Blutwäsche-Hype: Wie sinnvoll ist es, Mikroplastik aus dem Körper zu filtern?

Bei der Apherese wird das Blut außerhalb des Körpers von bestimmten Bestandteilen befreit.
Rund 68.000 winzige Plastikpartikel können täglich in die Atemwege eines Erwachsenen gelangen – deutlich mehr als bisher angenommen, wie eine Studie aus Frankreich nun darlegt. Neben der Atmung werden die winzigen Kunststoffteilchen auch über den Mund und in geringen Mengen auch über die Haut aufgenommen. Fachleute gehen davon aus, dass bei oraler Aufnahme ein großer Teil den Körper wieder über den Stuhl verlässt.
Als problematischer wird der Eingang der Teilchen in die Lunge angesehen. Forschende der MedUni Wien konnten etwa kürzlich in einer Studie nachweisen, dass Lungenzellen bedenklich auf Mikroplastik reagieren. Die Zellen zeigten biologische Veränderungen, die mit der Entstehung von Tumoren in Verbindung gebracht werden.
Untersuchungen wie diese gibt es inzwischen viele. Allein 2025 sind schon rund ein Dutzend Studien zum Thema erschienen, aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Vor allem in den USA und Großbritannien werden inzwischen Blutwäsche-Behandlungen gegen Mikroplastik im Körper propagiert. So ließ sich etwa Orlando Bloom in einer Londoner Privatklinik laut eigenen Angaben "Mikroplastik und toxische Chemikalien" aus dem Körper filtern, wie er kürzlich auf Instagram schrieb. Dazu postete er ein Foto von sich bei der Behandlung.
Fragwürdiges Plastik-Cleansing
Die teuren Behandlungen – im Schnitt muss man umgerechnet um die 11.000 Euro dafür hinblättern – sind mehr als umstritten.
Einen ersten Hinweis, dass sich eine Blutwäsche zur Mikroplastik-Reinigung eignen könnte, lieferten kürzliche deutsche Forschende. Die Gruppe führte bei 21 Personen eine Apherese durch. In der folgenden Analyse des Eluats (ausgewaschene Flüssigkeit, Anm.) konnten Polyamidbindungen nachgewiesen werden, die für Kunststoffe typisch sind. Dies werten die Fachleute als Bestätigung dafür, dass sich Mikroplastik prinzipiell per Blutwäsche aus dem Körper entfernen lässt.
Doch wie sinnvoll ist ein solches Vorgehen – und birgt es potenziell auch Risiken? "Der Mensch ist tagtäglich Mikroplastik ausgesetzt, es stellt sich also erst einmal ganz grundsätzlich die Frage, wie viel man mit einer einmaligen Entfernung erreicht", schickt Nina Worel, stellvertretende Leiterin der Universitätsklinik für Transfusionsmedizin und Zelltherapie an der MedUni Wien / AKH Wien, voraus. "Natürlich kann man mit dieser Technik auch Mikroplastikpartikel aus dem Blut filtern, die Frage ist, welchen medizinischen Stellenwert eine solche Behandlung hat", betont Worel, auch Leiterin der Fachgruppe für Apherese der Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie.
Es gebe bestehende Leitlinien, bei welchen Erkrankungen welche Form der Apherese durchgeführt werden sollte. "Diese Empfehlungen hängen davon ab, ob die Wirksamkeit der Anwendung bei einem bestimmten Krankheitsbild in klinischen Studien nachgewiesen wurde. Das ist wichtig, damit keine Scharlatanerie damit betrieben wird", erklärt die Expertin. Immer wieder würde die Blutwäsche in privaten Kliniken aber auch zu anderen Zwecken eingesetzt. "Der neueste Hype scheint die Entfernung von Mikroplastik zu sein."
Long Covid lindern
Zuletzt wurde die Blutwäsche etwa auch intensiv zur Behandlung von Long Covid besprochen. Durch die Apherese sollen kleinste Mikro-Blutgerinnsel und auch Autoantikörper aus dem Blut entfernt werden. Mikro-Blutgerinnsel sollen für Long-Covid-Symptome relevant sein, da sie den Blutfluss in den feinsten Gefäßen und damit die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff behindern. "Hier gibt es mittlerweile tatsächlich gute Untersuchungen, die zeigen, dass sich dadurch Änderungen im Zustandsbild der Patientinnen und Patienten ergeben", berichtet Worel. "Ob sich auch nachhaltige Effekte auf den Gesundheitszustand erzielen lassen, ist noch offen. Es fehlt an Daten aus großen Studien, die eine breite Anwendung dieser invasiven und teuren Therapie rechtfertigen würden."
