Eine kürzlich in einem Journal der American Medical Association erschienene Studie kam sogar auf einen ungewöhnlich hohen Wert von 32 Prozent aller Demenzerkrankungen, die mit einem Hörverlust zusammenhängen, berichtete kürzlich das deutsche Ärzteblatt.
Auch wenn es sich bei solchen Angaben nur um statistische Werte handelt – viele Untersuchungen der vergangenen Jahre sehen in Hörstörungen einen wesentlichen Risikofaktor für verschiedene sogenannte neurodegenerative Erkrankungen.
Was im Gehirn passiert
„Geistig gesunde Menschen, bei denen ein Hörverlust nachgewiesen wurde, haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer demenziellen Erkrankung – falls dieser Hörverlust nicht behandelt wird“, sagt Thomas Keintzel, Leiter der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten am Klinikum Wels-Grieskirchen, OÖ. „Ganz sicher hat man diesen Faktor lange Zeit deutlich unterschätzt.“
Bei der altersbedingten Schwerhörigkeit handle es sich um ein komplexes Geschehen: Einerseits gehen im Innenohr Sinneszellen verloren, die die Schallwellen in elektrische Signale umwandeln und an das Gehirn weiterleiten.
„Gleichzeitig kommt es aber auch zu Veränderungen der Verarbeitung dieser Nervenimpulse im Gehirn“, erläutert HNO-Primar Keintzel. „Die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung wird langsamer, das Verstehen von Sprache verschlechtert sich ebenso wie die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis.“ Das Ohr sei dabei nur der Vermittler, „was dann tatsächlich gehört wird, das liegt an der Hörverarbeitung des Gehirns“.
Wenn jemand bei einer Untersuchung des Hörvermögens (Audiometrie) hohe Töne schlechter hört, sei dies allein noch kein Grund für ein Hörgerät, solange er gut verstehen kann, was gesprochen wird. Gibt es aber erste Probleme beim Sprachverstehen – dass man etwa einzelne Stimmen nicht mehr so gut auseinanderhalten kann, wenn es etwas lauter ist – sollte man unbedingt an ein Hörgerät denken: „Akustische Reize halten das Gehirn aktiv. Fehlen sie, beginnt es schneller abzubauen.“
Der Einsatz eines Hörgeräts – oder bei einem starken Hörverlust eines Cochlea-Implantates – könne dem entgegenwirken. Keintzel betont, dass auch Hörgeräte keine Garantie dafür sind, eine Demenzerkrankung zu vermeiden. „Aber sie senken das Risiko, helfen, geistige Fähigkeiten länger zu bewahren und können das Fortschreiten neurokognitiver Störungen auf jeden Fall verlangsamen.“
In selteneren Fällen könne ein Hörverlust auch mehr sein als nur eine unvermeidliche Alterserscheinung: Nämlich ein Frühsymptom von bestimmten, selteneren Demenzformen, erklärt der HNO-Spezialist. Erste Symptome einer Hörstörung sind häufigeres Nachfragen oder Schwierigkeiten, Gesprächen zu folgen, in der Folge auch sozialer Rückzug und verlangsamtes Denken.
Hörgerät: "Es zahlt sich immer aus"
Trotzdem werden Hörgeräte nur von etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen mit altersbedingtem Hörverlust genutzt. „Immer wieder höre ich den Satz ,Bei mir zahlt es sich doch nicht mehr aus‘, aber das ist ein Irrtum: Es zahlt sich immer aus.“
Allerdings dürfe man nicht glauben, dass man das Hörgerät einfach nur einsetze und damit schon alles getan sei: „Man muss auch aktiv mittun und bereit sein, das Hörgerät anzunehmen.“ Je früher man sich für ein Hörgerät entscheidet, umso leichter gewöhnt man sich daran.
Etwa unterstützt durch ein Hörtraining, bei dem man zum Beispiel versucht, verschiedene Klänge zu identifizieren und so die Sprachwahrnehmung verbessert. „Ich empfehle auch immer Hörbücher, die man hört und wo man gleichzeitig mitliest, um so die gesprochenen Wörter besser verstehen zu können.“
Dieser Prozess kann Zeit benötigen: Lässt man sich aber darauf ein, „dann ist ein Hörgerät eine Möglichkeit, das Gehirn aktiv zu schützen“.
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