Kinderpsychiater: Schulöffnung kann "Druck herausnehmen"

Kinderpsychiater: Schulöffnung kann "Druck herausnehmen"
Lockdown-Situation für Kinder und Jugendliche besonders belastend - Schulöffnung "prinzipiell guter Schritt".

Rund um die Rückkehr an die Schulen stellen sich Fragen zur Gefährlichkeit von Covid-19 bei Kindern und Jugendlichen sowie zu ihrer Rolle bei der Verbreitung. Vor allem schwere Verläufe scheinen selten zu sein, als "Superspreader" gelten Kinder trotz unklarer Faktenlage nicht unbedingt. Den Druck auf die jungen Menschen könnte die Öffnung reduzieren.

In den bisher größeren epidemiologischen Studien rund um Covid-19 sehe man, "dass es weniger Kinder als Erwachsene unter den Infizierten gibt", sagte Paul Plener, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien am Wiener AKH, zur APA. Das könnte zwar auch an Datenverzerrungen liegen, da Kinder insgesamt weniger häufig schwer erkranken, seltener getestet werden und in vielen Ländern die Schulen als potenzielle Infektionsdrehscheiben rasch geschlossen wurden. "Es gibt aber auch Überlegungen, dass der kindliche Organismus vielleicht besser darauf vorbereitet ist, mit dem Virus umzugehen", so der Mediziner.

Wegfall der Kontakte

Klar ist, dass Kinder und Jugendliche "natürlich krank werden und andere anstecken können, auch wenn es bisher in der Literatur noch keinen Hinweis darauf gibt, dass sie wirklich als 'Superspreader' fungieren". Die Idee kommt daher, dass dies bei anderen Infektionserkrankungen so beschrieben wurde, sagte Plener. Eine neue Überblicksstudie australischer Forscher von der University of Queensland weist nun aber darauf hin, dass Kinder eher nicht diejenigen sind, die das SARS-Cov-2-Virus zuerst in die Familie bringen. Beim neuen Coronavirus kommen die Forscher nur auf einen Anteil von acht Prozent unter den Ersterkrankten in einer Familie, während diese Rate beim Influenza-Stamm H5N1 bei rund 50 Prozent lag.

Unbestritten sind jedoch Kinder und Jugendliche eine der Gruppen, die unter den Maßnahmen zur Eindämmung am meisten zu leiden hatten. Der Verzicht auf persönliche Treffen und Spielen mit Freunden und Peers, der Wegfall der Kontakte in Bildungseinrichtungen oder angespannte Situationen zuhause im Lockdown-Modus trafen diese Altersgruppe vielfach hart, so das Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (ÖGKJP).

Bei manchen jungen Menschen, die etwa problematische Schul- oder Mobbingerfahrungen erlebten, habe die neue Situation speziell am Beginn zwar Entlastung gebracht. "Wir sehen aber zunehmend, dass auch die Tagesstruktur verloren geht, sich Tag-Nacht-Rhythmen umkehren - was für die psychische Stabilität eine gefährliche Konstellation ist. Und wir sehen durchaus auch vermehrt depressive Zustandsbilder", so der Psychiater und Psychotherapeut. Das sei auch nicht überraschend, "weil viele Faktoren, die Spaß am Leben bereiten, aus dem Alltag der Kinder herausgenommen wurden". Vor allem die Wichtigkeit des Kontakts zu Gleichaltrigen dürfe man hier nicht unterschätzen.

Konfliktstoff innerhalb von Familien

Nicht zuletzt birgt die Situation um Homeschooling, Homeoffice, soziale Isolation, wirtschaftliche Verwerfungen wie Arbeitslosigkeit etc. verstärkten Konfliktstoff innerhalb der Familien mit sich, was sich auch anhand von Notvorstellungen wegen häuslicher Gewalt in den vergangenen Wochen zeigte. Leider gebe es im Zeitraum des Lockdowns auch Hinweise auf einen Anstieg der Vorstellungen wegen Suizidversuchen an seiner Klinik zu verzeichnen, dem der Suizidforscher in weiterer Folge mit Kollegen wissenschaftlich und über alle Altersgruppen hinweg nachgeht.

Plener geht nun aber davon aus, dass die spürbaren Lockerungen inklusive Schulöffnungen "Druck herausnehmen". Durch die Aufteilung der Klassen in zwei Gruppen werde es jedoch erstmal weiter auch Betreuungsprobleme etwa bei Familien mit mehreren Kindern geben. "Prinzipiell ist es aber ein guter Schritt, um den sozialen Kontakt wieder herzustellen."

Familien rät Plener vor allem dazu, in der Rückschau auf die vergangenen Wochen auch an die positiven Erfahrungen zu denken. Eine Frage sei, was man aus dieser Zeit des engen Austausches in den Alltag gerne mitnehmen möchte, welche Rückzugsräume es braucht, welche Kontakte man besonders wertschätzt, wie man gut auf die Gesundheit achtet und was Kinder und Eltern in dieser Zeit besonders vermisst haben.

Für die Zukunft und etwaige weitere Covid-19-Wellen hofft der Kinderpsychiater, dass die Bedürfnisse von Bevölkerungsgruppen, die im Laufe des Homeschoolings "relativ abgehängt waren", dann besser berücksichtigt werden.

Kommentare