Inwiefern?
Wir verwenden Plastik so häufig, weil es chemisch reaktionsträge ist. Es interagiert nicht mit der Limonade in der Plastikflasche, deswegen können wir sie relativ lange darin lagern. Der reaktionsträge Kunststoff hat auch eine geringe Tendenz, mit körpereigenen Stoffen zu interagieren. Von dem her gesehen ist es, unter Anführungszeichen, "harmlos". Wir wissen aber aus Studien, dass Mikroplastik unter gewissen Umständen trotzdem Effekte im Körper haben kann.
Bekannt ist, dass Mikroplastik in die Blutbahn aufgenommen wird und sich von dort aus an verschiedenen Orten ablagern kann. Welche Folgen kann das haben?
Da gibt es eine neue Studie aus den USA, die im renommierten New England Journal of Medicine erschienen ist. Die Studie hat gezeigt, dass Betroffene eine schlechtere Prognose haben, wenn sich bei ihrer koronaren Herzerkrankung (Verkalkung der Herzarterien, Anm.) Ablagerungen bilden und diese Mikroplastik enthalten. Das ist eine der wenigen Studien am Menschen, in denen gezeigt wurde, dass Mikroplastik tatsächlich einen negativen Effekt hat. Es scheint die Entzündungsreaktion in den Plaques zu fördern.
Forschende kamen 2021 zu dem Schluss, dass Mikroplastik ein neuartiger Risikofaktor für Gefäßerkrankungen sei. Würden Sie das bestätigen?
Mit Vorsicht, weil es noch wenige Befunde dazu gibt, aber potenziell ist das so.
Was passiert da genau?
Ich arbeite selbst zu Mikroplastik-Effekten auf Mastzellen, das sind jene Zellen, die bei Allergien heftige Reaktionen mitauslösen. Hier sehen wir: Wenn wir Mikroplastik zu Mastzellen geben, fördert das die Entzündungsreaktionen, die diese Zellen zeigen.
Wehren sich die Zellen gegen das Mikroplastik?
Sozusagen, ja. Das meiste, was wir über die Effekte von Mikroplastik wissen, wissen wir aus Zellexperimenten. Dort sehen wir Auswirkungen, die beunruhigend sind. Sehr kleine Teilchen können zum Beispiel in die Zellen eindringen. Die Zelle versucht, das Mikroplastik abzubauen, scheitert aber, weil die Partikel so widerstandsfähig sind. Das macht der Zelle Stress. Irgendwann wird es ihr zu viel und sie kollabiert, oder – im Fall von Immunzellen – regt eben Entzündungsreaktionen an.
Bei Entzündungsherden, die lange im Körper bestehen, denkt man rasch an Krebs. Gibt es dafür Hinweise?
Hinweise gibt es schon, aber die Datenlage beim Menschen reicht noch nicht aus, um Mikroplastik als potentiell krebserregend einzuordnen. Es gibt auch eine neuere Studie, die zeigt, dass Menschen, die mehr Mikroplastik im Gehirn haben – wo es allgemein in überraschend großen Mengen auffindbar ist – häufiger an Demenz leiden. Das sagt noch nicht aus, dass Mikroplastik Demenz auslöst, aber es ist verdächtig.
Es könnte theoretisch auch umgekehrt sein, dass neurologische Schäden im Gehirn die Plastikablagerungen begünstigen …
So ist es, ja. Bei der Interpretation muss man vorsichtig sein. Man hat in Nervenzellen schon gesehen, dass sie empfindlich auf Mikroplastik reagieren.
Definitive Aussagen zum gesundheitsschädlichen Potenzial bleiben also schwierig?
Ja, auch weil wir nicht nur eine Art von Mikroplastik vorliegen haben, sondern Tausende verschiedene Formen, Größen, chemische Stoffe und Inhaltsstoffe. Die Forschung ist da fast ein bisschen überfordert, all diese Möglichkeiten zu ergründen.
Man liest oft, dass wir unbemerkt pro Woche Mikroplastik in der Größe einer Kreditkarte aufnehmen. Ist das realistisch?
Es ist sicher unterschiedlich, je nachdem, mit wie viel Mikroplastik man in Kontakt kommt. Die Werte sind aber durchaus denkbar, obwohl viel vom aufgenommenen Mikroplastik wieder ausgeschieden wird. In Studien zeigen sich allerdings teilweise extrem hohe Werte von Mikroplastik im Gewebe. Da fragt man sich, ob es nicht vielleicht Aufnahmequellen gibt, die wir noch gar nicht kennen.
Nehmen wir Mikroplastik auch über die Atmung oder die Haut auf?
Die Aufnahme ist grundsätzlich über alle diese Wege möglich. Die Haut ist vergleichsweise undurchlässig. Bei der oralen Aufnahme verlässt ein großer Teil den Körper wieder. Durch die Atmung wird vermutlich ein größerer Anteil in den Körper aufgenommen. Die größte Menge, mit der wir im Alltag konfrontiert sind, stammt wohl vom Reifenabrieb von Autos. Diesen nehmen wir hauptsächlich über die Atmung bzw. Lunge auf. Da sind sowohl kleine als auch größere Partikel dabei.
Gibt es bestimmte Produkte oder Gewohnheiten, die besonders viel Mikroplastik freisetzen?
Man kann versuchen, die Belastung gering zu halten. Das primäre Mikroplastik, das von der Industrie als solches produziert wird, findet sich in Kosmetika und Haushaltsreinigern. Diese Produkte könnte man meiden. Ideal ist, wenn Nahrungsmittel und Getränke möglichst wenig mit Plastik in Kontakt kommen. Völlig frei von Mikroplastik wird man nicht leben können.
Glauben Sie, dass die Auswirkungen von Mikroplastik auf den Menschen in den kommenden Jahren besser verstanden werden?
Da bin ich sicher. Ich fürchte, dass immer mehr beunruhigende Nachrichten auf uns zukommen. Leider wird Mikroplastik in der Umwelt nicht weniger, sondern mehr. Und auch dort richtet es großen Schaden an. Es werden Mikroorganismen geschädigt, im Meer gibt es massive Probleme mit Plastik im Ökosystem. Die menschliche Gesundheit ist davon nicht isoliert zu betrachten.
Nehmen wir das Thema ernst genug?
Solange noch nicht aufgezeigt wurde, dass es definitiv schädlich ist, wird es keine restriktiven regulatorischen Maßnahmen auf politischer und institutioneller Ebene geben. Kunststoffe sind enorm wichtig für uns geworden, sowohl in technologischer als auch ökonomischer Hinsicht. Das Mikroplastik ist nur eines von vielen Problemen, die damit verbunden sind.
Kommentare