Kann Marathonlaufen wirklich Darmkrebs begünstigen?

Wenn die Wörter "Laufen" und "Darmkrebs" in einem Satz vorkommen, geht man intuitiv aus, dass Ersteres sich positiv auf Letzteres auswirkt. Immerhin gilt Sport als wichtiger Baustein eines gesunden Lebens.
In einer neuen Studie aus den USA wird – zumindest in Ansätzen – das Gegenteil postuliert: Demnach könnte die besonders intensive Ausübung des Laufsports die Entstehung von Darmkrebs begünstigen. Die Studie wurde kürzlich bei einer Konferenz der US-amerikanischen Gesellschaft für Klinischen Onkologie präsentiert, allerdings noch nicht von unabhängigen Fachkollegen geprüft.
Rätselhafte Darmkrebs-Diagnosen
Wie kommen die Forschenden zu dieser These? Anlass zur Studie gaben drei Patienten, die an einem US-amerikanischen Krebszentrum vorstellig wurden: Sie waren jung – der älteste knapp 40 Jahre alt –, schlank und sportlich überaus aktiv. Zwei liefen regelmäßig Ultramarathons, einer hatte innerhalb eines Jahres ganze 13 Halbmarathons absolviert. Als sie im Inova Schar Cancer Institute untersucht wurden, wurde bei allen Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert.
Die behandelnden Ärzte um den Onkologen Timothy Cannon waren verblüfft. Etwa fünf bis acht Prozent aller Darmkrebserkrankungen sind erblich bedingt, oft tritt der Krebs bei Betroffenen besonders früh, sprich vor dem 50. Lebensjahr auf. Bei keinem der drei Patienten lag jedoch ein solches genetisch erhöhtes Krankheitsrisiko vor.
Um den Beobachtungen auf den Grund zu gehen, rekrutierte Cannon mit seinem Team 100 Marathon- und Ultramarathonläufer zwischen 35 und 50 Jahren. Sie unterzogen sich einer Darmspiegelung. Die Ergebnisse verblüfften die Forschenden erneut: Fast die Hälfte der teilnehmenden Männer und Frauen hatten gutartige Polypen. 15 Prozent zeigten bereits Zellatypien im Sinne von sogenannten Adenomen, also eine deutlich höhere Rate als in der Gesamtbevölkerung. Adenome sind nicht automatisch bösartig, können sich aber im Laufe der Zeit zu Darmkrebs entwickeln, insbesondere wenn sie eine bestimmte Größe erreichen.
95 Prozent aller Darmkrebsfälle entstehen aus Polypen. Im Frühstadium sind diese Polypen nicht bösartig und können während einer Darmspiegelung problemlos entfernt werden.
Laufen schlägt auf den Magen
Ganz ungewöhnlich sind die Ergebnisse aus medizinischer Sicht nicht. "Insbesondere Ultramarathonläuferinnen und -läufer haben in vielen Bereichen ein erhöhtes Gesundheitsrisiko, etwa für Herz-Kreislauf-Erkrankungen", sagt Günther Malek, Gründer und medizinischer Leiter des Wiener Trinicum, einem Zentrum für Integrative Medizin und Schmerztherapie, dazu im KURIER-Gespräch. "Dass es auch den Darm zu treffen scheint, ist schon überraschend, zeigt aber einmal mehr, dass sich extrem starke Bewegungsreize nachteilig auf die Gesundheit auswirken können."
"Es ist ein einigermaßen unerwartetes Ergebnis, dass man bei 100 Marathonläufern eine derart erhöhte Adenomfrequenz findet", erläutert auch Heinz Ludwig, Onkologe und Hämatologe und Präsident des Österreichischen Forums gegen Krebs.
