Helfer im Dauereinsatz: "Diese Verzweiflung zu sehen, ist eine große Belastung"
Viele sind bereits seit Tagen im Einsatz – schon bevor es zu den ersten Überschwemmungen kam, wurden Sandsäcke gefüllt und Hochwasserschutzsysteme aufgebaut. Mit dem Anstieg der Pegel und den ersten Flutungen nahm die Zahl der Einsätze dann weiter zu. Das ist für die Helfer, die oftmals freiwillig engagiert sind, nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch psychisch belastend, wie Monika Stickler, stellvertretende Bundesrettungskommandantin und Leiterin der Abteilung Rettungsdienst und Psychosoziale Betreuung beim Österreichischen Roten Kreuz, im Gespräch mit dem KURIER betont. Was Helferinnen und Helfer jetzt brauchen und wie sie unterstützt werden, erzählt Stickler im Interview.
KURIER: Welche Belastungen erleben Helfer wie die freiwillige Feuerwehr bei Einsätzen wie aktuell dem Hochwasser?
Monika Stickler: Diese Verzweiflung der Menschen zu sehen, die oft alles geben und trotzdem das Unglück nicht abwenden können, ist eine große Belastung. Die Helfer erleben, dass Menschen alles verlieren, wie ihr ganzes Hab und Gut davonschwimmt. Auf solche Extremereignisse kann man fast nicht vorbereitet werden. Wir schulen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dahingehend, was alles sein kann. Das in der Realität zu erleben, ist aber noch einmal etwas anderes.
Welche Unterstützung gibt es für Einsatzkräfte?
Ganz wichtig ist das sogenannte Defusing nach dem Einsatz, noch bevor man nach Hause geht. Da geht es darum, Helferinnen und Helfer nach der Überbeanspruchung zu erden und wieder in die Realität zurückzuholen, bevor sie in ihr eigenes Leben zurückgehen. Das ist das erste, das sie bekommen, bevor sie zu Hause bei ihren Familien sind. Zudem haben alle Einsatzorganisationen Kollegenhilfesysteme, das heißt eigens geschulte Mitarbeiter, die mit Kollegen sprechen und abklären, wenn es eventuell mehr Bedarf an psychologischer Betreuung gibt. Wir haben ein großes Netzwerk an Hilfestellungen, das wir organisieren können.
Fällt es hauptberuflichen Helfern leichter als freiwilligen Einsatzkräften, mit belastenden Einsätzen umzugehen?
Emotional gesehen, nein. Es sind mehr oder weniger alle gleich betroffen, weil man vieles sieht und erlebt, das außerhalb der normalen Lebenswelt liegt. Wie der Einzelne damit umgeht, hängt oft von der Lebenserfahrung und dem Alter ab. Je mehr man im Leben schon gesehen hat, desto eher kann man mit derartigen Belastungen umgehen. Generell sind Menschen, die sich engagieren, resilienter als der Durchschnitt der Bevölkerung.
In der aktuellen Situation sind viele freiwillige Helfer auch selbst betroffen bzw. selbst aus der Region und kennen Betroffene.
Das ist natürlich noch einmal eine andere Belastung, wenn Verwandte oder Freunde betroffen sind. Wichtig ist, dass nur Personen in den Einsatz gehen, deren eigene Familie in Sicherheit ist. Erst wenn das der Fall ist, kann man sich für andere einsetzen.
Kommt es vor, dass Einsatzkräfte ihre eigenen Bedürfnisse vergessen, weil sie so im Tun sind? Wie kann man dem begegnen?
Das kommt immer wieder vor. Es ist die Aufgabe der Einsatzleiter darauf zu schauen, dass Mitarbeiter rechtzeitig abgelöst werden, dass sie essen und trinken. Oft fällt es schwer, das einzuschätzen, weil viele sagen, es geht mir eh noch gut, aber in Wirklichkeit sind sie am Rand der Erschöpfung. Vor allem bei der Feuerwehr kann das schwierig sein, weil es oft etwas dauert, bis Kollegen aus anderen Bundesländern dazukommen und alle, die können, bereits im Dienst sind.
Wie können Angehörige von Helfern unterstützen?
Am meisten hilft, wenn ihnen der Rücken freigehalten wird, dass sie sich im Alltag um nichts weiter kümmern müssen während der belastenden Zeit. Etwa, dass die Kinder in die Schule gehen. Es ist sehr viel wert, wenn man sich während einer solchen Zeit nicht um den Alltag kümmern muss.
Oft merkt man die psychische Belastung erst zeitversetzt. Was sind typische Zeichen, die auftreten können?
Häufige Belastungsreaktionen sind Schlafstörungen, vor allem, dass man nicht gut einschlafen kann oder immer wieder aufwacht und Flashbacks hat, das heißt, Bilder, die immer wieder kommen. Das ist eine ganz normale Reaktion, ein Verarbeitungsmechanismus des Gehirns, vor dem man sich nicht fürchten muss. Wenn das aber nicht besser wird und länger anhält, ist psychologische Betreuung empfehlenswert.
Ein Feuerwehrmann ist beim aktuellen Hochwasser-Einsatz ums Leben gekommen. Welche Unterstützung gibt es in einem solchen Fall für Kolleginnen und Kollegen?
Die Angehörigen des Betroffenen bekommen einerseits durch Kriseninterventionsteams Betreuung und auch die Kameradinnen und Kameraden besprechen das im Team. Man kann eine Gedenkminute halten, um sich von dem Kollegen zu verabschieden. Bei einer Situation wie dem aktuellen Hochwasser, wo ein Einsatz nach dem anderen kommt, bleibt oft wenig Zeit, diese Dinge zu bearbeiten. Dann ist aber wichtig, im Nachhinein eine Gedenkfeier zu veranstalten oder gemeinsam zum Begräbnis zu gehen. Die gemeinsame Verabschiedung ist sehr wichtig.
Wie wird psychologische Unterstützung in Einsatzorganisationen angenommen?
Es hat ein bisschen gedauert, denn gerade Einsatzkräfte sind oft „die“ Helden, die sich das vielleicht nicht eingestehen wollen. Aber mit der Zeit haben die Kolleginnen und Kollegen bemerkt, dass es einfach gut tut, sich zum Beispiel mit anderen auszutauschen, dass die Kollegenhilfe gut tut. Heutzutage ist es selbstverständlich, das in Anspruch zu nehmen.
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