ME/CFS: Ministerium gegen Heranziehen als Behinderungsgrund

Ein Bild aus einer Fotoserie des Fotografen Brent Stirton. Er hat ME/CFS-Betroffene im Alltag begleitet.
Die Betroffenen-Organisation ÖG ME/CFS beschreibt den Entscheid den Gesundheitsministeriums als "nicht nachvollziehbar".

Das Gesundheitsministerium hat die Aufnahme der Multisystemerkrankung ME/CFS in die sogenannte "Einschätzungsverordnung" abgelehnt. Die dort gelisteten Krankheiten dienen der Einstufung des "Grads der Behinderung" von Betroffenen

Die fehlende Listung sowie mangelnde Gutachter-Expertise führe dazu, dass die schweren Einschränkungen durch ME/CFS meist nicht für eine entsprechende Behinderungseinstufung anerkannt werden, so die Betroffenen-Organisation ÖG ME/CFS.

Notwendige Absicherung der chronisch kranken Betroffenen

Die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS sowie andere Patientinnen-Vertreter haben in jüngerer Vergangenheit wiederholt auf Probleme bei der sozialen Absicherung von ME/CFS-Patienten aufmerksam gemacht. Patienten würden teils wegen fehlerhafter Gutachten sozialrechtliche oder gesundheitliche Folgen erleiden. 

Neben chefärztlichen Begutachtungen bei der ÖGK bezüglich des Krankenstandes betreffe dies auch Gutachten etwa hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit bei der PVA - sowie die Einstufung des Behinderungsgrades, die beim Sozialministeriumsservice des Gesundheits- und Sozialministeriums angesiedelt ist.

Bereits im Jänner hat die ÖG ME/CFS das genannte Ansuchen an das Ministerium übermittelt - mit der Bitte, die Krankheit in die Einstufungsverordnung aufzunehmen. Ziel des von 20 Experten und Expertinnen sowie Organisationen unterstützten Begehrs war die Absicherung der chronisch kranken Betroffenen, so die Gesellschaft in einem Statement gegenüber der APA.

Zehn Monate später kam laut der Patientinnen-Organisation die Ablehnung aus dem Ministerium, hieß es nun seitens der ÖG ME/CFS. Den Grad der Behinderung von ME/CFS könne man auch "durch Analogie zu vergleichbaren Krankheiten und Einschränkungen einschätzen", hieß es laut der Betroffenen-Organisation seitens des Ministeriums. Darüber hinaus habe man auf zukünftige Weiterentwicklungen, die bis ins Jahr 2030 geplant sind, verwiesen.

Für die ÖG ME/CFS ist die Ablehnung "nicht nachvollziehbar": Anscheinend seien "weder die Erfahrung der Betroffenen" noch die Fachmeinung von Wissenschaftern und Wissenschaftern sowie von Ärztinnen und Ärzten aus der Praxis oder Patientinnenorganisationen berücksichtigt worden, sagte die stellvertretende Obfrau der ÖG ME/CFS, Astrid Hainzl, in einem Statement zur APA. Sie verwies auch darauf, dass von Betroffenen oft jahrelange Gerichtsverfahren geführt werden müssten, "um endlich eine Anerkennung und Einstufung" zu erwirken.

Oft Zustandsverschlechterung nach geringer Belastung 

Die Vize-Obfrau verwies auch auf das Hauptsymptom und Erkennungsmerkmal von ME/CFS, die "Post Exertional Malaise" (PEM). Diese beschreibt eine (oft starke) Zustandsverschlechterung, die bereits nach geringer Belastung auftritt und auch dauerhaft sein kann. Diese PEM-Symptomatik sei speziell für ME/CFS, "vergleichbare Krankheiten gibt es in der bestehenden Verordnung nicht", betonte Hainzl.

Deswegen seien sich alle unterstützenden Experten und Expertinnen einig, dass eine Aufnahme von ME/CFS in die Liste "nicht nur sinnvoll, sondern notwendig ist", erklärte auch ÖG ME/CFS-Obmann Kevin Thonhofer. Die Anerkennung als Behinderung wäre besonders für jene zentral, "die noch in einem gewissen Ausmaß arbeiten, studieren oder zur Schule gehen können, aber dabei dringend Unterstützung brauchen", sagte er. Auch bei Hilfsmitteln wie Rollstühlen könne der Grad der Behinderung wichtig sein.

Im Gegensatz zu Begutachtungen in der Pensionsversicherungsanstalt oder der Gesundheitskasse hat das Gesundheitsministerium bei der Frage des Grads der Behinderung direkte Gestaltungsmöglichkeit. PVA und ÖGK hingegen agieren in Selbstverwaltung. Angesichts der Kritik von Patientinnen-Organisationen zu PVA-Gutachten, die oftmals Arbeitstauglichkeit attestieren oder Rehabilitationsgeld verweigern, verwies Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) in der Vergangenheit stets darauf, dass er wegen der Selbstverwaltung nicht zuständig sei.

Rund 80.000 Patienten und Patientinnen in Österreich

ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis /Chronisches Fatigue Syndrom) tritt meist nach Infektionen auf und gilt auch als schwerste Form von Post Covid, weswegen die Erkrankung mit Aufkommen des Corona-Virus vermehrt in den Fokus rückte und die Zahl der Betroffenen deutlich gestiegen ist. Experten gehen von rund 80.000 Patienten und Patientinnen in Österreich aus und rechnen (auch wegen der weiterhin hohen Ansteckungszahlen) mit einer weiteren Zunahme. Bei einem Großteil der Betroffenen führt ME/CFS zum Verlust der Arbeitsfähigkeit. Etwa 25 Prozent der Betroffenen sind so schwer krank, dass sie das Haus oder Bett nicht mehr verlassen können.

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