. Lecanemab verlangsamte in der Zulassungsstudie den Krankheitsverlauf im Beobachtungszeitraum von 18 Monaten über alle Teilnehmer um 27 Prozent, das entspricht einem Zeitraum von rund fünf Monaten.
Diskutiert wird unter Expertinnen und Experten, wie relevant diese Verzögerung im Alltag tatsächlich ist. "Sie kann den Patienten sehr viel bringen", ist Stögmann überzeugt. Zumal bei der Untergruppe der Patientinnen und Patienten in besonders frühem Stadium der Effekt noch größer war. Und es verzögerte sich nicht nur die Verschlechterung von Gedächtnis- und Denkleistungen: "Es verbesserte sich in den Studien auch die Lebensqualität in der Therapiegruppe deutlich. Zudem gibt bereits Hinweise, dass bei einer Therapie über 18 Monate hinaus die positiven Effekte bestehen bleiben. Es könnte langfristig ein Gewinn von mehreren Jahren möglich sein."
Welche Nebenwirkungen gibt es?
Schwerwiegende Nebenwirkungen können Schwellungen und Blutungen im Gehirn sein. Ein hohes Risiko dafür haben Personen, die zwei Kopien der Genvariante ApoE4 tragen – einer speziellen Variante des Gens für das Protein Apolipoprotein E. Diese Gruppe macht rund 15 Prozent der Alzheimer-Patienten aus – für diese Gruppe wird Lecanemab nicht zugelassen. Deutlich geringer ist hingegen das Risiko für Menschen mit nur einer oder keiner ApoE4-Kopie – laut EMA liegt der Prozentsatz der Nebenwirkungen zwischen 8,9 Prozent für Hirnödeme und 12,9 Prozent für Mikroblutungen.
Diese Zahlen beziehen sich allerdings auf Auffälligkeiten bei den begleitenden MRT-Untersuchungen. Tatsächliche Symptome treten nur bei jedem Vierten auf, bei dem sich im MRT Auffälliges zeigt. Und die Rate sehr gefährlicher, lebensbedrohlicher Nebenwirkungen liegt bei unter einem Prozent. Um das Risiko zu senken, gibt die EMA noch weitere Sicherheitsmaßnahmen vor: Vor Beginn der Behandlung und auch vor der 5., 7. und 14. Dosis müssen MRT-Scans durchgeführt werden, ebenso wie bei Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schwindel.
Wie viele Patienten kommen in Österreich für die Therapie in Frage?
"Schätzungen sind sehr schwierig, aber wir rechnen im ersten Jahr österreichweit nur mit rund 100 Patienten, am AKH in Wien gehe ich grob von 30 bis 40 aus", sagt Stögmann. "Auf meiner Warteliste stehen rund 50 Personen, die werden wir alle nochmals durchuntersuchen, sobald das Präparat verfügbar ist, einige werden sich verschlechtert haben. International sieht man, dass es nach dem ersten Jahr zu einer deutlichen Zunahme der Behandlungen kommt, aber davor muss die Infrastruktur – etwa die Ressourcen für die häufigen MRT-Diagnosen – ausgebaut werden."
Grundsätzlich kämen rund zehn Prozent der Patienten an der Gedächtnisambulanz im Wiener AKH für eine Therapie in Frage, internationale Daten für Gedächtnisambulanzen gehen von bis zu 20 Prozent aus. Von allen Alzheimer-Patienten sind es insgesamt ebenfalls an die 20 Prozent, die – hochgerechnet – theoretisch in Frage kämen.

Alzheimer-Spezialistin Elisabeth Stögmann von der MedUni Wien / AKH Wien.
Durch eine Nervenwasser-Untersuchung (Liquor) und/oder eine PET-Untersuchung müssen Amyloid-Ablagerungen nachgewiesen sein. Zusätzlich muss vor Behandlungsbeginn auch ein Gentest durchgeführt werden. Die Behandlung ist nicht geeignet für Menschen mit bestimmten Grunderkrankungen, wenn sie etwa blutverdünnende Medikamente einnehmen oder ihr Bluthochdruck schwer zu kontrollieren ist.
Ab wann wird das neue Präparat in Österreich verfügbar sein – und wo?
Das ist noch offen. Eine Auflage der EMA sind spezielle Schulungen für das medizinische Personal und die Herstellerfirma muss ein Register aufbauen, in dem europaweit alle Patienten erfasst und ihre Daten genau dokumentiert werden. "Dabei geht es um Sicherheit, um einen Überblick über alle auftretenden Nebenwirkungen zu haben. Es wird sicher noch einige Monate dauern, bis wir die ersten Patienten behandeln können", so Stögmann. Die Behandlung selbst werde nur an spezialisierten Zentren stattfinden können: "Ich gehe schon davon aus, dass jedes Bundesland mindestens ein bis zwei Zentren aufbauen wird, aber klare Entscheidungen dazu kenne ich noch nicht." Die jährlichen Medikamentenkosten werden auf rund 25.000 Euro kommen, hinzu kommen die Kosten für die Diagnostik.
Gab es nicht vor kurzem erst Meldungen, dass sich die EMA gegen die Zulassung eines neuen Alzheimer-Medikaments ausgesprochen hat?
Das betraf ein anderes Präparat derselben Wirkstoffgruppe, Donanemab. Hier hat Ende März die EMA keine Empfehlung zur Zulassung durch die EU-Kommission abgegeben. In diesem Fall sieht sie mehr Risiken als Nutzen – im Gegensatz etwa zu den Zulassungsbehörden in den USA, Großbritannien oder Japan. Auch bei Lecanemab hat die EMA nach der ersten Prüfung aller Daten im Juli 2024 zunächst keine Zulassungsempfehlung ausgesprochen. Nach einer neuerlichen Prüfung im Oktober 2024 empfahl die EMA die Zulassung mit strengen Auflagen. Dazu zählt der Ausschluss von Personen mit zwei Kopien der Genvariante ApoE4. Jetzt erfolgte die tatsächliche Zulassung durch die EU-Kommission.
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