- Unter dem Begriff Blutwäsche versteht man zum einen die klassische Dialyse, bei der Schad- und Giftstoffe oder auch ein Zuviel an Flüssigkeit aus dem Blut entfernt werden, weil die Nieren diese Funktion nicht mehr erfüllen. Bei der Apherese, einer weiteren Form der Blutwäsche, wird das Blut in Blutzellen und das flüssige Blutplasma aufgeteilt. Aus dem Plasma entfernt man krankmachende Stoffe und leitet es zurück in den Körper. Führt man Substanzen, die dem Plasma fehlen, über Spenderplasma zu, muss mit Blick auf das Gesamtplasmavolumen im Körper das defekte Plasma entfernt werden.
- Das Plasma kann zudem über ein weiteres, mit Filtern ausgestattetes System geleitet werden. "Je nach Porengröße können damit gewisse Substanzen herausgeholt werden", schildert Expertin Worel. "Wobei hier nur nach Größe gefiltert werden kann." Alternativ kann man das Plasma auch durch beschichtete Materialien leiten, an denen die Substanzen haften bleiben.
- Etabliert ist das Verfahren der Apherese in Kombination mit anderen Therapien etwa bei Autoimmunerkrankungen, bei bestimmten Bluterkrankungen und wenn es bei organtransplantierten Menschen zu einer Abstoßungsreaktion kommt. Erkrankungen, die ausschließlich mittels Plasmapherese behandelt werden, gibt es praktisch nicht. Eine Ausnahme bildet die Dialyse: Hier wird per Blutwäsche die Funktion eines Organs, der Niere, ersetzt.

Offene Fragen
Vor sieben Jahren wurde Mikroplastik erstmals im menschlichen Körper entdeckt. Damals fanden Forschende der MedUni Wien winzige Plastikrückstände in Stuhlproben. Seither wurde es in allen möglichen Regionen des Organismus aufgestöbert: im Darm und im Blut, in Samenflüssigkeit, in der Plazenta, in Muttermilch, im Knochenmark und in Herzgewebe. Auch im Gehirn wurden die Mini-Kunststoffteilchen gefunden.
Trotzdem fehlen nach wie vor eindeutige kausale Nachweise, ob sich Mikroplastik-Rückstande im Körper wirklich schädlich auswirken – etwa die Entstehung von Krebs begünstigen.
Bekannt ist, dass Mikroplastik in die Blutbahn aufgenommen wird und sich von dort aus an verschiedenen Orten ablagern kann. Eine Studie aus den USA, die im renommierten New England Journal of Medicine erschienen ist, zeigt, dass Menschen eine schlechtere Prognose haben, wenn sich bei einer koronaren Herzerkrankung (Verkalkung der Herzarterien, Anm.) Ablagerungen bilden und diese Mikroplastik enthalten. "Das ist eine der wenigen Studien am Menschen, in denen gezeigt wurde, dass Mikroplastik tatsächlich einen negativen Effekt hat", erklärte kürzlich der Zellbiologe Michael Poteser im KURIER-Interview. "Es scheint die Entzündungsreaktion in den Plaques zu fördern." In einer anderen US-Studie wurden Mikroplastik-Einlagerungen im Gehirn mit Demenz in Zusammenhang gebracht: Eine hohe Konzentration von Mikroplastik in Gewebeproben von Verstorbenen mit Demenz war etwa sechsmal höher als jene in Gehirnen von Menschen ohne Demenzerkrankung.
Teilchen umgehen
In einer Untersuchung im Fachblatt Brain Medicine gaben Forschende kürzlich Tipps zur Vermeidung von Mikroplastik. Besonders effektiv sei etwa der Verzicht auf Trinkwasser aus Plastikflaschen. Wer seinen Wasserbedarf nur aus Plastikflaschen deckt, nimmt mitunter mehr als 20-mal so viele Teilchen auf wie jemand, der nur Leitungswasser nutzt. Eine weitere Quelle für Mikro- und Nanoplastik seien Plastik-Teebeutel. Das Ziehenlassen eines Kunststoffteebeutels bei 95 Grad könne erhebliche Mengen davon freisetzen. Zudem könne der Verzicht auf Plastikbehälter für Nahrungsmittel effektiv sein.
Einem gesunden Menschen ist eine Blutwäsche laut Worel jedenfalls nicht zu empfehlen. Zudem müsse eine Blutwäsche stets gut überwacht werden, um zu verhindern, dass wichtige Substanzen wie etwa Immunglobuline aus dem Blut gefiltert werden. "Es müssen mehrere Blutwerte überwacht werden, um auf der sicheren Seite zu sein."
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