Werden wir bald von künstlicher Intelligenz behandelt?
Das Programm ChatGPT schreibt nicht nur Gedichte und löst Hausaufgaben. Es stellt auch Diagnosen und empfiehlt Therapien – stets mit dem Hinweis, einen Arzt aufzusuchen. Wäre denkbar, dass wir künftig von künstlicher Intelligenz behandelt werden? Der KURIER hat bei Georg Dorffner, Professor für Artificial Intelligence (MedUni Wien), nachgefragt.
KURIER: Was halten Sie von ChatGPT?
Georg Dorffner: ChatGPT leistet Erstaunliches, womit wir in der KI-Forschung nicht gerechnet hätten. Es basiert primär auf Riesenmengen an Textdaten und hat gelernt, intelligent Sprache zu imitieren. Man kann sich anders als bei Siri oder Alexa unterhalten, muss aber im Hinterkopf behalten, dass es sich nur um Sprache handelt.
Wie sehen Sie das Programm aus Patientensicht?
Patienten informieren sich ohnehin schon seit vielen Jahren über das Internet. ChatGPT ist eine zielgerichtete Version davon, da man einen Dialog führen kann. Das Risiko ist allerdings, dass die Ergebnisse falsch sein können. Auch bei Wikipedia und Google kann es böse enden, wenn man nicht verantwortungsvoll mit den gefundenen Inhalten umgeht. ChatGPT hat derzeit nicht den Anspruch, seine Nutzer ärztlich zu beraten.
Dürfte es das?
Dazu müsste es in Europa ein zugelassenes Medizinprodukt sein. Diese Zulassung hat ChatGPT nicht. Wenn bei einem Programm angegeben wird, dass es helfen kann, eine Diagnose zu finden, müsste es rigoros in klinischen Studien getestet worden sein. 100 Prozent gibt es nicht, auch nicht bei Ärzten, aber es sollte ein hoher Prozentsatz richtig sein. Die größte Stärke von ChatGPT ist das Sprachliche. Eine mögliche Anwendung für Patienten ist, sich einen Arztbericht mit vielen Fachausdrücken verständlicher machen zu lassen. Das kann sehr viel helfen.
Kann ChatGPT Zeitmangel von Ärzten abfedern?
Die KI wird immer mehr zum wichtigen Werkzeug, Routine- und Diagnosetätigkeiten zu unterstützen. Der Mediziner hat so wieder mehr Zeit für die persönliche Beziehung. Er kennt das Umfeld des Patienten, die Vorgeschichte. Er kann etwa einschätzen, ob ein hoher Laborwert für eine konkrete Person bedenklich ist oder für diese Person normal – das kann ein KI-System nicht. Eine künstliche Intelligenz kann nicht nachdenken, auch wenn es so wirkt. Was menschliche Intelligenz ausmacht ist, dass wir uns Dinge im Kopf durchgehen lassen, bevor wir zu einem Entschluss kommen.
➤ Mehr dazu: ChatGPT und Co: Wo uns die KI schon heute täglich begleitet
Wie wird KI in der Medizin bereits genutzt?
Sie hilft etwa bei der Erkennung von Melanomen anhand von Muttermalbildern, von Tumoren anhand von CT-Bildern und eigentlich überall, wo Bilder oder Signaldaten wie von EKG oder EEG genutzt werden. So wie ChatGPT auf Basis von Sprache lernt, lernen andere Systeme auf Basis von Bildern oder Signalen. In manchen Bereichen wurden Leistungen erreicht, die guten Experten ebenbürtig oder sogar überlegen sind. Diese Anwendungen sind als Medizinprodukt zugelassen.
Zwei Beispiele für zwei als Medizinprodukt zertifizierte Apps, die Künstliche Intelligenz nutzen.
Xund
Der KI-gestützte Gesundheitsassistent unterstützt mit geprüften Infos zu Symptomen, Diagnose- und Behandlungspfaden. Die kostenlose App ist als Medizinprodukt zertifiziert. Infos: https://xund.ai
Skinscreener
Über die von der MedUni Graz validierte App hochgeladene Fotos von Muttermalen, Hautflecken o.ä. werden mithilfe von künstlicher Intelligenz auf das Hautkrebsrisiko eingeschätzt. Infos: https://skinscreener.com/
Werden wir eines Tages von Robotern behandelt?
In der äußeren Form gibt es das zum Teil schon, etwa in der Chirurgie, allerdings nicht autonom, meist ist noch ein Mensch dahinter, der den Roboter steuert. Die Vision, dass ein wie ein Mensch aussehender Roboter ähnlich wie ein Mensch denkt und handelt, beruht aber darauf, dass der Roboter die Welt genauso erfahren können muss wie ein Mensch. Er müsste sich in ihr genauso bewegen können, die Dinge greifen können. In diesem Sinne wird es vielleicht einmal in diese Richtung gehen. Im Moment ist künstliche Intelligenz auf bestimmte Bereiche eingeschränkt, etwa Sprache oder Bilder. Ich denke, in 10, 20 Jahren wird es gelingen, eine allgemeine künstliche Intelligenz zu entwickeln, die vieles kombinieren und auch nachdenken kann.
Sind wir dafür bereit?
Vor Kurzem haben sich hunderte namhafte Wissenschafter dafür ausgesprochen, ein halbes Jahr Pause auf diesem Gebiet einzulegen. Ich weiß nicht, ob das reichen wird. Es braucht Zeit, zu diskutieren, wie wir mit den Systemen umgehen; wie wir die Risiken minimieren, dass wir nicht von einem Schwall an von einem System erzeugten Fake News überrannt werden. Wenn man es genau nimmt, müsste man auch beim Internet immer hinterfragen, ob stimmt, was wir geliefert bekommen. Bei KI ist es noch etwas gefährlicher. Da kommt einiges auf uns zu als Gesellschaft und Menschheit.
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