Treiber des Jo-Jo-Effekts: Fettzellen erinnern sich an Übergewicht
Es ist ein bekanntes, frustrierendes Phänomen: Man nähert sich mit Mühe und Disziplin der Wunschfigur, doch nach dem diätgetriebenen Gewichtsverlust legen viele rasch wieder an Gewicht zu.
Die Ursachen dieses sogenannten Jo-Jo-Effekts sind vielfältig. Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) haben nun auf Zellebene Gründe dafür ausgemacht.
Nostalgisches Fettgewebe
Mitverantwortlich für die unerwünschte Gewichtszunahme könnte demnach das körpereigene Fettgewebe beziehungsweise dessen Prägungen durch langjähriges Mehrgewicht sein. Besagte Zellen würden sich regelrecht an vergangenes Übergewicht "erinnern" und eine Wiederherstellung dieses Zustands anstreben.
Ein Team um Laura Hinte und Ferdinand von Meyenn, Spezialisten für Metabolische Epigenetik, konnte konkret zeigen, dass Fettgewebe ein biologisches Gedächtnis besitzt: Man untersuchte Menschen, die sich einer bariatrischen Operation (operative Veränderungen an Magen, Darm oder beiden Organen, um Gewichtsabnahme einzuleiten, etwa eine Magenverkleinerung, Anm.) unterzogen hatten – und zwar vor und nach der so initiierten Gewichtsabnahme.
Die Analyse offenbarte, dass die Fettzellen durch das Übergewicht ihre Reaktion auf Nahrung dauerhaft verändert hatten: In Tests wuchsen die Zellen schneller als andere, da sie die Nährstoffe rascher aufnahmen. "Unsere Studie deutet darauf hin, dass ein Grund, warum es schwierig ist, das Körpergewicht nach einer anfänglichen Gewichtsabnahme zu halten, darin liegt, dass sich die Fettzellen an ihren früheren fettleibigen Zustand erinnern und wahrscheinlich versuchen, in diesen Zustand zurückzukehren", wird Von Meyenn dazu vom britischen Guardian zitiert. Diese Form des zellulären Erinnerungsvermögens "scheint die Zellen darauf vorzubereiten, schneller und vielleicht auch auf ungesunde Weise auf Zucker oder Fettsäuren zu reagieren".
53 Prozent der EU-Bevölkerung sind übergewichtig mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 25, berichtete das Institut für Höhere Studien (IHS) kürzlich. Fast fünf Prozent aller Gesundheitsausgaben in Österreich fließen in die Behandlung von Adipositas und den Folgeerkrankungen.
Fettleibigkeit fordert zudem etwa 4.000 Menschenleben pro Jahr, das sind acht Prozent der Todesfälle hierzulande, zeigt eine aktuelle IHS-Auswertung. Die IHS-Erhebung, die sich auf die im Jahr 2019 erhobene Situation bezieht, ergab Gesamtkosten durch Adipositas von 2,4 Milliarden Euro in Österreich.
Epigenetische Veränderungen
Um die Mechanismen dahinter zu verstehen, führte man Tests an Mäusezellen durch. Diesen zufolge nährt sich das biologische Gedächtnis aus chemischen Veränderungen an der Zell-DNA. Diese epigenetischen Veränderungen verändern wiederum die Genaktivität und den Stoffwechsel. Im Fachblatt Nature beschreibt die Gruppe, wie ehemals fettleibige Mäuse nach einer fettreichen Diät schneller zunahmen als andere. Was auf eine Verschiebung des Stoffwechsels hindeutet, die der Gewichtszunahme Vorschub leistet.
Die Erinnerung an Übergewicht auf Fettzellebene sei nicht allein für den Jo-Jo-Effekt verantwortlich: Die Forschenden vermuten, dass ein ähnliches Gedächtnis auch in Gehirnzellen existiert und etwa beeinflusst, wie viel Nahrung die Tiere in den Tests aufnahmen und wie viel Energie sie verbrauchten. "Aus evolutionärer Sicht macht das Sinn", kommentiert Studienerstautorin Hinte das Ergebnis. Menschen und Tiere hätten sich in frühen Phasen der Nahrungsknappheit angepasst, "um ihr Körpergewicht zu verteidigen, anstatt es zu verlieren".
Zelluläres Gedächtnis austricksen
Für Menschen, die mit ihrem Übergewicht hadern und gerne Gewicht verlieren würden, könnten die neuen Erkenntnisse ein "gewisser Trost sein", betont Daniel Castellano-Castillo von der ETH Zürich. Der Kampf gegen die Kilos könnte durch ein zelluläres Gedächtnis gesteuert werden, das sich "aktiv gegen Veränderungen wehrt".
Die Studie liefert auch eine Grundlage für potenzielle Lösungsansätze. Es sei denkbar, dass ein Aufrechterhalten der Gewichtsreduktion über einen bestimmten Zeitraum ausreiche, "um die Erinnerung zu löschen", so Forscherin Hinte. Darauf ausgerichtete Abnehmprogramme könnten erfolgversprechender sein.
Henriette Kirchner von der Universität Lübeck, die ebenfalls dazu forscht, wie man die Epigenetik nutzen kann, um Krankheiten wie Adipositas zu behandeln, beurteilt die Erkenntnisse im Interview mit dem Guardian positiv: "Ich bin überzeugt, dass es eine wichtige Rolle beim Jo-Jo-Effekt nach einer Diät spielt. Die Forscher zeigen überzeugend, dass die Erinnerung umso schwerer zu löschen ist, je länger man fettleibig war."
Bislang waren Expertinnen und Experten davon ausgegangen, dass langfristiges Abnehmen vor allem an einer ebenso langfristigen Ernährungsumstellung scheitert. Während einer Diät nimmt man weniger Kalorien zu sich, der Organismus passt sich an. Um das niedrigere Gewicht zu halten, muss sich der Kalorienverbrauch allerdings dauerhaft an den niedrigeren Grundumsatz anpassen – eine Lebensstilveränderung, die vielen Menschen schwerfällt.
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