Bekannt ist, dass Laufen auf den Magen-Darm-Trakt schlagen kann. Übelkeit, Magenkrämpfe, Reflux und Durchfall machen Hochleistungsläufern häufig zu schaffen. Hauptverantwortlich für letztere Problematik dürfte die verringerte Durchblutung von Magen und Darm während des Sports sein. Während Muskeln, Herz, Lunge und Haut stärker durchblutet werden, ist die Blutversorgung des Darms vermindert. Belege dafür, dass eine sogenannte Darmischämie krebsfördernd sein könnte, fehlen aber bislang, heißt es in der US-Studie.
Durch die reduzierte Blutzufuhr könnte das Organ allerdings empfindlicher werden, betont Experte Ludwig. "Eine anhaltende Durchblutungsstörung im Darm kann chronische Entzündungen fördern, was theoretisch die Entstehung von Darmkrebs begünstigen könnte", ergänzt Malek. Häufiges, extrem ausgedehntes, forderndes Laufen wirke sich zudem erwiesenermaßen auf das Hormon- und Immunsystem aus. "Auch das könnte eine Rolle spielen, wenn es um die Entstehung von Krebsvorstufen geht."
Nicht zuletzt sei auch ein Einfluss der Ernährung denkbar, betonen die Experten. "Hochleistungsläufer und -läuferinnen haben in der Regel sehr spezielle Ernährungsgewohnheiten, nehmen viel hochkalorische, energiereiche Kost zu sich. Auch das könnte langfristig die Darmgesundheit beeinflussen – etwa über die Schiene des Darmmikrobioms", sagt Malek.
Ludwig: "Es gibt die – meiner Ansicht nach vernünftige – Hypothese, dass in gewissen Nahrungsmitteln, insbesondere in schlecht gegartem Rindfleisch, aber etwa auch in Milch, bestimmte Erreger die Ähnlichkeiten mit Viren aufweisen und Mikroentzündungen im Darm auslösen können. Über Jahrzehnte können sie, insbesondere in Kombination mit einem empfindlichen Darmsystem, die Entstehung von Adenomen und infolge auch von Krebs fördern." Ob dies bei den untersuchten Marathonläufern zum Tragen gekommen ist, sei allerdings unklar.
Durch eine regelmäßige Darmkrebsvorsorge können gefährliche Polypen rechtzeitig entfernt werden, bevor sie sich zu Krebs entwickeln. Ohne Vorsorge bleibt Darmkrebs oft lange unentdeckt, was die Heilungschancen verschlechtert.
Die Standard-Untersuchung zur Früherkennung von Darmkrebs ist die Darmspiegelung, auch Koloskopie genannt. Dabei untersuchen Ärztinnen und Ärzte den Darm mithilfe eines schlauchförmigen Instruments. Die Untersuchung wird in einer Kurznarkose durchgeführt und ist kaum belastend. Das Alter für die kostenlose Darmkrebsvorsorge wurde erst kürzlich von 50 auf 45 Jahre gesenkt. Geplant ist die Umsetzung ab Oktober.
Verstärkt im Gespräch ist auch der FIT-Test (steht für Fäkal Immunologischer Test). Er stellt eine Alternative ohne Eingriff dar: Eine Stuhlprobe wird auf Blut untersucht, das Hinweise auf eine Tumorerkrankung im Darm geben kann. Auch neue blutbasierte DNA-Tests könnten in Zukunft zur Früherkennung eingesetzt werden.
Darmspiegelung vermehrt und frühzeitig
Die US-Forschenden sehne in ihren Erkenntnissen jedenfalls einen Hinweis, "dass intensives Langstreckenlaufen ein Risikofaktor für fortgeschrittene Adenome im Dickdarm sein könnte". Auch Ludwig sieht in den Daten "einen interessanten Puzzlestein". Allerdings müssten die Ergebnisse, die an nur 100 Marathonläuferinnen und -läufern gewonnen wurden, nun in großen Studien überprüft werden.
Generell empfiehlt Malek Marathon- und Ultramarathonläufern, sich laufend ärztlich untersuchen zu lassen. "Und sich ausgehend von den neuen Daten frühzeitig einer engmaschigen Darmkrebsvorsorge mittels Koloskopie oder Labortests zu unterziehen."
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