Gesunder Darm dank "Fibermaxxing": Sollten wir alle mehr Ballaststoffe essen?

Fibermaxxing bedeutet, die Ballaststoffzufuhr gezielt zu erhöhen, um die Verdauung zu fördern, das Darmmikrobiom zu stärken und langfristig die Gesundheit zu verbessern.
Gequollene Chiasamen im Müsli, mittags ein Berg Bohnensprossen am Salat, Pasta mit Edamame-Bohnen zum Abendessen: Ballaststoffreiche Kost erreicht auf TikTok und Instagram derzeit ungeahnte Popularität. Dabei muss es nicht zwingend exotisch zugehen. Auch Äpfel, Spinat, Brokkoli oder Walnüsse spielen beim sogenannten Fibermaxxing eine Hauptrolle.
Propagiert werden insbesondere die förderlichen Wirkungen ballaststoffreicher Ernährung auf den Darm. Dass Fibermaxxing im Netz einen Nerv trifft, ist kaum verwunderlich. Darmprobleme kennen viele: Allein das von Bauchschmerzen, Verstopfung und Durchfall gekennzeichnete Reizdarmsyndrom betrifft in Österreich rund eine Million Menschen.
Ballaststoffarmes Fast Food
Doch was ist aus ernährungswissenschaftlicher Sicht von Ballaststoff-Maximierung zu halten? "Grundsätzlich ist das ein Ansatz, den wir Ernährungsberater schon immer predigen", sagt Ernährungswissenschafterin Marianne Thuy. Studien zufolge nehmen die Österreicherinnen und Österreicher täglich rund 20 Gramm Ballaststoffe zu sich. "Das ist zu wenig, 30 bis 40 Gramm wären ideal", erklärt Thuy.
Aus der Forschung weiß man auch: Vor rund 100 Jahren wurde noch ballaststoffreicher gegessen. "Inzwischen ist unsere Ernährung deutlich ballaststoffärmer geworden", weiß Katharina Bruner, ebenfalls Ernährungswissenschafterin und Expertin für Darmgesundheit. Auf vielen Tellern landet hierzulande heute schnelles Essen: Fertiggerichte und hoch verarbeitete Lebensmittel. "Darin sind Ballaststoffe quasi nicht vorhanden", präzisiert Thuy.
Ballaststoffe finden sich in vielen Obstsorten, etwa Äpfeln, Birnen, Beeren, Bananen oder Orangen. Bei Äpfeln oder Birnen lohnt es sich auf Bio-Qualität zu achten, da sie mitsamt Schale gegessen werden sollen. Ballaststoffreiches Gemüse umfasst Brokkoli, Karotten, Rosenkohl, Artischocken oder Süßkartoffeln (mit Schale). Bei Hülsenfrüchten bieten sich Linsen, Kichererbsen, Erbsen und Kidneybohnen an. Auch Mandeln, Leinsamen und Sonnenblumenkerne können die Verdauung unterstützen.
Laut österreichischer Ernährungspyramide empfohlen: Täglich 5 Portionen Obst und Gemüse, 4 Portionen Getreide oder Erdäpfel, 2 Portionen Milch/Milchprodukte und 1 Esslöffel Öl oder 2 Esslöffel Nüsse und Samen. Mindestens 3 Portionen Hülsenfrüchte wöchentlich. 1 Portion Fisch und 1 Portion Fleisch und 1 Portion Fisch oder Fleisch sowie bis zu 3 Stück Eier pro Woche. Fettes, Süßes und Salziges nur selten. Mindestens 1,5 Liter Wasser pro Tag.
All-inklusive-Buffet für Darmbakterien
Ballaststoffe bewusst und gezielt zuzuführen, sei daher grundsätzlich sinnvoll, sind sich die Expertinnen einig. "Ballaststoffe sind Futter für unsere guten Darmbakterien", schickt Bruner voraus. "Quasi wie ein All-inclusive-Buffet." Unterschieden wird grundsätzlich zwischen löslichen und unlöslichen Ballaststoffen: Erstere ernähren das Darmmikrobiom, zweitere dienen im Darm als Quellmaterial, da sie kaum zersetzt und großteils über den Stuhl wieder ausgeschieden werden. "Das wirkt verdauungsfördernd und regt die Darmbewegungen an", schildert Thuy.
Wer Ballaststoffe lieber in flüssiger Form zu sich nehmen will, kann auf Smoothies setzen. "Wobei man diese gemüselastig gestalten sollte, damit man nicht zu viel Fruchtzucker aufnimmt", empfiehlt Thuy. Vom Entsaften rät sie ab: "Da geht der Großteil der Faserstoffe verloren."
Länger satt
Auch auf den Blutzuckerspiegel wirken Ballaststoffe günstig. "Wenn ich eine ballaststoffarme Semmel aus Weißmehl esse, rast der Blutzuckerspiegel nach oben und dann wieder nach unten – Heißhunger entsteht", schildert Thuy. Ein Vollkornbrot treibe den Blutzuckerspiegel hingegen langsamer in die Höhe. "Nach einer mit Ballaststoffen vollgepackten Mahlzeit fühlt man sich länger satt." Ein regulierender Effekt, der vor allem für Diabetiker interessant ist: "Deswegen werden Diabetikern auch 40 bis 50 Gramm Ballaststoffe täglich empfohlen."
Darüber hinaus sind die Faserstoffe natürliche Cholesterinsenker und wirken allgemein förderlich auf entzündliche Prozesse im Körper. "Ballaststoffreiche Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse enthalten zellschützende Antioxidantien", erklärt Thuy.
In Summe kann eine ballaststoffreiche Ernährung zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und auch Darmkrebs beitragen. "Viele Zivilisationskrankheiten sind im Grunde auch Ballaststoffmangelthemen", fasst Bruner zusammen.
"Wichtig ist, dass man nicht von heute auf morgen viel mehr Ballaststoffe isst – das kann erst recht zu Verdauungsproblemen führen", sagt Bruner. Wer Ballaststoffpulver aus Apotheke oder Drogerie konsumiert, sollte die zugeführte Menge langsam steigern und auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten, damit sich die Faserstoffe mit Wasser ansaugen und ihre positive Wirkung im Darm entfalten.
Ernährungsumstellungen professionell begleiten lassen
Vor allem Menschen, die unter Darmproblemen leiden, sollten umfangreiche Ernährungsumstellungen professionell begleiten lassen. Bruner: "Einfach von der täglichen Nutella-Semmel, Schnitzel und Pommes zu Vollwertmahlzeiten zu wechseln, wird für den Darm schwer stemmbar sein. Wenn die Darmflora eine vollwertige Ernährung nicht gewöhnt ist, können Ballaststoffe zu Blähungen und Unwohlsein führen", sagt die Expertin. Es sei wichtig, sich der ballaststoffreichen Ernährung Schritt für Schritt anzunähern: "Nur weil man heute es etwas nicht verträgt, heißt das nicht, dass es immer so sein muss. Unser Darm ist anpassungsfähig, die Bakterienbesiedelung kann sich verändern."
Statt sich mit Gramm-Empfehlungen herumzuplagen, raten die Expertinnen, sich auf gängige Ernährungsempfehlungen (siehe Infobox) zu besinnen. "Leider machen das die wenigsten", sagt Bruner. "Dabei hat die Wissenschaft die wichtigsten Erkenntnisse längst in praktische Portionsgrößen gepackt."
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